Ölziehen ist eine Methode aus der Volksmedizin, bekannt aus Indien, Russland und der Ukraine. Wir bezeichnen es auch als Ölsaugen und Ölkauen. Damit ist ausgedrückt, worin diese Handlung besteht: Wir saugen Pflanzenöl in den Mund, kauen es durch und ziehen es mit dem Speichel durch die Zähne und den Rachenraum. Das soll dazu dienen, Schadstoffe aus dem Körper zu ziehen.
Inhaltsverzeichnis
Ölziehen – Die wichtigsten Fakten
- Bei dem auch als „Ölsaugen“, „Ölkauen“ oder „Ölkur“ bekannten Verfahren wird Öl durch den Mundraum gezogen, um Giftstoffe aus dem Körper zu spülen.
- Das Ölziehen soll die Zähne reinigen und bei diversen Krankheiten helfen – von Nierenleiden über Thrombosen bis hin zu Bronchitis.
- Das Mundspülen mit Öl kennen wir aus der indischen sowie aus der russischen Volksmedizin, und sie entstanden vermutlich unabhängig voneinander.
- Einen wissenschaftlichen Beleg für medizinische Wirkungen der Ölkur gibt es nicht.
Ölsaugen – Eine lange Geschichte
In Indien ist Ölziehen bereits aus der ältesten Schrift der Ayurveda-Heilkunde belegt, in der Charaka Samhita. Dort heißt die Methode Kavala Gandoosha. Die Ölkur sollte dieser 2000 Jahre alten Schrift zufolge mit Sesamöl erfolgen und gegen mehr als 30 Krankheiten helfen.
In Russland und der Ukraine war hingegen Sonnenblumenöl das Mittel der Wahl. Zumindest in dieser Form kann das Ölziehen nicht uralt gewesen sein, denn die Sonnenblume kam erst mit der Eroberung Amerikas durch die Europäer nach Russland.
Wogegen soll Ölziehen helfen?
Das Öl soll Schadstoffe über Zunge und Mundschleimhaut aus dem Körper ziehen, indem es die Speicheldrüsen anregt. Es handelt sich, den Anhängern und Anhängerinnen zufolge, um ein Allroundmittel gegen
- Kopfschmerzen,
- Ekzeme,
- Akne und Schuppenflechte sowie Neurodermitis,
- Arthrose,
- Thrombosen,
- Blasen- und Nierenbeschwerden,
- Bronchitis,
- Erkältungen (grippale Infekte),
- Regelschmerzen,
- Wechseljahrbeschwerden,
- Magenprobleme und Magen-Darm-Erkrankungen,
- Herzkrankheiten,
- Blutkrankheiten
- und Leberbeschwerden.
Ölkur zur Reinigung der Zähne
Ölziehen soll zudem die Zähne reinigen und die Mundflora von Schadstoffen befreien, die im Öl haften bleiben. Demnach hilft es gegen
- Zahnfleischbluten,
- Karies,
- Zahnverfärbungen,
- Mundtrockenheit,
- rissige Lippen,
- Mundgeruch
- und Zahnbelag.
Zähne weißen durch Ölziehen?
Anhänger und Anhängerinnen der Methode sehen es als kostengünstige Alternative zur professionellen Zahnreinigung beim Zahnarzt beziehungsweise bei der Zahnärztin und schwören darauf, dass tägliches Ölziehen über einen längeren Zeitraum zu helleren Zähnen führt. Ausgeschlossen ist das nicht.
Der hässliche, gräulich-gelbe Belag auf den Zähnen entsteht durch Bakterien, Nahrungsrückstände, Tee- und Kaffeekonsum oder Rauchen. Öl bindet womöglich einen solchen Belag und kann ihn mit der Zeit abtragen.
Erwarten Sie aber keine Wunder. Einen möglichen Effekt, also hellere Zähne, werden Sie nur dann sehen, wenn Sie über mehrere Wochen hinweg täglich zehn Minuten Ölziehen und sich zudem regelmäßig mit einer antibakteriellen Zahncreme intensiv die Zähne putzen. Außer anekdotischen Berichten fehlen für ein solches Zahnweißen die Belege.
