Traumdeutung ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Unsere Vorfahren glaubten, die Geister der Toten oder Götter zeigten sich in den Träumen, die Psychologie holte die Träume in unser Inneres zurück als Verarbeitungen unbewusster Prozesse. Heute sehen Anthropologen wie Evolutionsbiologen Träume als in der Evolution entstandene Überlebensstrategie an. Ein wissenschaftlicher Dammbruch, vergleichbar mit Darwins Erkenntnis über die Evolution der Lebewesen, steht in der Traumanalyse aber noch aus.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Traumdeutung?
Traumdeutung umfasst alle Praktiken und Modelle, um die Gefühle, Bilder und Geschehnisse in Träumen mit verschiedenen Methoden zu deuten. Die unterschiedlichen Herangehensweisen, religiöse wie psychologische, anthropologische wie neurobiologische, haben alle gemeinsam, dass sie in den Traumbildern einen Sinn vermuten, der entschlüsselt werden kann. Wer Träume für sinnlos hält, deutet sie nicht.
Frei gesetzte Erinnerungen
Aus der Hirnforschung wissen wir heute, dass das Gehirn im Schlaf Zugriff auf Gedächtnisinhalte hat, die im Wachzustand versperrt bleiben. In letzterem verknüpfen Teile des Gehirns Gedanken und entwerfen strukturierte Lösungsmodelle.
Diese Hirnareale sind im Schlaf nicht aktiv. Darum erleben wir im Traum auch Erinnerungen, und das Gehirn liefert die passenden Bilder dazu.
Es ist also kein Zufall, dass unsere Vorfahren Schlaferlebnisse als Botschaften der Ahnen betrachteten, denn auf eine bestimmte Art können wir im Traum in die Vergangenheit sehen.
Das Drehbuch
Dabei „arbeitet“ der Traum ähnlich wie ein Filmskript, das anhand eines Drehbuchs ein Thema aufgreift und dieses in einer Story verpackt. Habe ich zum Beispiel zu viele Sachen einzupacken und verpasse deshalb mein Flugzeug, zeigt er vermutlich, dass ich in zu vielen Projekten stecke und warnt mich, dass diese nicht alle gleichzeitig erledigt werden können.
Die Vorstellung Freuds (siehe unten: “Traumdeutung bei Freud und Jung”), dass Träume komplizierte verdrängte Botschaften enthalten, gilt heute als überholt. Vielmehr scheinen diese Themen sehr direkt zu vermitteln.
Es gibt, der neuen Traumforschung zufolge, auch keine objektiv richtige Deutung der Schlaferlebnisse, und eine absolute Wahrheit ist nicht deren Aufgabe.
Träume weisen auf Probleme und Verhaltensmuster hin
Träume sind vielmehr Inspirationen, zu einem Thema Lösungen zu finden oder genauer darüber nachzudenken. Erfolgreiche Deutung bedeutet vielmehr, bestimmte Verhaltensmuster und Probleme zu erkennen, auf die ein Traum hinweist:
Stehe ich darin immer wieder vor einer Tür und habe Angst, diese zu öffnen? Welche Schwelle im Leben macht mir Angst? Wo bin ich blockiert?
Ist meine Wohnung mit Menschen überfüllt, die ich nicht mag? Dann habe ich vermutlich ein Problem, mich abzugrenzen. Schlaferlebnisse geben demnach wenig detaillierte Informationen, sondern weisen auf die generellen Schwächen und Stärken eines Menschen hin.
Seele und Körper
Dabei können diese sowohl körperliche wie psychische Ursachen haben. Wer zum Beispiel häufig träumt zu fallen, hat meist Angst, aus seiner derzeitigen Lebenssituation herauszufallen.
Sei es, dass die Ehe bröckelt, sei es, dass er fürchtet, seinen Job zu verlieren oder bei einer Prüfung zu scheitern. Umgekehrt haben Menschen solche Erlebnisse aber auch, wenn der Blutdruck im Schlaf sinkt.
Träumt jemand, dass er nackt ist und ihm dieses im Traum peinlich ist, befindet er sich womöglich in einer Lebenssituation, in der er sich verletzlich fühlt, sei es, dass sein Chef ihn überkontrolliert, sei es, dass er die Rituale, Beziehungen und Intrigen am neuen Arbeitsplatz noch nicht kennt.
