Jedes Jahr erleiden hierzulande rund 250.000 Menschen einen Schlaganfall. Häufig haben die Patienten ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Viele Betroffenen leiden aufgrund der plötzlichen Durchblutungsstörung im Gehirn an Sprachstörungen. Menschen, die ehemals ganz normal kommunizieren, lesen und schreiben konnten, müssen diese Fähigkeiten durch die Schädigung bestimmter Gehirn-Bereiche oft wieder völlig neu erlernen. Eine gute Hilfe könnte dabei jedoch möglicherweise die elektrische Hirnstimulation bieten. Wie Berliner Forscher im Neurologie-Fachmagazin „Brain“ berichten, könne dadurch die Sprachfähigkeit verbessert werden.
Patienten verlieren durch Gehirn-Schädigungen ihre Sprachfähigkeit
Wird bei einem Schlaganfall die für Sprache, Lesen und Schreiben zuständige Hirnhälfte („sprachdominante Hemisphäre“) geschädigt, kommt es oft zu Sprachstörungen (Aphasie). Diese könne je nach Ausmaß und Lokalisation unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Teilweise hören Betroffene z.B. jemanden sprechen, verstehen jedoch den Inhalt der Worte nicht mehr. Andere Aphasiker verstehen hingegen den Inhalt des Gesagten, können diesen aber nicht mehr wiedergeben. Der größte Anteil der Patienten leidet unter Wortfindungsstörungen und muss daher sowohl die Sprache als auch die Grammatik wie eine Fremdsprache von Null auf neu lernen.
Eine gute Unterstützung könnte dabei zukünftig die elektrische Hirnstimulation bieten. Dies konnten Ärzte der Berliner Charité anhand einer kleinen Modellstudie aufzeigen. Die Neurologen erkannten, dass die Sprachfähigkeit von Schlaganfall-Patienten mit Hilfe äußerlicher elektrischer Reize am Kopf verbessert werden konnte. Ihre Erkenntnisse stellten die Wissenschaftler nun im Rahmen der 60. Wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (DGKN) in Düsseldorf vor.
Berliner Forscher untersuchen 26 Schlaganfall-Patienten
An der Studie hatten 26 weibliche und männliche Patienten mit chronischer Aphasie („Sprachlosigkeit“) teilgenommen, welche acht Tage lang zweimal täglich für je 20 Minuten mit Gleichstrom-Stimulation behandelt wurden. Den schwachen Strom leiteten die Ärzte dabei über zwei außen am Kopf angebrachte Elektroden durch den Schädelknochen in das Gehirn. Neben dem absolvierten die Probanden für ca. drei Stunden ein Sprachtraining, um das Benennen von Objekten wie „Kerze“ oder „Luftballon“ wieder zu erlernen. Während die eine Gruppe während der Übungen „echten“ elektrischen Strom erhielt, bekamen die anderen Patienten eine Scheinstimulation.
Es zeigte sich, dass zunächst beide Gruppen von dem Sprachtraining profitierten und sich die Sprachfähigkeit verbesserte. „Aber die Gruppe mit der richtigen Stimulation machte stärkere Fortschritte“, sagte Professorin Agnes Flöel, Neurologin an der Berliner Charité, gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. „In jeder Sitzung hat man einen etwas größeren Lernzuwachs als bei der Gruppe mit Scheinstimulation festgestellt.“ Nach acht Tagen sei der Unterschied laut Agnes Flöel schon „recht groß“ gewesen. Demnach hätten die Patienten nach der Therapie Fortschritte beim Benennen von Gegenständen, aber auch bei Alltagstätigkeiten wie dem Einkauf oder einem Gespräch mit dem Arzt gezeigt. Die positiven Effekte würden für etwa ein halbes Jahr andauern, erläuterte die Expertin weiter. „Unsere Ergebnisse liefern den ersten Beweis aus einer randomisierten, kontrollierten Studie, dass die transkranielle Gleichstromstimulation die Funktionen und handlungsbezogenen Resultate bei chronischen Aphasie verbessern kann“, schreiben die Forscher in ihrem Artikel.
Sprachstörung stellt keine geistige Behinderung dar
Schon frühere Studien hatten gezeigt, dass schwache elektrische Impulse bei der Schlaganfall-Therapie eine positive Wirkung erzielen können, z.B. bei Patienten mit motorischen Defiziten infolge der plötzlich auftretenden Erkrankung des Gehirns. Die Untersuchung von Aphasie-Patienten sei jedoch nach Angaben der Studienleiterin schwieriger. Denn bei der Aphasie haben die Betroffenen zwar ihre Sprache verloren, doch sofern keine anderen Hirnbereiche betroffen sind, sind sie keinesfalls geistig behindert. Das Denkvermögen ist unbeeinträchtigt, allerdings können die Patienten den Zusammenhang zwischen einem Objekt und der dazu gehörigen Bezeichnung nicht mehr herstellen. „Das heißt, sie erkennen die Kerze, finden aber das Wort dazu nicht“, erklärt Flöel. Der DGKN-Kongresspräsident Alfons Schnitzler, Neurowissenschaftler an der Uni-Klinik Düsseldorf, bezeichnete die Studie als „Meilenstein“ in Richtung eines therapeutischen Einsatz der nicht invasiven Hirnstimulation bei Schlaganfall-Patienten, so die Mitteilung der„dpa“. Nun solle laut Flöel eine größere Studie mit 150 bis 200 Patienten an verschiedenen Standorten folgen. (nr)
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