Wie geht Ölziehen?
Als Erstes reinigen Sie die Zunge mit einem Zungenschaber und spucken die Rückstände aus. Das Schaben raut die Zunge auf und so kann das Öl in die Poren eindringen.
Nun nehmen Sie circa zwei Esslöffel Speiseöl in den Mund. Sie können hierfür zum Beispiel
- Sonnenblumenöl,
- Rapsöl,
- Kokosöl
- oder Olivenöl
verwenden und ziehen dieses mindestens zehn Minuten im Mund hin und her, im gesamten Rachenraum.
Dabei drücken Sie das Öl zwischen die Zähne und ziehen es gut durch. Achten Sie auch darauf, dass Sie das Öl durch die Mundtaschen im hinteren Backenbereich spülen.
Diesen Bereich erfassen Sie beim Zähneputzen nicht und gerade hier sammeln sich Nahrungsreste, Fremd- und Abfallstoffe, die den Bakterien als Nahrungsgrundlage dienen. Diese Bakterien verursachen Mundgeruch. Bleiben die Rückstände im Öl haften, verbessert sich der Geruch Ihres Atems.
Nicht schlucken!
Schlucken Sie das Öl nicht hinunter – es ist mit konzentrierten Verunreinigungen belastet! Spucken Sie es ins Klo oder entsorgen es über den Hausmüll.
Vielen ist es unangenehm, zehn Minuten das Öl im Mund zu behalten und in dieser Zeit nicht richtig sprechen und schlucken zu können. Sie können sich die Zeit vertreiben, indem Sie ihre Lieblingsmusik hören, ein Buch lesen oder im Internet chatten.
Wenn Sie das Öl ausgespuckt haben, spülen Sie den Mund mit reichlich klarem Wasser. Danach putzen Sie mit Zahnbürste und Zahnwasser ausgiebig die Zähne.
Vorteile von Ölziehen
Ein Vorteil soll im Vergleich zu Zahnpasta sein, dass das Öl auch durch die Räume zwischen den Zähnen zieht, wo sich Fremdstoffe, Nahrungsreste und Bakterien ansiedeln. Das gilt indessen auch für Mundpflegegels, die eine ähnliche Konsistenz haben.
Wissenschaftliche Belege
Wissenschaftlich belegt sind Krankheitsheilungen hierdurch nicht. Es existieren lediglich wenige Studien, denen zufolge sich das Ritual positiv auf die Zahngesundheit auswirkt und gegen Zahnbelag und Zahnfleischentzündungen ähnlich wirken soll wie eine antibakterielle Mundspülung.
Diese Studien weisen aber methodische Fehler und sehr geringe Teilnehmerzahlen auf, sind also nicht aussagekräftig. Das gilt jedoch auch für Studien, nach denen Ölziehen schlechter wirkt als Mundspülungen.
Acht klinische Studien liefen nur wenige Wochen. In so kurzer Zeit lässt sich nicht testen, ob Ölkauen, wie von den Anhängern und Anhängerinnen behauptet, gegen Karies schützt. Die von Befürwortern und Befürworterinnen vertretene Entgiftung wurde ebenfalls nicht belegt und widerspricht zudem wissenschaftlichen Erkenntnissen: Giftstoffe lassen sich so nicht aus der Mundschleimhaut „ziehen“.
Zu den Wirkungen des Ölziehens, die ihm nachgesagt werden, wie beispielsweise gegen Kopfschmerzen, Rheuma, Blasen- und Nierenleiden, Arthrose oder Hautprobleme, gibt es keinerlei Forschung.
Zwei Studien untersuchten, ob das Ölkauen vor einer Zahnfleischentzündung schützt. Das Ölziehen wurde dabei mit einer antibakteriellen Mundspülung verglichen, diese enthielt Chlorhexidin. An den Studien nahmen jedoch nur jeweils 20 Personen teil. Bei einer so kleinen Gruppe schwanken die Ergebnisdaten stark.
Andere Studien sollten nachweisen, wie sich Ölsaugen auf die Menge der Kariesbakterien auswirkt. Das Manko daran: Die Zahl dieser Bakterien ändert sich innerhalb von Stunden, zum Beispiel, wenn wir etwas essen oder uns die Zähne putzen. Die Menge der Bakterien auf den Zähnen zum Messzeitpunkt sagt deshalb so gut wie nichts aus.
