Menschen sind zuerst einmal Natur: Wir kommen auf die Welt, wir reifen, und wir sterben. Wir begehren andere Menschen sexuell, um uns fortzupflanzen; wir nehmen unsere Umwelt wahr; wir leiden an Krankheiten; wir kommunizieren, ohne dass bewusst zu fassen, mit einer Vielzahl anderer Lebewesen: Wir riechen Blumen, wir beobachten Krähen in den Bäumen, wir hören die Gesänge der Vögel.
Inhaltsverzeichnis
Den größten Teil unserer Evolution lebten wir als Jäger und Sammler, den Rhythmen der Natur ebenso unterworfen wie andere Tiere. Die „Sprache der Natur“ zu verstehen, war die existentielle Herausforderung, die Menschen meistern mussten, um zu überleben.
Viele Menschen merken heute schmerzlich, dass sie diese Verbundenheit zur Wildnis verloren haben und fühlen die Entfremdung, die die Zivilisation mit sich bringt.
Einerseits wissen wir heute über Biologie im Sinne der Naturwissenschaften mehr als je zuvor. Schülerinnen und Schüler nehmen Erkenntnisse auf, von denen ihre Großeltern keinen Schimmer hatten – ob Molekularbiologie, Genetik, das Nervensystem oder die Sinne der Tiere.
Andererseits verschwindet das Erfahrungswissen über die „Wildnis vor der Haustür“. Kinder kennen zwar aus Fernsehdokus und Internet die Tierwelt Afrikas und der Antarktis, doch die natürliche Umwelt nehmen sie kaum war – ihnen fehlen Zugänge, die für die Menschen auf dem Land vor wenigen Generationen noch selbstverständlich waren.
Wo sucht die Goldammer nach Nahrung? Wie ruft der Eichelhäher? Woran erkennt man die Kaulquappe des Wasserfroschs? Aber auch: Wie baue ich mir im Wald einen Unterstand, wenn es regnet? Wie reinige ich meinen Körper, wenn kein Wasser in der Nähe ist? Wie fertige ich ein Boot aus Ästen? Wie stelle ich Seile her? Wie mache ich einen Salat aus Giersch, Löwenzahn und Vogelmiere?
Natur- und Wildnispädagogik versuchen, diese fehlende Verbindung zur Natur wieder herzustellen. Das pädagogische Ziel ist, ein Leben zu vermitteln, das die Interessen des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt in Einklang bringt – durch geschärfte Wahrnehmung und Verständnis.
Flow Learning
Naturpädagogik beruht auf dem Konzept des „Flow Learning“, dass der US-Amerikaner Joseph Cornell entwickelte. Diese Lehre basiert auf vier Säulen: Begeisterung wecken, konzentriert wahrnehmen, unmittelbar erfahren und Erfahrungen teilen.
Wildnispädagogik in ihren diversen Spielarten fußt auf Prinzipien von Jon Young, die er in der Wilderness Aware School in Nordamerika anwendet. Der Ursprung liegt in der Tracker School von Tom Brown, der an das Wissen indigener Kulturen anknüpfte
Romantische Bilder kursieren in der Postmoderne über so genannte Naturvölker, frei erfundener esoterischer Kitsch entwirft ein Bild von traditionellen Kulturen, das mit deren Wirklichkeit wenig gemein hat, aber viel über die Sehnsüchte im Spätkapitalismus verrät.
Nichtsdestotrotz steckt in diesem Kitsch ein wahrer Kern: So genannte Naturvölker waren und sind der nicht-menschlichen Natur wesentlich näher als post-industrielle Großstädter. Sie verstehen sich als Teil des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen und betrachten Tiere, Pflanzen und Steine als Subjekte.
Diese Achtung stammt aus einem über Jahrtausende überlieferten Wissen um die natürlichen Zusammenhänge, und sie entwickelten ihre sinnlichen Fähigkeiten in der Wildnis in einem Ausmaß, wie es für Postmoderne kaum vorstellbar ist.
Naturpädagogik
Ziel der Naturpädagogik ist es, die Grundlagen für ökologisch nachhaltiges Handeln ebenso zu vermitteln wie deren Notwendigkeit. Das Interesse an der Natur zu wecken ist also nur der erste Schritt, um das Bewusstsein zu schaffen, wie sich menschliche Eingriffe auf die Wechselbeziehungen im ökologischen Gefüge auswirken.