Klarheit besteht inzwischen darüber, dass Vorstellungen von Traumsymbolen, die das und das bedeuten, objektiv so wenig valide sind wie Sternzeichen oder Tarotkarten. Träume entstehen in uns selbst, und sie spiegeln unsere eigenen Wünsche, Hoffnungen und Ängste.
Das Traumbewusstsein ist dem Wachbewusstsein sehr ähnlich: Wo das Wachbewusstsein diese Wünsche durchdenkt, liefert ersteres dazu Fantasiebilder
Geschichte der Traumdeutung: Ahnenkult und Geisterglauben
Religiosität gehört aus anthropologischer Sicht zur ersten Natur des Menschen, also zu unserer biologischen Grundausstattung. Es ist demnach natürlich, dass Menschen an übersinnliche Wesen glauben.
Systematisch wissenschaftlich zu denken ist indessen ein Prozess unserer zweiten Natur, der Kultur. So bedarf es mühsamer Hirnarbeit, Naturphänomene aus abstrakten Gesetzen zu erklären, während Menschen intuitiv glauben, dass ein belebter Jemand es donnern, blitzen oder regnen lässt.
Kleinkinder in allen Kulturen statten auch unbelebte Dinge mit belebtem Willen aus: Der Stein, über den sie stolpern, ist böse, die Sonne, die ihre Haut wärmt, gut.
Über viele tausend Jahre lang galten Träume folgerichtig als Kommunikation nichtmenschlicher Wesen. In Träumen verstorbener Menschen traten deren Geister in Kontakt mit den Lebenden.
Auch das Wort Alptraum kommt vom Alb, einer dämonischen Kreatur, die sich Schlafenden auf die Brust setzte und die bösen Träume verursachte.
Schamanische Kulturen räumten dem Traum höchste Bedeutung zu: Hier manifestierte sich eine nichtalltägliche Wirklichkeit, die für Lebensfragen existentiell sein konnte.
Spezialisten, die die Ethnologie unter dem Sammelbegriff Schamanen fasst, deuteten die Träume der Mitglieder ihrer Gruppe und schlossen, was diese für Konsequenzen nach sich zogen.
Sie suchten und suchen veränderte Bewusstseinszustände wie Trance und Ekstase sogar gezielt auf, um mit den Geistern in Verbindung zu treten.
Griechische Experten
Der Glaube der antiken Menschen an übernatürliche Wesen darf nicht zur Arroganz verleiten, diese hätten Träume nicht differenzieren können. Bereits Homer trennte zwischen solchen mit einer Bedeutung und nichtigen Träumen – wie auch die heutige psychologisch-neurowissenschaftliche Traumforschung zwischen den Schlaferlebnissen der REM-Phase und denen kurz nach dem Einschlafen differenziert.
In der REM-Phase sieht diese ein aktives Durcharbeiten von Lebensfragen am Werk, während die Träume nach dem Einschlafen „lediglich“ Tageserlebnisse vorbeiziehen lassen.
So erklärt Penelope Odysseus, es gäbe Träume aus Elfenbein und aus Horn. Die an dem Tor aus Elfenbein erfüllten sich, die an dem Tor aus Horn wären nichtig.
Sie selbst aber irrt sich: So träumte sie, ein Adler stoße auf die Gänse in ihrem Palast herab und töte sie, verwirft diesen Traum aber. Doch dann kommt ihr Gatte Odysseus zurück und vertreibt Penelopes Verehrer, die sich im Palast mästen „wie Gänse“.
Empathie und Psychologie
Traumdeuter waren im antiken Griechenland ein Berufsstand, der weit mehr umfasste als „göttliche Weissagen“ zu deuten. Zum einen dienten viele von ihnen Herrschenden, und da mussten sie Fingerspitzengefühl aufbringen, um die Träume der Mächtigen so günstig zu deuten, dass die Traumdeuter nicht ihren Kopf verloren.
So sah Alexander der Große im Traum einen Satyr, ein Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock aus dem Gefolge des lüsternen Gottes Dionysos und das Symbol für unkontrollierte Triebe. Dieses Schlaferlebnis hatte er während der Belagerung der Stadt Tyros.
Das Wesen umtanzte Alexander im Traum, dieser versuchte, es zu ergreifen, doch der Ziegenmensch entwich ihm, am Ende fing Alexander ihn doch. Der Traumdeuter zerlegte jetzt den Satyros in Sa Tyros, was bedeutete „Tyros wird dein“.
