Auftreten von MS-Symptomen und weiteren Schüben durch Pflanzenpeptid verhinderbar?
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems und trotz einiger Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten bleiben die Behandlungsmöglichkeiten bis heute äußerst begrenzt. Nun konnten Wissenschaftler an der MedUni Wien jedoch mit Hilfe eines speziellen Pflanzenpeptids offenbar den Verlauf der Erkrankung stoppen. Im Tiermodell sei durch die einmalige orale Verabreichung des Pflanzenpeptids das Auftreten weiterer Krankheitsschübe verhindert worden, berichtet die MedUni Wien von den Forschungsergebnissen.
Damit könnte dem Team um Christian Gruber, Forschungsgruppenleiter am Zentrum für Physiologie und Pharmakologie, gemeinsam mit internationalen Partnern aus Australien, Deutschland und Schweden eine herausragende Entwicklung bei der Behandlung von Multipler Sklerose gelungen sein, so die Mitteilung der MedUni Wien. Im Tiermodell sei durch die Behandlung mit einem speziellen synthetischen Pflanzenpeptid (Zyklotid, engl. „Cyclotide“) die Entwicklung weiterer üblicher klinischer Anzeichen einer Multiplen Sklerose verhindert worden. Der Krankheitsverlauf könnte demnach mit Hilfe des Pflanzenpeptids möglicherweise gestoppt werden. Die Forscher haben ihre Studienergebnisse in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.
2,5 Millionen Menschen weltweit betroffen
Bei der chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems MS werden durch autoreaktive T-Zellen die Isolierschichten der Nervenfasern zerstört, was mit zunehmenden neurologischen Ausfallerscheinungen einhergeht. „Die Erkrankung verläuft in Schüben und ist derzeit nicht heilbar“, berichtet die MedUni Wien. Der Beginn eines Schubes werde durch das Auftreten neuer oder das Wiederaufflammen bereits bekannter Symptome definiert. Mit den einzelnen Schüben geht eine sofortige oder auch verzögerte, weitere Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen einher. Zwar sind die Mechanismen der Erkrankung mittlerweile relativ gut erforscht, doch die bislang entwickelten Therapien, welche den Verlauf verzögern sollen, zeigen bei Dauertherapie mitunter erhebliche Nebenwirkungen und ihr Erfolg bleibt begrenzt. Für die weltweit schätzungsweise rund 2,5 Millionen Menschen mit MS sind daher dringend neue Behandlungsmöglichkeiten erforderlich.
Realistische Hoffnung auf eine wirkungsvolle Behandlung
Angesichts der aktuellen Studienergebnisse lasse sich realistisch darauf hoffen, die Erkrankung bereits in einer sehr frühen Phase zu stoppen oder ihre Entwicklung zumindest stark verlangsamen zu können, berichten die Forscher. „Sobald funktionelle neurologische Defizite auftreten und im MRI-Scan (Anm.: Magnetic Resonance Imaging) erste krankheitsbedingte Veränderungen im Zentralnervensystem sichtbar sind, könnte man das Medikament zur Basistherapie verabreichen“, erläutern Gruber und Kollegen. Das Auftreten von MS-Symptomen sei im Tiermodell durch die orale Verabreichung von Cyclotiden erheblich reduziert worden. „Die einmalige orale Gabe des Wirkstoffs hat die Symptome sehr stark verbessert. Es kam zu keinen Schüben der Erkrankung. Das könnte den Verlauf der Erkrankung generell deutlich verlangsamen“, betont Christian Gruber. Nach Einschätzung der Wissenschaftler könnte die Zeitspanne zwischen den Schüben auf diese Weise deutlich verlängert oder möglicherweise ein Ausbruch der Erkrankung sogar ganz verhindert werden.
Pflanzenpeptide auch wirksamen bei anderen Autoimmunerkrankungen?
Den Angaben der MedUni Wien zufolge sind die speziellen Pflanzenpeptide leicht verfügbar und oral einsetzbar. Die Cyclotide können aus allen bedeutenden Pflanzenfamilien (z.B. Kaffeegewächse, Kürbisgewächse, aber auch Gräser und Nachtschattengewächse) isoliert werden und stellen daher eine vielseitige und große Gruppe von Naturstoffen dar, erläutern die Forscher. Zudem können die hieraus gewonnenen Medikament oral eingenommen werden, während die derzeit gängigen MS-Therapien meist intravenös verabreicht werden müssen. Entdeckt wurde der Wirkmechanismus der Cyclotide vor drei Jahren von Wissenschaftlern der MedUni Wien in Zusammenarbeit mit dem Forscherteam um Carsten Gründemann vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg. Durch die Pflanzenpeptide kann der Botenstoff Interleukin-2 und damit die Zellteilung der T-Zellen unterdrückt werden. Letztere wirken bei Reaktion des menschlichen Immunsystems als „Killer“- oder „Helfer“-Zellen und sie spielen nicht nur eine maßgebliche Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern sondern werden auch mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen in Zusammenhang gebracht. Cyclotide könnten demnach möglicherweise ebenfalls „bei anderen Erkrankungen eingesetzt werden, die durch ein überaktives, fehlgeleitetes Immunsystem gekennzeichnet sind wie etwa die rheumatoide Arthritis“, so die Mitteilung der MedUni Wien. (fp)
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