Kinder können in der Naturpädagogik lernen, welche Stellung der Mensch in den Ökosystemen hat und konkret erfahren, wie Menschen ihre intellektuellen und technischen Fähigkeiten nutzen können, um verantwortlich zu handeln.
Gerade bei Kindern aus Ballungsräumen ist es wichtig, dass sie sich selbst als Teil der Natur erkennen. Wildnispädagogik findet nicht nur in den Urwäldern Kanadas statt, sondern auch im städtischen Naturerfahrungsraum – im Stadtpark, Schrebergarten oder auf dem Friedhof.
Städtische Naturerfahrungsräume sind Grünflächen, die sich weitgehend oder vollkommen selbst überlassen werden, damit sie sich natürlich zurück entwickeln. Solche Flächen sind mindestens einen Hektar groß und in Wohngebiete integriert, so dass die Kinder einfach einen Zugang finden und hier täglich ohne Aufsicht spielen können.
Circa die Hälfte dieser Gebiete entwickelt sich völlig ohne Eingriffe, andere werden durch extensive Beweidung offen gehalten. Den Kindern hilft das alltägliche Erkunden der Natur, sich psychisch und physisch gesund zu entwickeln.
Nachhaltigkeit lernen
Wir befinden uns heute in einem der großen Artensterben in der Geschichte des Planeten. Tiere und Pflanzen sterben in einem Ausmaß aus, das schwindlig werden lässt. Ganze Ökosysteme stehen vor dem Kollaps: Tieflandregenwälder wie Korallenriffe, Savannen wie Mangrovensümpfe.
Ein Ziel der Naturpädagogik ist es deshalb, Kindern zu zeigen, dass menschliches Handeln Grenzen haben muss. Das darf aber gerade bei jungen Menschen keine apokalyptischen Ängste hervorrufen, sondern sie lernen ganz im Gegenteil, was sie mit kleinen Schritten bewirken können.
Moore wieder vernässen, Kröten über die Straße zum Laichgebiet tragen oder eine Hecke für seltene Vogelarten anlegen, sind solche Naturerlebnisaktionen, für die sich Kinder begeistern – vor allem, weil sie selbst etwas schaffen.
Bei einer Tümpelsafari zum Beispiel fangen Kinder Wassertiere mit Keschern und setzen sie in Gläser, um sie zu beobachten – bei Kleinlebewesen hilft dazu eine Lupe. Die Lehrkräfte können den Lernenden erläutern, um welche Tiere es sich handelt, wie sie sich verhalten und welche Rolle sie im Ökosystem spielen.
Das läuft allerdings nicht als Frontalunterricht, sondern alle Teilnehmenden können ihr Wissen einbringen. Dabei lernen die Kinder zugleich ökologisch verantwortliches Handeln: Sie dürfen die Tiere nicht nach Hause nehmen, verletzen oder gar quälen, sondern entlassen sie so schnell wie möglich wieder in die Freiheit.
Fortbildung für Lehrkräfte
Lehrkräfte können sich bei Umweltakademien und Naturschutzverbänden in Natur- und Umweltpädagogik weiterbilden und sich zugleich über Richtlinien des Naturschutzes informieren.
In Wien gibt es seit 2008 einen Bachelor-Studiengang Umweltpädagogik, und zwar an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. Module umfassen Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Pädagogik, lokale und regionale Nachhaltigkeit, verantwortungsvollen Umgang mit Naturräumen, Klimaschutz und Energieefizienz. Das ist allerdings nicht das gleiche wie Wildnispädagogik.
In Berlin / Brandenburg können Menschen in Lehrberufen wie Lehrer_innen, Erzierher/innen, Sozialarbeiter/innen oder Pädagog/innen bei Blattwerk Naturpädagogik Berlin eine Ausbildung „Ganzheitliche Naturpädagogik“ absolvieren.
Die Methoden verbinden die „kosmische Erziehung“ von Maria Montessori mit Wildnispädagogik, Erlebnispädagogik, Kunst, Fotografie, Improvisationstheater und Erzähltechniken.
Das Interesse wecken
Naturpädagogik geht von den Interessen der Kinder aus. Ihre Leidenschaft für Körpererfahrungen lässt sich hervorragend im Lernen von, in und mit der Natur einsetzen: Sie erfahren zum Beispiel beim Barfußgehen, wie die Erde sich anfühlt, und schärfen dabei zugleich ihre Wahrnehmung, nicht auf spitze Steine oder in Dornen zu treten.
