Millionen Menschen leiden hierzulande an der Volkskrankheit Osteoporose. Bei dieser Erkrankung des Skeletts verlieren die Knochen schneller an Festigkeit, wodurch sie schneller brechen und schon durch kleine Erschütterungen schwerwiegende Frakturen entstehen können. Als Hoffnungsträger in der Therapie gelten Wirkstoffe, die den Signalstoff Sclerostin regulieren. Viele Pharma-Unternehmen testen diese bereits in kostspieligen Patienten-Studien. Doch nun haben Forscher des Universitätsklinikums Münster herausgefunden, dass der Signalstoff offenbar auch Schaden anrichten und andere Beschwerden sogar verstärken kann.
Volkskrankheit Osteoporose tritt vor allem in höherem Alter auf
Bei der Osteoporose handelt es sich um die häufigste Knochenerkrankung, von der allein hierzulande etwa acht Millionen Menschen betroffen sind. Der so genannte „Knochenschwund“ tritt vor allem in höherem Lebensalter auf, mehr als 25 % der Frauen nach der Menopause erkranken daran. Kennzeichnend für die Erkrankung ist, dass die Knochenmasse stärker als normal abnimmt, was sich nachteilig auf die Struktur und Funktion der Knochen auswirkt. Zu Beginn haben die Betroffenen kaum Beschwerden. Im weiteren Verlauf kommt es durch die Veränderungen am Skelett jedoch zu scheinbar unerklärlichen Brücken, die sehr schmerzhaft sein können und zu Folgeschädigungen wie z.B. einem Rundrücken führen.
Signalstoff Sclerostin hemmt die Knochenbildung
Zur Behandlung der Erkrankung stehen schon jetzt eine Reihe verschiedener Medikamente zur Verfügung. In der Forschung gilt der Signalstoff Sclerostin (SOST) als vielversprechender Ansatzpunkt für neue Behandlungsmöglichkeiten. Bei diesem handelt es sich um ein vorrangig in den Knochen gebildetes Protein, welches die knochenbildende Funktion der sogenannten „Osteoblasten“ hemmt.
Wirkstoffe, die diese Substanz regulieren, könnten dementsprechend eine neue Hoffnung für viele Betroffene bieten und werden daher bereits in mehreren großen Pharma-Studien mit Hunderten Patienten erforscht.
Doch offenbar gibt es auch eine Kehrseite der Medaille. Denn Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Münster haben nun durch eine Studie mit Mäusen erkannt, dass diese Wirkstoffe der Gesundheit offenbar auch schaden können. Demnach sei es möglich, dass eine bestehende rheumatische Arthritis „erheblich verstärkt“ werde, so die Forscher im Fachjournal “Science Translational Medicine“. Eine auf Sclerostin gerichtete Behandlung sei für Patienten mit der entzündlichen Gelenkerkrankung also „wahrscheinlich nicht zu empfehlen“, schreiben die Experten weiter.
Forscher waren von gegenteiligem Ergebnis ausgegangen
Für die Wissenschaftler eine große Überraschung denn eigentlich waren sie vom genauen Gegenteil ausgegangen und hatten erwartet, dass die Stoffe auch bei rheumatischer Arthritis lindernd wirken. Darauf kamen die Forscher, nachdem sie in der Gelenkinnenhaut dieser Patienten größere Mengen an Sclerostin entdeckten als bei denjenigen mit nicht-entzündlichen Formen von Arthritis. Könnte der Signalstoff blockiert werden, sei damit möglicherweise auch eine Regulation der Gelenkentzündung denkbar, so die Idee.
Doch im Mäuse-Versuch kam es schließlich ganz anders, denn wurden Sclerostin-Hemmer eingesetzt, verstärkte sich sogar der Knochenverlust. Dies galt allerdings nur für die Tiere mit einer so genannten „TNF-alpha-getriebener Arthritis“. Bei dem Tumornekrosefaktor (kurz: TNF-alpha) handelt es sich ebenfalls um einen Signalstoff des Immunsystems, welcher bei lokalen und systemischen Entzündungen eine wichtige Rolle spielt und den Knochenabbau bei rheumatischer Arthritis fördert. Bei Mäusen, deren Erkrankung nicht von TNF-alpha beeinflusst wurde, hatten die Wirkstoffe gegen das Sclerostin kaum Wirkung bzw. führten sogar zu einer Verbesserung der Beschwerden, erläutern die Wissenschaftler weiter.
Neue Studie wird zu Einschränkungen führen
Daraus ließe sich schlussfolgern, dass offenbar nur Entzündungsreaktionen betroffen sind, bei denen TNF-alpha beteiligt ist, so Studienautor Thomas Pap gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. „Der Effekt lässt sich relativ streng an diesem einen Entzündungsfaktor festmachen.”
Als nächstes müsse daher die genaue Abklärung anhand weiterer Untersuchungen erfolgen. Für die Pharmaindustrie könnte sich daraus ein herber Rückschlag ergeben. Denn führende Konzerne hätten laut Christian Kasperk von der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg bereits viele Millionen Euro in die Entwicklung von Sclerostin-Hemmern investiert. „Man hatte sich möglichst breit verwendbare Wirkstoffe ohne kompromittierende Aspekte erhofft“, so der Experte gegenüber der „dpa“. Doch mit der neuen Studie werde nun schmerzhaft ein Finger in die Wunde gelegt.
Eine Osteoporose werde demnach in vielen Fällen durch chronische entzündliche Erkrankungen (z.b. des Magen-Darms-Trakts) verursacht, bei denen TNF-Botenstoffe eine Rolle spielen. „Das Studienergebnis bedeutet darum wahrscheinlich eine gravierende Einschränkung der erhofften breiten Anwendung“, führt Kasperk fort. Hinzu komme, dass sich schon vor der aktuellen Studie negative Aspekte angedeutet hätten. Denn da Sclerostin auch in den Gefäßwänden gebildet wird, könnte eine Blockade des Signalstoffs möglicherweise die Verkalkung der Gefäße anregen, gibt Kasperk zu bedenken.
Besser bei altbewährten Medikamenten bleiben
Statt zu experimentieren, sollten viele Osteoporose-Patienten daher besser auf bewährte Mittel setzen, deren mögliche Nebenwirkungen durch jahrzehntelange Forschung bekannt sind. „Was neu und teuer ist, muss nicht besser sein”, so der Mediziner. „Bei vielen neuen Wirkstoffen haben wir noch gar keine Ahnung, ob wir damit nicht auch Unfug machen.” Daher sei es ein „Glücksfall“, dass die möglichen Folgen durch Sclerostin-Hemmer nun schon lange vor der Zulassung ans Tageslicht gekommen sind.
Da Sclerostin hauptsächlich in den Knochen gebildet wird, hätten Experten bislang nicht angenommen, dass es auch andere Wirkungen im Körper habe, schreiben Frank Rauch von der McGill University in Montreal und Rick Adachi von der McMaster University in Hamilton in einem Kommentar zu der Studie.
Die neue Untersuchung zeige aber deutlich, dass der Signalstoff mehr könne als das Knochenwachstum zu bremsen. Die Ergebnisse aus den Mäuse-Untersuchungen ließen sich zwar nicht direkt auf den Menschen übertragen, dennoch sei die mögliche klinische Bedeutung den kanadischen Wissenschaftlern nach groß. Denn viele Osteoporose-Patienten hätten Begleiterkrankungen, welche Einfluss auf die Wirkung des Sclerostins haben könnten.(nr)
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