Ölziehen zum Entschlacken?
Die Anwendungen werden von Anhängern und Anhängerinnen als „ganzheitliche Medizin“ empfohlen, um den Körper zu „entgiften und entschlacken“. Dahinter steckt ein vormodernes Erklärungsmodell, nach dem sich Giftstoffe und „Schlacken“ im Körper wie in einem Kohlebergwerk anhäufen und zu Krankheiten führen. Diese Vorstellung war im Spätmittelalter in Deutschland weit verbreitet.
In der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wich sie jedoch empirischer Forschung nach den Ursachen von Krankheiten. Durch die moderne Medizin wurde diese imaginäre Gefahr mit der Entdeckung von Viren und Bakterien als Krankheitserregern ad acta gelegt.
Da es demnach diese „Schlacken“ im Körper nicht gibt, gibt es auch nichts zu entschlacken – weder mit Öl, noch mit Fasten oder Meditation.
Eine uralte Heilmethode?
Im Ayurveda ist Ölziehen mit Sesamöl zwar seit 2000 Jahren als Heilmethode bekannt, dieser Umstand verdeckt jedoch womöglich einen viel praktischeren Grund, warum Menschen in Indien Öl für die Mundhygiene saugen. Denn bis in die jüngere Zeit war und ist noch heute in sehr vielen indischen Dörfern industriell hergestellte Zahnpasta kaum verfügbar.
Ölziehen, egal welche Heilungen von Krankheiten ihm nachgesagt wurden, ist also erst einmal eine Methode, sich die Zähne zu reinigen, da Öl im Unterschied zu Zahnpasta immer verfügbar war. Tatsächlich lassen sich größere Partikel mit dem Öl aus dem Mundraum ziehen, reinigend wirkt die Ölpflege also in jedem Fall. Doch der Verdacht regt sich, dass hier ein traditionelles indisches Hausmittel zur Mundhygiene als neuester Schrei für den Gesundheitsmarkt in westlichen Ländern entdeckt wurde.
Nebenwirkungen?
Ölziehen hat keine direkt schädlichen Nebenwirkungen. Die verwendeten Pflanzenöle sind Lebensmittel. Manche Menschen zeigen aber psychisch bedingte Reaktionen, weil sie reines Öl im Mund unangenehm finden – dann kann sich sogar ein Würgereflex einstellen.
Ölziehen – Ja oder Nein?
Eine medizinische Wirksamkeit des Ölziehens ist nicht belegt und auch unwahrscheinlich. Zudem enthalten hygienische Mundspülungen antibakterielle Wirkstoffe und verbreiten einen angenehmen Geruch beim Ausatmen.
Und für die meisten Menschen ist es angenehmer, kräftig mit einer Mundspülung zu gurgeln, als täglich zehn Minuten Öl im Mund hin und her zu ziehen, auch wenn dieses schonender mit der gesunden Mundflora umgeht. Ein medizinischer Grund, Öl zu ziehen, existiert nach dem heutigen Wissensstand nicht. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Kandaswamy, Saravana K. et al.: Comparison of the Effectiveness of Probiotic, Chlorhexidine-based Mouthwashes, and Oil Pulling Therapy on Plaque Accumulation and Gingival Inflammation in 10- to 12-year-old Schoolchildren: A Randomized Controlled Trial, in: International Journal of Clinical Pediatric Dentistry, 11(2): 66–70, März-April 2018, PMC
- Sooryavanshi, Sujata; Mardikar, B.R.: Prevention and treatment of diseases of mouth by gandoosha and kavala, in: Ancient Science of Life, 13(3-4): 266-70, 1994, NCBI
- Paungger, Johanna; Poppe, Thomas: Aus eigener Kraft: Gesundsein und Gesundwerden in Harmonie mit Natur- und Mondrhythmen, Goldmann 1996
- Wolfram, Katharina: Die Ölzieh-Kur: Heilung durch Entgiftung, Schirner Verlag, 2015
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.