Kinder sammeln Erfolgserlebnisse dadurch, dass sie etwas schaffen, dem sie beim Wachstum zusehen. Eine Baumreihe neben einem Acker zu pflanzen oder einen Teich in einer Projektwoche auf dem Gelände der Schule anzulegen, verbindet Schüler auf Dauer mit ihrem Werk.
Sie sehen in den nächsten Jahren zu, wie Molche und Insekten sich ansiedeln, wie die ersten Vögel ihre Nester bauen, und wie sich ihr Teich, ihr Baum verändert.
Naturpädagogik findet dabei immer im Einklang mit Natur- und Artenschutz statt – mit dem Jeep durch das Naturschutzgebiet zu brettern verbietet sich also. Lebewesen aus der Natur zu entnehmen, berührt das Naturschutzrecht, und auch das Beobachten von Tieren in freier Natur unterliegt strengen Regeln, um Vögel nicht bei der Brut und alle Tiere nicht bei der Ruhe zu stören.
Lehrkräfte sollten Aktionen in freier Natur deshalb mit der zuständigen Naturschutzbehörde oder dem NABU vor Ort abstimmen.
Wildnispädagogik
Viel stärker als andere Formen der Natur- und Umweltpädagogik vermittelt Widlnispädagogik die Fähigkeiten zum Überleben in der freien Natur.
Dazu gehören das Orientieren im Gelände, Kochen am selbst entzündeten Feuer mit selbst gesammelten Pilzen und Pflanzen, das Lesen von Tierspuren und Fährten, Handarbeit mit Materialien aus der Natur wie Körbe aus Weidezweigen flechten, oder eine Hütte aus diesen Materialien zu bauen.
Dabei richten sich die Lernziele an unterschiedliche Gruppen. Die NABU-Akademie Gut Sunder in der Nähe von Winsen an der Aller bietet 2016 zum Beispiel:
Ein Survival Camp- Ladies only. Es soll „die natürlichen Instinkte wecken, nutzen, was eben da ist, Feuer entfachen, Wasser finden und trinkbar machen, schnell eine Notunterkunft bauen, einen Fluss ohne Brücke trocken überqueren.“ Und weiter: „Es geht um das komfortable Überleben auch in schwierigen Situationen, wie es in der Natur, bei einer Autopanne, Wandern, bei Stromausfall oder im Urlaub vorkommen kann, wenn kein Kontakt besteht, keine Hilfe gerufen werden kann. Wir lassen in diesem spannenden Kurs unser ziviles Leben hinter uns. Improvisieren heißt unser wichtigstes Hilfsmittel! Sie lernen alles einzusetzen, was Sie vorfinden. Jeder Mensch kann seine Erfahrungen einbringen.“
Kinder sprechen hingegen „bunte Naturentdeckertage“ an: „Wir verbringen 2 spannende Tage draußen in der Natur. Dabei gehen wir als Naturdetektive auf Spurensuche, entdecken T-Shirtbäume, Saftkugler und echte Waldexperten. Wir haben Zeit zum Toben, Budenbauen und Keschern und lernen ganz nebenbei, warum Wölfe einfach heulen müssen und was Ameisen mit Löwen zu tun haben.“
Wer selbst als Wildnispädagoge arbeiten will, dem bietet Sunder eine einjährige Weiterbildung Natur- u. Wildnispädagogik in 6 Modulen an Wochenenden: „Diese einjährige Ausbildung lädt zu einem Weg ein, der tiefe Verbundenheit mit der Natur und den eigenen Bedürfnissen ermöglicht. Die Weiterbildung richtet sich an Menschen in pädagogischen Berufen wie Lehrer, Erzieher, Ergotherapeuten etc. Außerdem eignet sie sich als Qualifikation, um freiberuflich als Natur und Wildnispädagoge zu wirken.“
Zu der Ausbildung gehören: „Naturhandwerk wie Feuermachen ohne Streichhölzer, Herstellen einfacher Gebrauchsgegenstände und natürliche Schutzbehausungen; Wasser finden, beurteilen und reinigen; Kochen mit Gruppen; natürliche Gefahren; Wahrnehmungsübungen und Schleichspiele; Einführung in die Philosophie der Natur.“
Im zweiten Modul geht es um: „Vögel & die Sprache der Natur, Lebensweise von Vögeln; die fünf Rufarten der Vögel; Alarmsysteme im Wald; lautlose und ungesehene Fortbewegung im Fluß natürlicher Abläufe; vertiefte Wahrnehmungsübungen und -spiele.