Alexanders Heer eroberte die Stadt, und der Mazedonier war jetzt überzeugt, dass der Gehilfe richtig gedeutet hatte. Es ging also nicht nur darum, sich in den tradierten übersinnlichen Interpretationen auszukennen, sondern auch darum, sich als Traumdeuter in das Individuum einzufühlen, dass seinen Rat suchte.
Artemidor, der Urvater der psychologischen Traumforschung
Der berühmteste Traumdeuter Griechenlands, Artemidor, stellte sogar ausdrücklich die „Seele“ als Ursache der Träume dar und hielt die Vorstellung, diese seien Botschaften der Götter, für überholt.
Die Griechen unterschieden Träume, die aus körperlichen Bedürfnissen der Schlafenden resultierten wie Hunger oder Durst von solchen, die aus Emotionen herrührten wie Liebes- oder Angstträume und diese wiederum von bedeutenden Träumen.
Bedeutende Schlaferlebnisse konnten sich demnach offen oder symbolisch zeigen, so Artemidor. Ihm zufolge müssten die kulturellen Prägungen zuerst berücksichtigt werden, bevor die Symbole entschlüsselt werden könnten.
Es gab, laut Artemidor, sowohl Symbole, die allen Menschen gemeinsam sei, wie Sitten, die eine bestimmte Deutung zuließen. So würden Syrer keine Fische essen, weil diese als Tiere der Göttin Astarte gälten.
Auch historisch veränderte sich der Inhalt: So müsse man Träume vom Baden in seiner Zeit von denen in einer Zeit unterscheiden, als die Menschen nur nach schwerer Arbeit oder bei Krankheit badeten.
Artemidor lässt sich ohne weiteres als Pionier der psychologischen Traumanalyse bezeichnen. Er hielt es für unerlässlich, dass der Traumdeuter über Hintergrund, Beruf, Besitz, körperliche Verfassung und Lebensalter des Träumers Bescheid wisse, außerdem über seinen seelischen Zustand. Er war also heutigen Vulgärdeutungen nach dem Motto „Online-Lexikon für 1000 Traumsymbole“ weit voraus.
Mehr noch: Statt als allwissenden Wahrsager sah er sich, analog zum zuhörenden Therapeuten heute, als Begleiter des Träumenden. Er warnte davor, eine Deutung herbeizuzwingen.
Stattdessen müsste der Traumdeuter sich jedes Detail des Schalferlebnisses genau anhören, vorerst ohne es zu deuten, denn auch nur die kleinste Kleinigkeit zu übersehen, könnte das Ergebnis verfälschen.
Marion Giebel zufolge hielt Artemidor Traumbilder, die unvollständig seien, weil der Schlafende Teile vergessen hatte, für undeutbar. Hier fordert er eine strenge Berufspflicht des Deuters. Der dürfe nicht interpretieren, was er nicht genau erfassen könne, denn das würde dem Betroffenen schaden.
Artemidor bildete sich selbst umfangreich, suchte jeden Traumdeuter auf, dem er begegnete, schrieb unzählige Berichte über Träume und deren Deutungen und informierte sich über die verschiedensten Methoden.
Götter und Dämonen
Die Kulturen der Antike vermuteten Götter und Dämonen als Ursache der Träume, und diese brachten den Menschen eine Botschaft. In der griechischen wie römischen Antike genossen Traumdeuter einen hohen Status, ebenso im alten Ägypten, Babylon und später in Arabien.
Dabei galten Schlaferlebnisse vor allem als „Wenn-Dann“ Botschaften. Da die Deuter einen übernatürlichen Ursprung vermuteten, waren Träume also weniger Hinweise darauf, mit welchen Problemen sich ein Mensch beschäftigte, sondern schicksalhafte Voraussagen mit der Kernaussage „wenn du dies oder jenes im Traum siehst, passiert das und das“.
Die monotheistischen Religionen sahen Träume als von Gott oder dem Teufel bzw. Dämonen verursacht und so entweder als Prophezeiungen der Zukunft oder als Irreführung wie Versuchung. So sollten so genannte Incubi oder Succubi sexuelle Träume auslösen, um die keuschen Gläubigen zu „verderben“.
Die Muslime unterschieden zwischen dem Wortbild eines Traums und dessen allegorischer Bedeutung: So sollte ein Christ, der in diesem auftrat, dem träumenden Muslim einen kommenden Sieg prophezeien.
