Andorn ist eine der ältesten überlieferten Heilpflanzen. Im Unterschied zu manch anderen Kräutern mit Heilwirkung setzten ihn Menschen vor mehr als 2000 Jahren hauptsächlich gegen die gleichen Leiden ein wie heute: Erkrankungen der Atemwege, Husten mit festsitzendem Schleim und Magen-Darm-Beschwerden. In Marrubium vulgare nachgewiesene bioaktive Stoffe bilden die Grundlage für die medizinischen Effekte.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Marrubium vulgare
- Volksnamen: Gemeiner Andorn, Gewöhnlicher Andorn, Weißer Andorn, Mariennessel, Mauer-Andorn, Weißer Dorant, Berghopfen, Apfelkraut, Gutsvergess, Helftkraut
- Familie: Lippenblütler
- Verbreitung: ursprünglich westlicher Mittelmeerraum und Nordafrika, heute auch bis Zentralasien, Mittel- und Nordeuropa
- Anwendungsgebiete:
- Katarrhe der Atemwege
- Gallenbeschwerden
- Verdauungsprobleme
- Appetitlosigkeit
- Blähungen
- Völlegefühl
- in der Volksmedizin ein Mittel gegen Menstruationsleiden
- Verwendete Pflanzenteile: Blätter und blühende Spitzen
Inhaltsstoffe
Andornkraut enthält circa 0,05 Prozent ätherische Öle, darunter Limonen, Camphen, Cymol, weiter Diterpen-Bitterstoffe, darunter als Hauptstoff das Furanolabdanlacton Marrubiin, außerdem Prämarubiin, bis zu 7 Prozent Gerbstoffe, Ursolsäure, Cholin, Flavonoide mit Flavon- und Flavonolglykosiden. Dazu gehören Quercetin, Luteolin und Apigenin. Die wirksamsten Stoffe sind die Diterpen-Bitterstoffe, vor allem das Marrubiin – die medizinisch wirksamen Öle enthalten andere Pflanzen in weit höherem Ausmaß.
Bitterstoffe lösen Schleim
Die Bitterstoffe wirken gegen Verschleimung in den Bronchien. Nicht nur im Mund und Rachen sitzen Bitterstoffrezeptoren, sondern auch auf den Muskelzellen des Bronchialsystems. Werden diese Rezeptoren durch die Bitterstoffe des Andorns aktiviert, erweitern sich die Bronchien und der Schleim kann sich lösen.
Wirkungen
Marrubium vulgareist eine Heilpflanze mit vielseitigen positiven Wirkungen für die Gesundheit.
Die Bitter- und Gerbstoffe regen die Magentätigkeit an und fördern die Produktion von Magensäure. Mehr Galle wird ausgeschüttet. Dadurch hilft Andorn gegen Beschwerden der Galle, Blähungen, Völlegefühl, Appetitlosigkeit, aber auch bei Durchfallerkrankungen. Die Gerbstoffe helfen den Darmschleimhäuten, sich nach starken Reizen und Verletzungen zu regenerieren.
Andorn unterstützt die Funktionen der Leberzellen. Die ätherischen Öle lösen festsitzenden Schleim bei bronchialen Erkrankungen und helfen so beim Abhusten. Neue Studien (2006) zu Marrubiin lassen im Tierversuch mit Mäusen zudem Effekte gegen Wasseransammlungen (Ödeme) vermuten.
Andorn wirkt gegen pathogene Bakterien wie Staphylococcus aureus. Die aktiven Stoffe sind hier die ätherischen Öle. Andorn ist zudem ein traditionelles Mittel gegen Bluthochdruck. Auch rezente Studien (2001) deuten auf eine blutdrucksenkende Wirkung über unterschiedliche Mechanismen hin. Der ethanolische Pflanzenextrakt könnte laut einer Studie (2016) alleine oder in Kombination mit anderen Wirkstoffen sogar ein guter Kandidat für eine Anti-Melanom- und Anti-Gliom-Therapie sein. Weiterführende Studienergebnisse hierzu sind aber noch nicht bekannt.
Andorn hat eine fiebersenkende Wirkung und diente in der Vergangenheit als Ersatz für Chinin. Leicht antiseptische Effekte führten dazu, dass Andorn-Extrakt auf äußere Wunden aufgetragen wurde, besonders bei Schorfbildung und Geschwüren.
Anerkannte Anwendungen
Laut dem Comitee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der EMA ist Andorn anerkannt als Arznei bei erkältungsbedingtem Husten, leichten dyspeptischen Beschwerden (Blähungen, Flatulenz) sowie bei temporärem Appetitverlust. Die Bitterstoffe fördern den Fluss der Galle. Diese Wirkungen bestätigt auch die Kommission E. Das HMPC empfiehlt die Anwendung erst ab einem Alter von 12 Jahren, und Schwangere sollten das Kraut nicht verwenden.
In der Volksmedizin verbreitete Anwendungen gegen Hautentzündungen, entzündete Schleimhäute sowie Entzündungen von Hals und Mund liegen zwar nahe, da Andorn viele Gerbstoffe enthält, klinische Studien konnten solche Wirkungen bisher jedoch nicht hinreichend bestätigen.
Nebenwirkungen
Andorn ist gut verträglich und sicher. Bei Herzerkrankungen sollte eine ärztliche Beratung hinzugezogen, bevor sie entsprechende Präparate gegen schleimigen Husten und / oder Verdauungsbeschwerden einsetzen. Nebenwirkungen sind nicht bekannt.