Im dritten Modul lernen die Teilnehmer über: „Pflanzen & das Leben in der Wildnis. Das Wesen der Pflanzen; Bestimmen, Sammeln und Zubereiten von essbaren Wildpflanzen; Schnüre aus Pflanzenfasern; Kochen ohne feuerfestes Geschirr; Orientierung ohne Karte und Kompass; Tarnung, verdeckte Kommunikation und Schleichen in Gruppen; das Erlebnis der Stille; die innere Stimme; Natur als Spiegel.“
Im vierten Modul lauten die Themen: „Bäume & der Weg des Mentors. Das Wesen der Bäume; Bäume als Mentoren; Coyote Teaching und die Kunst des Fragens; die Stadien des kreativen Lernens; ökologische Wahrnehmung; Methoden und Spiele zur Einfühlung in andere Lebewesen.“
Das fünfte Modul vertieft die Information über: „Säugetiere & die Kunst des Spurenlesens, Lebensstrategien von Beutegreifern und Pflanzenessern; das Leben der Säugetiere im Schnee; Umherstreifen auf den Fährten wilder Tiere; die Spurenarten der verschiedenen Tierfamilien; die sieben Künste des Spurenlesens; Wurfholz und Jagdethik; Spiele zur Einfühlung in Tiere und Übungen zur Spurenerkennung.“
Das sechste Modul widmet sich Philosophie und Organisation: „Die Kraft der Gemeinschaft, Förderung von Gemeinschaft bei Naturvölkern; Leitungskompetenz, Konfliktmanagement und Mentoring in Gruppen; Vorbereitung und Struktur von Veranstaltungen; Rechtliche Grundlagen für die Arbeit mit Gruppen; Präsentation und Feier geübter Fähigkeiten; abschließendes Coyote-Fest.“
Die wichtigsten Elemente dieser Ausbildung erfahren Teilnehmer an einem Wochenende „Leben in der Wildnis“: „In diesem Seminar geht es um grundlegende Fertigkeiten, mit deren Hilfe wir Menschen in der Wildnis leben können. Dabei lassen wir uns von der Frage leiten, welche Möglichkeiten uns die Natur selbst hierfür bietet.“
Es geht dabei nicht darum, im „Survival-Training“ zu beweisen, wie hart man ist: „Auf moderne Werkzeuge werden wir folglich verzichten. Stattdessen lernen wir vom Wissen der Naturvölker, so daß es sich um mehr als ein reines Survivaltraining handelt. Wir bekommen auch etwas davon zu spüren, wie natürliche Menschen wahrnehmen und sich in die Wildnis einfügen. Über nacktes Überleben hinaus werden wir herausfinden, wie wir uns in der Natur und mit ihr wohl fühlen können. Themen werden sein: Feuermachen ohne Streichhölzer, Herstellen einfacher Gebrauchsgegenstände, natürliche Schutzbehausung, Kochen ohne feuerfestes Geschirr, Wasser finden, vertiefte Wahrnehmung und Schleichen, Naturphilosophie u.a.“
Wer nur in die Materie hineinschnuppern möchte, für den gibt es eine Einführung: „Dieser Schnuppertag gibt Einblicke in die Lehrmethode der Wildnispädagogik. Mithilfe von Spielen, Fragetechniken und Geschichten wird Wissen über die Natur vermittelt. Gleichzeitig wird die spannende und einfache Form des Lehrens, das Coyote Mentoring, erfahrbar gemacht.“
Vorbild Naturvölker
Wildnispädagogik knüpft an das Wissen, die Methoden und das pädagogische Verständnis traditioneller Kulturen an. Sie vermittelt Techniken und Fähigkeiten, um in der Natur zu überleben und sich in ihr zuhause zu fühlen.
Das direkte Hineingehen in die „Wildnis“ unterscheidet Wildnispädagogik von anderen Formen der Umweltbildung und Naturerziehung.
Wildnispädagogik kehrt die Leitlinien der Pädaogik des modernen Europas um: Deren Ziel war und ist, bei Kant wie bei Marx, bei Hegel wie bei Spinoza, den Menschen durch Bildung von den „Fesseln der Natur“ zu befreien.