Traumdeutung bei Freud und Jung
Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts lehnte es ab, Träumen Botschaften zuzuschreiben. Traumdeutung fiel für sie in den Bereich von Magie, Quacksalberei und Irrglauben. Jetzt sollten Schlaferlebnisse deutlich von der Realität unterschieden werden.
Parallel zogen Aufklärer diese aber auf eine weltliche Ebene, also vom Bereich des Übernatürlichen in das Natürliche, vom Götterhimmel in die Psyche des Menschen. Die moderne Traumdeutung führten Sigmund Freud und sein Schüler Carl Gustav Jung ein.
Beide sahen sie als wesentliche Informationen über unbewusste Geschehnisse im Menschen. Freud sprach von Traumanalyse. Ihm zufolge würden psychische Inhalte gebremst, bevor sie das Bewusstsein erreichten, im Schlaf jedoch kämen diese ins Unbewusste verdrängten Inhalte zum Vorschein und würden als Träume zu einem Vorbewussten.
Laut Freud vermischten sich in ihnen Tagesreste, Langzeitgedächtnis und Bewusstseinsinhalte außerhalb des Koordinatensystems von Raum und Zeit des Wachbewusstseins. Zugleich bliebe aber die Zensur durch das Bewusstsein erhalten, unangenehme Inhalte auszusperren, und darum ließe sich ein Traum nur über eine Analyse entschlüsseln. Trauminhalte waren für Freud symbolisch.
Freud und sein Schüler Jung zerstritten sich an ihren unterschiedlichen Ansätzen zur Traumdeutung. Jung vermutete, im Gegensatz zu Freud, ein allen Menschen eigenes kollektives Unbewusstes, wobei er offen ließ, ob dieses einen spirituellen oder biologischen Ursprung hatte.
Demnach traten in menschlichen Mythologien weltweit immer wieder die gleichen Muster auf, weil diese im Menschen natürlich verankert sind – Jung nannte sie Archetypen. Dazu gehörten Animus und Anima als Urmuster von Verstand und Leben.
Träume waren für Jung also keinesfalls „nur“ verschlüsselte Hinweise auf verdrängte Inhalte des Unbewussten, sondern eine unmittelbare Darstellung einer inneren Wirklichkeit. Die darin auftretenden Symbole sollten, laut Jung, nicht seziert werden, sondern seien ganzheitlich – sie stünden für sich. Symbole waren laut Jung also fixiert, während Freud sie aus der individuellen Erfahrung des Träumenden ableitete.
Außerdem zerstritten sich Freud und Jung an ihrem Verhältnis zu Religion und Esoterik. Für Freud war entscheidend, dass Traumdeutung im Einklang mit biologischen Erkenntnissen stehen musste: Auf dieser Basis entwickelte er sein Strukturmodell der Psyche. Jung hingegen sah Gott als voran gestellten Archetyp und verband Psychotherapie mit Religion.
Der Theologe Eugen Drewermann skizziert Jungs Grundannahme wie folgt: „Die Träume können unmöglich nur hervorgegangen sein (…) aus gesellschaftlich zeitbedingtem Druck, sondern da ist etwas buchstäblich Ewiges im Menschen.“
Das „kollektive Unbewusste“
Laut Jung war das „kollektive Unbewusste“ das Meer, aus dem Religionen, Mythologien, Erzählungen und Märchen ihren Stoff schöpften. Religion war für ihn die Herangehensweise des Menschen an etwas Sakrales, das ewig im Menschen ruhte. Dabei sah er die Formen der Religion in der Gesellschaft immer durch die Brille des Psychologen.
Freud hingegen war dezidiert antireligiös und hielt Geister, Götter und Dämonen für psychische Konstruktionen, im Wortsinn für Hirngespinste. Er lehnte Jungs Ansatz ab, weil dieser, Freud zufolge, die Naturwissenschaft negierte.
Diese gegensätzlichen Ansätze führten zu unterschiedlichen Methoden: Bei Jung musste der Analytiker beim Auftreten von Traumsymbolen lediglich nachschlagen, was diese bedeuteten und in einen Zusammenhang mit mythologischen Storylines stellen.
