Fernöstliche Heilkunde an europäische Bedürfnisse anpassen
Naturheilkundliche Therapien gewinnen in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Ihnen gemeinsam sind die ganzheitliche Betrachtung und ihr zumeist über viele Jahrhunderte gewachsener Erfahrungsschatz. Zu ihnen gehört auch die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die sich seit mehr als 2.000 Jahren immer weiter entwickelt. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Die wichtigsten Fragen beantwortet Dr. Christian Schmincke, Chefarzt der Klinik am Steigerwald. Er behandelt Patienten stationär mit Chinesischer Medizin und feiert 2016 mit seiner Klinik das 20-jährige Jubiläum.
Wie unterscheidet sich die TCM von westlichen Heilverfahren?
Für die Chinesische Medizin liegt der Schlüssel zur Therapie in der Krankheitsentwicklung, nicht im Unterdrücken der Symptome. Zudem beruht sie auf einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Was die TCM im Vergleich zu anderen Naturheilverfahren auszeichnet, ist jedoch ihr eigenes großes Theoriengebäude. Begriffe wie “Yin” und “Yang” oder “Qi” wirken für viele zunächst befremdlich. Sie stehen für traditionelle Denkmodelle, die das Zusammenspiel der Kräfte der äußeren Umgebung mit dem menschlichen Körper anschaulich machen.
Wofür steht Qi?
Qi wird meist mit „Lebensenergie“ übersetzt. Darunter stellt man sich so etwas wie ein Fluidum vor. Laut chinesischer Akupunkturlehre zirkuliert es durch bestimmte Körperbahnen, den sogenannten Meridianen. Ist dieses Fließen durch Blockaden unterbrochen, stört das die Balance und Krankheiten entstehen. Durch Akupunktur lassen sich diese Störungen wieder auflösen.
Woher kommt die Theorie von Qi und Meridianen?
Die Chinesen skizzieren Meridiane als Liniennetz, das sich über den gesamten Körper zieht. Niemand weiß genau, wie sie auf die Idee mit den Meridianen gekommen sind, denn strukturell sind sie nicht sichtbar. Vermutet wird, dass im alten China eine meditative Selbstwahrnehmung trainiert wurde, die dieses innere Strömen zugänglich gemacht hat. Im Verlauf der Übungspraxis konkretisierten sich Bahnen heraus, die heute insbesondere Anwendung in der Akupunktur finden.
Aber die Chinesische Medizin ist mehr als Akupunktur, oder?
Richtig, denn das Nadeln bestimmter Punkte macht nur einen kleinen Teil aus. Bis zu 80 Prozent setzt die alternative Medizin nämlich auf die chinesische Arzneitherapie. Zudem spielen Qi Gong, Tuina-Massagen und die Ernährungslehre eine entscheidende Rolle für den Therapieerfolg.
Und worauf gründet die chinesische Arzneitherapie?
Die Geschichte der chinesischen Pflanzenheilkunde reicht vermutlich bis in die Anfänge der menschlichen Kultur zurück. Bei Tieren weiß man, dass sie im Krankheitsfall bestimmte Pflanzen bevorzugen, die ihnen förderlich sind. Auf Grund solcher Fähigkeiten hat sich auch die Kräuterheilkunde in allen menschlichen Frühkulturen entwickelt. Die chinesische Pflanzenheilkunde gründet neben Theorien und Modellen auf solchen Naturbeobachtungen.
Was kann die Arzneitherapie bei modernen Krankheitsbildern leisten?
Durch die Arznei kann sich das gesamte seelisch-körperliche Verhalten des Patienten verändern, wie z.B. Schlaf, Befinden, Ausscheidungsverhalten, Leistungsfähigkeit. Pflanzliche Bestandteile wie Wurzeln, Rinden oder Knollen haben ein hohes Wirkungspotenzial. Sie wecken und steuern Selbstheilungskräfte. Abhängig vom Krankheitsbild unterstützen chinesische Arzneien die Ausleitung von Entzündungen oder Stoffwechselgiften, regulieren das Immunsystem oder stärken die natürlichen Klärungsfunktionen des Körpers.
Und bei welchen Krankheitsbildern ist die TCM besonders erfolgreich?
Bei Schmerzerkrankungen jeglicher Art. Wir versuchen zu begreifen, was hinter dem Schmerz steckt. Dazu kommen chronische Entzündungen – wie Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa, Asthma, Allergien, Gelenkentzündungen und immunologische Krankheiten wie Müdigkeitssyndrom und Fibromyalgiesyndrom –, neurologische Entzündungen wie Polyneuropathie und psychosomatische Störungen. Dazu gehören zum Beispiel Panikattacken, depressive Zustände, Burnout.
Woran erkennt man einen guten Arzt für Chinesische Medizin?
Ein gut ausgebildeter TCM-Arzt ist in beiden medizinischen Welten zuhause und überprüft alle diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen nach schulmedizinischen und chinesischen Kriterien. Zudem gilt: Nicht der Arzt ist der beste, der die meisten Nadeln setzt, sondern der, der individuell auf den Patienten schaut und sich Zeit nimmt. Gute TCM-Experten nehmen sich viel Zeit für die Diagnostik. Sie spüren beispielsweise anhand von Puls- oder Zungenuntersuchungen feinste Körpersignale auf. Im ausführlichen Gespräch gehen sie auch auf seelische Befindlichkeiten ein. Genauso wichtig ist richtige Bewertung von vegetativen Zeichen, die für sich genommen keinen Krankheitswert besitzen. Dazu gehören beispielsweise kalte Füße, Schwitzen, Unruhe und Verdauungsauffälligkeiten. (pm)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.