Es ging also darum, die Wildnis durch die Kultur zu überwinden, die Natur durch den Geist zu kontrollieren statt darum, in dieser Wildnis zu leben. Genau darum geht es hingegen in der Wildnispädagogik.
Das pädagogische Ziel ist es, das Eingebundensein in die natürlichen Zusammenhänge wieder ins Bewusstsein zu bringen, und sich in Einklang mit der Natur zu begeben. Das wiederum soll zu einer nachhaltigen Lebensweise führen.
Therapie
Wildnispädagogik dient auch der Therapie. Erlebnisse in der Natur aktivieren eine Sinnlichkeit, die wir im städtischen Alltag vergessen, und das Lernen in der natürlichen Umwelt stärkt die Wahrnehmungsfähigkeit.
Studien aus Psychologie, Neurologie und Neurobiologie belegen, dass eine sinnliche und emotionale Bindung an die nichtmenschliche Natur wesentlich ist für die psychische Gesundheit.
Wildnispädagogik ist indessen nicht das gleiche wie Wildnistherapie. Bei der Wildnistherapie werden Intensiv-Straftäter in Gruppen der Natur ausgesetzt, um dort im Teamwork grundlegende Herausforderungen zu meistern und so soziales Verhalten zu lernen.
Das spricht zwar dafür, dass Lernen in der Natur sogar psychisch auffällige Menschen heilen kann, die gängige Weiterbildung durch Wildnispädagogen richtet sich jedoch an „normale“ Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Sie umfasst Survival-Techniken ebenso wie Fährtenlesen, Vogelstimmen, Tier- und Pflanzenkunde, lautloses Bewegen, Feuer machen mit Hölzern oder Feuerstein, Essen aus Wildkräutern zuzubereiten, Tier- und Pflanzenkunde oder Natur-Mentoring.
Neben den praktischen „Fächern“ gehört aber auch das Weltbild traditioneller Völker zum Programm, zum Beispiel im Rahmen von Schamanismus-Seminaren. Grundlage auch dafür sind Erfahrungen der Teilnehmenden in der Natur.
Wildnistherapie fußt auf dem Erfahren von Gemeinschaft, das auch für die Wildnispädagogik wesentlich ist. Dissozial geprägte Jugendliche sollen so lernen, dass sie in der Natur nur als Gemeinschaft stark sind.
Die Geschichte der Natur- und Wildnispädagogik
Der Begründer der Naturpädagogik, Joseph Cornell, erkannte in den 1970er Jahren vier Ebenen der Naturbegegnung.
1.) Eine Basis der Vertrautheit schaffen. Dazu werden die Teilnehmer mit sinnlichen Erfahrungen und Spielen an den Lebensraum herangeführt und finden so in der neuen Umgebung als Gemeinschaft zueinander.
2.) Das Entdecken und Kennen Lernen der Natur.
3.) Das Vertiefen der sinnlichen Erfahrung, zum Beispiel durch Isolieren eines Sinnes: Den Wald tasten, das Meer riechen, die Steppe hören.
4.) Das Vertiefen durch spielerische Identifikation mit anderen Lebewesen und durch Meditation, um sie die Verbundenheit mit der Natur und das Einssein mit allem Leben zu erfahren.
Laut Cornell, setzt die Methode der Naturpädagogik auf Ganzheitlichkeit und setzt dies um durch:
– Wahrnehmungsspiele
– Spiele in und mit der Natur
– Künstlerisches Gestalten
– Handwerkliches Tun
– Stille und Ruhe in der Natur erfahren
– Leben in der Natur
– Forschendes Entdecken
– Vermittlung von Wissen über die Natur
Cornell stammte aus Nordkalifornien und entwickelte sein Naturerlebnisprogramm für die Universität, danach arbeitete er mehrere Jahre an Schulen und bei den Pfadfindern.
Er wollte Begeisterung wecken, eine konzentrierte Wahrnehmung lehren, unmittelbare Erfahrungen ermöglichen und diese Anregungen teilen.
Die Wildnispädagogik in Deutschland wurde ebenfalls von den USA inspiriert. Tom Brown gründete in den 1990ern die „Tracking, Nature and Wilderness Survival School“. Deutsche Schüler von ihm gründeten hierzulande Wildnisschulen.