Freund hingegen hielt nicht eine fixe Deutung der Symbole durch den Therapeuten, sondern die freien Assoziationen, die der Patient selbst zu seinen Trauminhalten hatte, für entscheidend. Heute zeigt sich, dass Jung wie Freud teilweise im Recht, teilweise im Unrecht waren.
Andere Ansätze
Psychotherapie bedeutet nicht nur Freud und Jung, und auch Methoden, die im „Urgrund“ auf Freud oder Jung basieren, entwickelten ein Eigenleben. Andere Ansätze sind zum Beispiel Gestalttherapie und Daseinsanalyse.
Die Gestalttherapie bricht mit der Freudschen Analyse, die sich auf das Gespräch, also die verbale Analyse, konzentriert. Sie sieht in den Trauminhalten, auftretenden Menschen, Wesen und Dingen, dem Bewusstsein verlorene Aspekte des Träumers selbst.
Diese soll derjenige nicht sezieren, sondern erkennen und integrieren. Dadurch setzt er sie gestalterisch um, tritt in einen Dialog mit Traumfiguren oder stellt Szenen des Traumes wie in einem Theaterstück dar.
Die Daseinsanalyse hat heute kaum noch Bedeutung. Sie stellt Freuds Tiefenpsychologie in Frage und dehnt den Seinsbegriff Heideggers auf die Traumdeutung aus.
Demnach gibt es kein verborgenes Unbewusstes in den Traumbildern, sondern dem Träumer erscheint nur das, was seinem Sein entspricht. Es geht nicht um versteckte Wünsche, sondern um Verhalten und Gefühle, die der Betroffene auch im Wachzustand durchlebt.
Was sagen die Neurowissenschaften?
Die Neurowissenschaften führen Träume auf Prozesse im Gehirn zurück, also sowohl auf kognitive wie neuronale. Der Hirnforscher Gerhard Roth bestätigt dabei Freuds Strukturmodell der Psyche.
Demnach gibt es auch aus neurobiologischer Sicht ein Unbewusstes, so nähme die Aktivität der an kognitiven Prozessen beteiligten Nerven bereits zu, wenn den Betroffenen der entsprechende Gedanke noch gar nicht bekannt sei.
Gleichzeitig werden gewisse Muster in Träumen der Patienten als mögliche Hinweise auf bestimmte Erkrankungen untersucht, so sollen zum Beispiel einige Gewaltträume als Vorboten der Parkinson-Krankheit gelten.
Was wissen wir heute?
Heutige Traumdeutung geht davon aus, dass menschliche Schlaferlebnisse sowohl archetypisch wie auch individuell sind. Bei den Archetypen handelt es sich nicht, wie bei Jung, um eine „göttliche Kraft im Menschen“, sondern um in der Evolution entstandene Urmuster für archaische Weichenstellungen, die über Leben und Tod entschieden.
Bestimmte Traummuster auf dieser archaischen Ebene sind also tatsächlich allgemein menschlich und auch bei Tieren vorhanden. Dies sind Träume, die mit Flucht for (Fress-)Feinden, Angst und Kampf, Verstecken und natürlichen Bedrohungen zu tun haben.
Kinder in unterschiedlichen Kulturen träumen im frühen Alter von Tiermonstern, die sie jagen und vor denen sie sich verstecken müssen – ähnlich den Wesen, die in Märchen auftauchen.
Zugleich sind Träume von Menschen, einhergehend mit der menschlichen Kulturfähigkeit, viel individueller als die von Tieren. Hier lag Jung nicht richtig: Auch wenn es evolutionär entstandene Urmuster archaischer Träume gibt, hatte Freud doch recht, dass jene von Menschen immer auch etwas über die Erfahrungen, Konflikte und Lösungsmodelle des Individuums aussagen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Giebel, M.: "Bei Philippi sehen wir uns wieder" - Träume und Traumdeutung in der Antike, (Abruf: 10.08.2019), uni-muenchen.de
- Traum-(REM)-Schlafverhaltensstörung: Gewaltträume als Vorboten der Parkinson-Krankheit, Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2012 (Abruf 10.08.2019), dgn.org
- Kurth, H. (Hrsg): Lexikon der Traumsymbole, Heyne Verlag, 2015
- Sigmund Freud: Die Traumdeutung, Nikol (1. August 2011)
- Carl Gustav Jung: Symbole und Traumdeutung, Patmos Verlag; Auflage: 8 (1. September 2011)
Wichtiger Hinweis:
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