Das Immunsystem dient nicht nur der Abwehr von Infektionen, sondern ist laut neusten Erkenntnissen auch direkt an der Regulierung des Blutzuckerspiegels beteiligt. Dies kann wiederum erhebliche Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit haben.
Forschende der Champalimaud Foundation und des Universitäts-Kinderspitals Zürich haben in einer aktuellen Studie die Zusammenhänge zwischen dem Immunsystem und dem Blutzucker untersucht. Die durchaus überraschenden Ergebnisse sind in dem Fachmagazin „Science“ veröffentlicht.
Hauptbrennstoff für Gehirn & Muskeln
Glukose ist der Hauptbrennstoff für unser Gehirn und unsere Muskeln und die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutzuckerspiegels ist für unser Überleben entscheidend, insbesondere während des Fastens oder längerer körperlicher Aktivität, wenn der Energiebedarf hoch und die Nahrungsaufnahme gering ist, erläutern die Forschenden.
Die Regulierung des Blutzuckers werde bisher vor allem den Hormonen Insulin und Glucagon zugeschrieben, die beide von der Bauchspeicheldrüse produziert werden, und Insulin senke den Blutzucker, indem es dessen Aufnahme in die Zellen fördere, während Glucagon der Leber signalisiere, Glukose aus gespeicherten Quellen freizusetzen, so dass der Blutzuckerspiegel steigt.
Einfluss von Nerven- & Immunsystem?
Allerdings deuteten frühere Forschungsergebnisse bereits darauf hin, dass auch das Nerven- und Immunsystem einen Einfluss haben könnte.
„Beispielsweise regulieren einige Immunzellen, wie der Körper Fett aus der Nahrung aufnimmt, und wir haben kürzlich gezeigt, dass Interaktionen zwischen Gehirn und Immunsystem dabei helfen, den Fettstoffwechsel und Fettleibigkeit zu kontrollieren“, so die Studienautorin Henrique Veiga-Fernandes von der Champalimaud Foundation.
Dies brachte die Forschenden zu der Hypothese, dass das Immunsystem direkten Einfluss auf die Regulierung des Blutzuckers hat. An Mäusen untersuchten sie daher mögliche Zusammenhänge zwischen dem Immunsystem und dem Blutzucker.
Bestimmte Immunzellen entscheidend
Die Fachleute nutzten Mäuse mit unterschiedlich ausgeprägtem Lymphozytenmangel und konnten nachweisen, dass Mäuse ohne adaptive und angeborene Lymphozyten der Gruppe 2 (ILC2) niedrigere Glucagonwerte, eine beeinträchtigte Gluconeogenese und niedrigere Nüchternblutzuckerwerte aufwiesen.
Mäuse, denen ILC2 fehlten, produzierten nicht genug Glucagon und ihr Blutzuckerspiegel fiel während des Fastens zu stark ab. Wurden diesen defizienten Mäusen ILC2 transplantiert, normalisierte sich laut den Forschenden ihr Blutzuckerspiegel.
„Dies bestätigte die Rolle dieser Immunzellen bei der Stabilisierung des Blutzuckerspiegels bei Energieknappheit“, betont Veiga-Fernandes.
Immunzellen wandern
Mithilfe fortschrittlicher Zellmarkierungsmethoden versuchten die Forschenden auch die Mechanismen zu entschlüsseln, die diesem Zusammenhang zugrunde liegen. Sie beobachteten, dass markierte ILC2-Zellen aus dem Darm nach dem Fasten in die Bauchspeicheldrüse wanderten.
Dort setzten die Immunzellen Zytokine frei, die als chemische Botenstoffe die Produktion des Hormons Glucagon in der Bauchspeicheldrüsenzellen initiierten, erläutert das Team. Der Anstieg des Glucagons habe dann der Leber signalisiert, Glukose freizusetzen.
„Als wir diese Zytokine blockierten, sank der Glucagonspiegel, was beweist, dass sie für die Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels unerlässlich sind“, berichtet Veiga-Fernandes.
„Bemerkenswert ist hier, dass wir eine Massenmigration von Immunzellen zwischen Darm und Bauchspeicheldrüse beobachten, selbst wenn keine Infektion vorliegt“, so die Expertin weiter.
Dass das Immunsystem die Produktion des Hormons Glucagon stimuliert, indem es Immunzellen auf eine Reise durch verschiedene Organe schickt, sei eine überraschende neue Erkenntnis.
Nervensystem ebenfalls beteiligt
Diese Migration der Immunzellen werde vom Nervensystem orchestriert und während des Fastens setzen Neuronen im Darm, die mit dem Gehirn verbunden sind, chemische Signale frei, die sich an Immunzellen binden und ihnen sagen, dass sie in die Bauchspeicheldrüse wandern sollen, erläutern die Forschenden.
„Dies ist der erste Beweis für einen komplexen neuroimmun-hormonellen Kreislauf (und) es zeigt sich, wie das Nerven-, Immun- und Hormonsystem zusammenarbeiten, um einen der wichtigsten Prozesse des Körpers zu ermöglichen – die Produktion von Glukose bei Energieknappheit“, resümiert die Studienautorin.
Hoffnung auf neue therapeutische Optionen
Die Studie offenbare ein Maß an Kommunikation zwischen Körpersystemen, das die Wissenschaft gerade erst zu begreifen beginne. „Wir möchten verstehen, wie diese Kommunikation zwischen den Organen bei Menschen mit Krebs, chronischen Entzündungen, hohem Stress oder Fettleibigkeit funktioniert – oder nicht“, so Veiga-Fernandes.
Dies könne letztlich auch helfen, neue Therapien für hormonelle und metabolische Störungen zu entwickeln. Denn der Ausgleich des Blutzuckerspiegels sei von entscheidender Bedeutung und könne weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit haben. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Champalimaud Centre for the Unknown: Eavesdropping on organs: Immune system controls blood sugar levels (veröffentlicht 16.01.2025), eurekalert.org
- Marko Šestan, Bruno Raposo, Miguel Rendas, David Brea, Roksana Pirzgalska, Ana Rasteiro, Maria Aliseychik, Inês Godinho, Hélder Ribeiro, Tania Carvalho, Stephan Wueest, Daniel Konrad, Henrique Veiga-Fernandes: Neuronal-ILC2 interactions regulate pancreatic glucagon and glucose homeostasis; in: Science (veröffentlicht 17.01.2025), science.org
Wichtiger Hinweis:
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