Dabei gibt es in Deutschland keine offizielle Ausbildung. Die Wildnispädagogen bringen ihre eigenen Erfahrungen und Austausch mit traditionellen Kulturen ebenso ein wie pädagogische Qualifikationen, biologische Studien oder verwandte Berufe.
Den roten Faden gibt die Philosophie und das Wissen von traditionellen Kulturen, allerdings verknüpft mit den Erkenntnissen und Methoden der modernen Naturwissenschaft.
Natur- und Kulturinterpretation
Die Naturinterpretation stammt ebenfalls aus den USA, und heute praktiziert sie das Team im Nationalpark Eifel. Hier geht es vor allem darum, spannende Geschichten hiter dem Geschehen in der Natur des Nationalparks zu entdecken und den Besuchern zu vermitteln.
Ein Nationalpark ist der Bereich im Naturschutz, wo die Natur wieder Wildnis sein darf, also so weit wie möglich sich selbst überlassen bleibt – im Unterschied zu Naturschutzgebieten, die Menschen in begrenztem Umfang nutzen bzw. die teilweise nur durch menschliche Eingriffe existieren.
Sie unterscheiden sich auch von Naturparks und Biosphären-Reservaten, also naturnahen und traditionellen Kulturlandschaften, die in ihrem gesamtem Charakter erhalten bleiben sollen, aber als Kulturlandschaft keine Wildnis sind.
Deutsche Nationalparks haben einen Bildungsauftrag und führen nach dem Motto „Natur Natur sein lassen“ Programme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch. Dabei orientieren sie sich in der Regel weniger an so genannten Naturvölkern, sondern an Konzepten der Naturpädagogik, der Naturinterpretation, der Ökopädagogik und der Erlebnispädagogik, aber auch dem Flow Learning und der Earth Education.
Wildnisschulen
Wildnisschulen richten sich an Privatleute, an Schulen, Kindergärten und außerschulische Bildungsstätten mit Seminaren und Projekten.
Sie lehren unabhängig von Großschutzgebieten, und sehen die Übergänge zwischen Wildnis, Kultur und Zivilisation als fließend an. Es geht darum, ein Bewusstsein zu schaffen, die „kleine Wildnis“ zu erkennen und zu entdecken – auf Vogelgesang statt auf Autolärm zu achten, den Stieglitz auf der Distel neben der Müllhalde zu sehen, zu erkennen, ob ein Steinmarder oder eine Katze unter dem Auto sitzt.
Dieser Ansatz hat ebenfalls Vorbilder in den USA, wo American Natives lehrten, die Fähigkeiten der Scouts, Waldläufer und Krieger auch im „Großstadtdschungel“ anzuwenden.
Seit 2000 existiert ein Netzwerk von Wildnispädagogen, das WIND, und seit 2007 gibt es in Deutschland offizielle Waldkindergärten mit wildnispädagogischen Methoden. Seit 2009 entwickelt das 8 Shields Institut eine internationale Struktur für Wildnispädagogen.
Damit professionalisiert sich die Wildnispädagogik zunehmend.
Weiterbildung richtet sich an Lehrkräfte, Erzieher, Biologen, Förster, Heilpraktiker und Ärzte, die mit Naturheilmethoden arbeiten, Ergo- und Verhaltentherapeuten, Fremdenführer, Menschen, die im Ökotourismus arbeiten und an alle anderen, die in diesem Bereich arbeiten wollen.
Generelle Schwerpunkte der Weiterbildung sind:
– Grundlagen der wildnispädagogischen Arbeit, mögliche Berufsfelder, persönliche Entwicklung, individuelle Bedürfnisse der Teilnehmer
– Techniken und Fertigkeiten zum einfachen Leben mit der Natur
– Kenntnisse über die natürliche Welt, Tiere und Pflanzen
– Überlebenstechniken
– Einfluss der Ernährung
– friedliche Kommunikation, um höhere Kommunikationsformen zu ermöglichen.
– Techniken, um Teams zu leiten
Worauf achten?
Wer erfolgreich an der Ausbildung teilnimmt, erhält zwar ein Zertifikat und kann als Wildnispädagoge arbeiten, doch Wildnispädagogik ist kein offizielles Studium.
Wenn Sie an einer Ausbildung oder einem Wochenendseminar teilnehmen wollen, informieren Sie sich am besten über die Seriosität der Lehrkräfte.
