Bundesverwaltungsgericht sieht öffentliches Interesse
Sind schwer kranke Patienten auf eine Eigentherapie mit Cannabis angewiesen, kann ihnen der Eigenanbau der Droge im Einzelfall erlaubt werden. Dies gilt zumindest dann, wenn die Einnahme von Cannabis zu einer erheblichen Linderung der Beschwerden führt und dem Patienten kein gleichsam wirksames und bezahlbares Medikament zur Verfügung steht, urteilte am Mittwoch, 6. April 2016, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (Az.: 3 C 10.14).
Damit wurde das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verpflichtet, einem 52-jährigen Multiple Sklerose-Patienten den Eigenanbau von Cannabis ausnahmsweise zu erlauben. Der aus Nordrhein-Westfalen stammende Mann hatte bereits vor 16 Jahren bei der Behörde den Ausnahmeantrag gestellt, seine eigenen Hanfpflanzen mit den darin enthaltenen Cannabinoiden (THC) anbauen zu dürfen.
Gegen die 2007 ergangene ablehnende Entscheidung erhob der Patient Klage. Die Symptome seiner Erkrankung könne er nur mit Cannabis erheblich lindern, was er bereits seit 1987 einnehme. Alternative Medikamente gebe es für ihn nicht.
Im Januar 2005 hatte ihn ein Strafgericht vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen. Sein Handeln sei gerechtfertigt, da ihm keine Therapiealternative zur Verfügung stehe.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem der Kläger die Erlaubnis des Cannabis-Eigenanbaus erzwingen wollte, führte er an, dass eine Sondergenehmigung für den Kauf von sogenanntem Medizinalhanf über die Apotheke für ihn aus Kostengründen nicht infrage komme.
Nach Angaben von Oliver Tolmein, Anwalt des Klägers, könnten derzeit mehr als 500 Menschen in Deutschland aufgrund einer Sondergenehmigung der Bundesopiumstelle Cannabis in der Apotheke kaufen. Die Krankenkassen würden die Kosten – je nach Bedarf in Höhe von 700 bis 2.000 Euro monatlich – aber nicht übernehmen. Derzeit liege ein Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums vor, nach dem Patienten Cannabisblüten auch auf Kassenrezept verschrieben bekommen sollen.
Das Bundesverwaltungsgericht stimmte dem Cannabis-Eigenanbau nun im Ausnahmefall ebenso zu, wie zuvor die Vorinstanzen. Die Behandlung des schwer kranken Klägers mit selbst angebauten Cannabis liege hier im „öffentlichen Interesse“. Denn die Einnahme der Hanfpflanze führe „zu einer erheblichen Linderung seiner Beschwerden“. Ein alternatives, gleich wirksames und bezahlbares Medikament gebe es nicht.
Der Kauf von Medizinalhanf in der Apotheke scheide hier aus Kostengründen ebenfalls aus. Der Kläger könne diesen mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente nicht finanzieren. Die Krankenkasse mit einer Klage vor den Sozialgerichten zur Kostenübernahme des Medizinalhanfs zu zwingen, sei nicht zumutbar.
Der Kläger habe seine Wohnung zudem so abgesichert, dass keine unbefugten Personen auf die selbst angebauten Cannabispflanzen zugreifen können, stellten die Leipziger Richter klar. Die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs sei damit gewährleistet. Eine missbräuchliche Verwendung durch den Kläger selbst, bestehe ebenfalls nicht. Denn er habe jahrelange Erfahrungen in der Cannabis-Eigentherapie hinsichtlich Wirksamkeit und Dosierung. Anbau und Therapie stünden zudem unter ärztlicher Kontrolle.
Die Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau sei auch im Hinblick auf das im Grundgesetz verankerte Recht auf Achtung der körperlichen Unversehrtheit „rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass das der Behörde eröffnete Ermessen ‚auf Null‘ reduziert ist“, urteilte das Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Beschluss vom 11. Februar 2015 den Cannabis-Anbau für schwer kranke Schmerzpatienten zumindest indirekt gutgeheißen (Az.: 2 BvR 1694/14; JurAgentur-Meldung vom 4. März 2015). Danach kann eine Beschlagnahme der Hanfpflanzen unverhältnismäßig sein, wenn der Patient das Medizinalhanf aus der Apotheke nicht bezahlen kann.
In dem Fall hatte ein krebskranker Schmerzpatient die Genehmigung erhalten, Medizinalhanf in der Apotheke zu kaufen. Da er dies nicht bezahlen konnte, baute er sein Cannabis ohne Erlaubnis selbst an. Per Selbstanzeige informierte er Staatsanwaltschaft und Polizei. Daraufhin wurde seine Wohnung durchsucht und 21 Marihuana-Pflanzen beschlagnahmt.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Durchsuchung und Beschlagnahme unverhältnismäßig gewesen seien. Die Unverletzlichkeit der Wohnung des Schmerzpatienten sei unnötig verletzt worden. Das Amtsgericht habe sich nicht mit der Situation des Mannes auseinandergesetzt. Ihm sei auch nicht zuzumuten gewesen, die Zeit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Cannabis-Eigenanbau „als unversorgter Schmerzpatient zu überbrücken“. (fle)
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