Die Darmflora kann über die Darm-Hirn-Achse auch Auswirkungen auf unsere kognitiven Funktionen und das Gehirn haben. Bestimmte Zusammensetzungen der Darmflora scheinen dabei mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Multipler Sklerose in Zusammenhang zu stehen.
Den bisherigen Wissensstand über den Zusammenhang zwischen der Darmflora und neurodegenerativen Erkrankungen hat ein indisches Forschungsteam in einer aktuellen Studie zusammengefasst und dabei auch mögliche zugrunde liegende Mechanismen ermittelt.
Weitreichende Auswirkungen der Darmflora
In unserem Magen-Darm-Trakt leben Milliarden oder vielleicht sogar Billionen mikroskopisch kleine Lebewesen (Mikroben), die in ihrer Gesamtheit das sogenannte Darmmikrobiom (Darmflora) bilden, erläutern die Forschenden.
Diese Mikroben haben unter anderem wesentlichen Einfluss auf das Immunsystem, die Verdauung und die Bildung von Vitaminen und Enzymen. Zudem kann die Darmflora laut neueren Studienergebnissen über die Darm-Hirn-Achse auch das Gehirn und Verhalten beeinflussen.
Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen
Darüber hinaus haben erste Studien bereits eine Verbindung zwischen den Mikrobiota des Darms und neurodegenerativen Krankheiten aufgezeigt, die durch eine langsame Degeneration von Neuronen im zentralen Nervensystem gekennzeichnet sind, berichten die Forschenden.
Neurodegenerative Erkrankungen führen häufig zu lähmenden kognitiven, körperlichen und psychischen Problemen und schließlich zum Verlust bestimmter Gehirnfunktionen, so die Fachleute weiter. Zu den bekanntesten zählen Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
Um den Zusammenhang zwischen neurodegenerativen Erkrankungen und der Darmflora genauer zu bestimmen und die möglichen Mechanismen zu ermitteln, sichtete das Team in der neuen Studie knapp 2.000 Forschungsarbeiten von denen am Ende 415 Berücksichtigung fanden.
Veränderte Darmflora nachweisbar
Dabei zeigte sich, dass Personen mit Alzheimer ein spezielles Mikrobiota-Profil mit einer Überpopulation bestimmter Mikroben im Vergleich zu gesunden Menschen aufweisen. Ähnliche Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmmikrobiota waren laut den Forschenden zudem bei Menschen mit Multipler Sklerose und Parkinson festzustellen.
Darüber hinaus habe die jüngste berücksichtigte Studie darauf hingedeutet, dass die Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora) einen signifikanten Einfluss auf das Risiko neurodegenerativer Erkrankungen entfaltet.
Verbindung über die Darm-Hirn-Achse
Das zentrale Nervensystem und das gastrointestinale System interagieren dabei in einem komplizierten Netzwerk, das als Darm-Hirn-Achse bekannt ist, erklären die Forschenden. So bestehe über komplexe mikrobielle, neurologische, hormonelle und immunologische Bahnen eine dynamische Verbindung zwischen der Darmflora und dem Gehirn.
Dieses Zusammenspiel habe Auswirkungen auf eine Vielzahl von physiologischen Prozessen, wie die Stimmungsregulierung, die kognitiven Fähigkeiten, die Regulierung der Immunreaktion und sogar das Verhalten.
Wie entsteht der Zusammenhang?
Die Dysbiose der Darmmikrobiota könne auf verschiedenen Wegen eine Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen spielen. Hier heben die Forschenden insbesondere die Förderung von Entzündungen, die veränderte Produktion von Metaboliten sowie die Fehlfaltung und Aggregation von Proteinen hervor.
Chronische Entzündungen im Gehirn werden häufig mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und ALS in Verbindung gebracht und eine Dysbiose in der Darmmikrobiota kann auf verschiedene Weise ein entzündliches Milieu begünstigen, erklären die Fachleute.
Beispielsweise sei eine Förderung von Entzündungen durch die Stoffwechselprodukte der dysbiotische Mikroorganismen möglich und bei einer Dysbiose-bedingten Störung der Darmbarrierefunktion können mikrobielle Verbindungen in den Blutkreislauf gelangen und eine Entzündungskaskade in Gang setzen, so die Forschenden weiter.
Eine gesunde Darmflora produziere zudem Metaboliten ( Stoffwechselprodukte der Mikrobiota), die neuroprotektive Eigenschaften haben. Bei einer Dysbiose fehlen dem Körper diese Metaboliten jedoch gegebenenfalls, was ein Faktor bei der Entwicklung neurodegenerativer Krankheiten sein kann, erläutert das Forschungsteam.
Auch fehlgefaltete Proteine seien ein möglicher Faktor, da sie mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden und laut neueren Studien möglicherweise aus dem Darm über prionenähnliche Pfade in das Gehirn gelangen können. Die Dysbiose unterstütze diesen Prozess, indem sie die Anhäufung fehlgefalteter Proteine und den anschließenden Transport zum Gehirn fördere.
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Neue therapeutische Ansätze
Insgesamt werde immer offensichtlicher, dass die Darm-Hirn-Achse der Schlüssel zu neuen therapeutischen Ansätzen gegen neurodegenerative Erkrankungen sein kann. Einerseits könnte die Bestimmung der Darmmikrobiota bei der frühzeitigen Diagnose hilfreich sein und anderseits könnte eine gezielte Stimulierung der Darmflora zur Prävention und Therapie beitragen.
Da ein Großteil der bisherigen Forschung allerdings an Tieren durchgeführt wurde und die Ergebnisse sich möglicherweise nicht direkt auf den Menschen übertragen lassen, müssen zunächst weitere Untersuchungen durchgeführt werden, um die Ergebnisse am Menschen zu überprüfen, ergänzen die Forschenden. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Arpit Jain , Suryansh Madkan , Praful Patil: The Role of Gut Microbiota in Neurodegenerative Diseases: Current Insights and Therapeutic Implications; in: Cureus (veröffentlicht 28.10.2023), cureus.com
Wichtiger Hinweis:
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