1.) In welchem Rahmen findet das Seminar / der Lehrgang statt. Nationalparkverwaltungen und Seminarhäuser des NABU wie die NABU-Akademie Sunder setzen fachliche Standards für Lehrkräfte voraus.
2.) Über welche Vorerfahrung verfügen die Lehrkräfte? Haben sie ein einschlägiges Studium absolviert, zum Beispiel Lehramt, Biologie, Forstwirtschaft , Ethnologie, Geschichte, Archäologie wie Umweltbildung oder zumindest einen glaubwürdigen Werdegang? Haben sie Erfahrungen mit indigenen Kulturen, die über einen Kurztrip in die USA hinaus gehen? Publizieren sie in Fachmagazinen? Das spricht für einen fundierten Hintergrund.
3.) Bieten sie erstens konkrete und konkret nachprüfbare Module in Wildnistechniken an? Zum Beispiel das Bestimmen von Vogelstimmen, Spuren von Säugetieren erkennen, verschiedene Arten ein Feuer zu entfachen?
Gehen zweitens ihre weltanschauliche Lehren damit einher, zum Beispiel, indem sie zeigen, wie wir unsere Sinne durch diese reale (!) Naturerfahrung schärfen können und sich darauf beziehen? Dann zeugt das von Seriosität.
Oder können sie einen Seeadler nicht von einem Mäusebussard unterscheiden, erzählen aber davon, die „Kraft des Adlers“ zu spüren? Erzählen sie vom „Einklang mit der Natur“, brechen aber lebendige Äste ab, um ein Feuer anzuzünden?
Dann stimmt etwas nicht – auch spirituelle Lehrer so genannter Naturvölker verfügen über ein empirisch gesättigtes Wissen der sie umgebenden Natur, von dem sich ihre Spiritualität ableitet.
4.) Behaupten Lehrkräfte, spirituelle Rituale von American Natives zu lehren, die diese Natives selbst nicht an Außenstehende weitergeben – „die heilige Pfeife rauchen“, „Tanz der Berggeister“, „Brujos erkennen“ etc. und versprechen den Teilnehmenden dadurch „höhere Weisheit“? Hat der „Lehrer“ einen Traumfänger mit heulendem Wolf vor dem Vollmond hinter der Windschutzscheibe?
In diesem Fall ist äußerste Vorsicht angesagt, denn es zeugt von Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die in diesen spirituellen Systemen leben.
5) Wird die Wildnispädagogik ergänzt mit Zutaten aus der „Wundertüte“ der postmodernen Esoterik wie „keltischem Baumhoroskop“, „Engelsheilung“, „Chakren“ oder „Heilen durch Hand auflegen“? Kommen noch „Erweckungserlebnisse“ dazu, nach dem Motto: „Irgendwann brach ich aus meinem Job als Bankkaufmann aus, fuhr in das Indianerreservat, und der Schamane erleuchtete mich.“
Dann lassen sie die Finger davon; traditionelle Kulturen sind notgedrungen pragmatisch, und Wildnispädagogik steht postmoderner Weltflucht diametral entgegen.
Eine seriöse Lehrkraft vorausgesetzt, erweitert Wildnispädagogik ihren Horizont jedoch in vielerlei Hinsicht: Wo vorher „nur Bäume“ waren, öffnet sich ein eigener Mikrokosmos; sie lernen ihren eigenen Körper neu kennen, der sich in Anpassung an diese Wildnis entwickelte; sie erfahren praktisch, dass unsere Zivilisation aus der Natur entstand, und ohne sie nicht überleben kann. Sie entwickeln Selbstvertrauen: Wenn der Motor streikt, das Smartphone ausfällt und kein Kiosk in der Nähe ist, können sie Nahrung sammeln, ein Feuer entfachen und einen Unterschlupf bauen. Sie finden, vor allem, die Verbindung zur lebendigen Mitwelt.
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Moritz Busching: Erlebnispädagogik im Aktionsfeld Natursport und Wildnispädagogik, AV Akademikerverlag, 2014
- Hans-Joachim Schemel und Torsten Wilke: Kinder und Natur in der Stadt, Bundesamt für Naturschutz (BfN), (Abruf 13.10.2019), BfN
- Marina Robb, Victoria Mew, Anna Richardson: Learning with Nature - A How-To Guide to Inspiring Children Through Outdoor Games and Activities, UIT CAMBRIDGE LTD, 2015
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.