Andorn-Tee
Andorn wird zu Presssaft verarbeitet oder zu Tee, auch Kräuterwein und -likör sind verbreitet. Andorn-Tee bereiten wir zu, indem wir einen Teelöffel des Krauts mit 200 Milliliter heißem Wasser übergießen und circa zehn Minuten ziehen lassen. Davon trinken wir dann bis zu drei Tassen pro Tag, jeweils vor den Mahlzeiten.
Andorn-Saft
In Apotheken lassen sich fertige Andorn-Produkte kaufen – Teemischungen mit anderen Heilpflanzen, Presssäfte und getrocknetes Kraut. Andorn-Kraut liegt bei circa drei bis vier Euro pro 100 Gramm. Der Tee und der Saft werden vor allem gegen zähen Husten und Verdauungsprobleme empfohlen. In Apotheken gibt es auch fertigen Hustensaft auf Andornbasis.
Angocin Bronchialtropfen und Hustenelixier
Andorn ist Teil von einigen Fertigarzneimitteln wie Bronchialtropfen und Hustenelixieren.
Andorn erkennen
Der Andorn wächst am Wegesrand, er bevorzugt sonnige Plätze mit nährstoffreichem Boden. Wir finden ihn auf trockenen Weiden, auf Ödland und Schutthalden. Er wird bis zu 80 Zentimeter hoch, hat eine weiße Blattoberfläche, und die Blätter, die an hohlen Stängeln mit filzigem Haar sitzen, sind oben und unten ebenfalls behaart.
Von Juni bis September kommen die weißen Blüten heraus, sie sitzen in den Achseln der oberen Blätter und bilden Scheinquirle. Der Kelch hat eine Röhrenform, zeigt zehn feine Zähne mit oft hakenförmiger Spitze. Die Früchte sind oval mit glatter, unbehaarter Oberfläche und am Boden des Kelchs eingeschlossen.
Verwechslung
Der Andorn lässt sich schon mal mit Melisse oder Ackerminze verwechseln, mit denen er als Lippenblütler verwandt ist. Besonders ähnlich sind die Blätter der Katzenminze. Er hat jedoch rundere Blätter und ist im Unterschied zu den drei anderen an der Blattunterseite behaart.
Die Blüten sitzen nicht in Ähren am Triebende, sondern wie bei der Weißen Taubnessel als Kränze in mehreren Etagen über den Blattansätzen. Außerdem erkennen Sie Melisse und Minze an dem typisch zitronigen (Zitronenmelisse) und minzigen (Ackerminze) Geruch.
Andorn in der Medizingeschichte
Andorn gehört zu den ältesten schriftlich überlieferten Heilpflanzen. So empfahl der römische Medizinier Aulus Cornelius Celsus den Weißen Andorn gegen Beschwerden der Atemwege und schweren Husten, also gegen Leiden, gegen die auch heute Andorn-Produkte zum Einsatz kommen. Der Grieche Dioskurides empfahl ihn im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung gegen Erkrankungen der Atemwege und Ohrenschmerzen sowie, äußerlich aufgetragen, gegen Wunden und Geschwüre.
In der Antike sollte Andorn auch gegen Vergiftungen helfen. Heute weiß man, dass dies nicht der Fall ist.
Aber auch im frühen Mittelalter scheint der Einsatz als Gegengift eine der wichtigsten Anwendungen des Andorns gewesen zu sein, und er war in Klostergärten sehr beliebt. So schrieb Abt Walahfrid Strabo (809-849) vom Kloster Reichenau in seinem Werk „Hortulus“: „Soll ich … den Andorn besprechen, das wertvolle, kräftig wirkende Kraut. Zwar brennt es scharf im Munde und sein Geschmack unterscheidet sich sehr von seinem Geruch: Er duftet süß, schmeckt aber scharf. Er kann jedoch starke Beklemmungen der Brust lindern, wenn man ihn als bitteren Trank zu sich nimmt. Sollten die Stiefmütter je feindselig bereitete Gifte mischen in das Getränk oder in trügerische Speisen verderblich Eisenhut mengen, so scheucht ein Trank des heilkräftigen Andorns, unverzüglich eingenommen, die drohenden Lebensgefahren.“
Im Mittelalter erörtert die christliche Heilkundige Hildegard von Bingen das Kraut als effektiv gegen Beschwerden des Magens und der Atemwege. Andorn wurde zusammen mit Salbei, Thymian und Fenchel eingesetzt, und zwar in flüssiger Butter auf der Kopfhaut. Kräuterbücher des späteren Mittelalters erwähnen Andorn-Tee und Andorn-Wein als Mittel gegen verschleimte Lungen. Starker Husten wurde mit Andorn in Kombination mit Veilchenwurzel behandelt. Paracelsus nannte Andorn gar den „Arzt der Lunge“.
Neben diesen auch heute gültigen Anwendungen gegen Erkrankungen der Atemwege, Husten und Magenbeschwerden sollte das Kraut auch gegen Wurmbefall, Erkrankungen der Leber, Niere und Milz helfen und die Geburt erleichtern. Eine Mischung aus Andorn, Odermennig, Borretsch und Alant galt als Mittel gegen Verstopfung und Gelbsucht (Hepatitis), und zwar angesetzt in Wein. Ein Sud aus Andorn äußerlich aufgetragen galt als Mittel gegen Hautbeschwerden wie Grind, Feigwarzen, Ekzeme und Schuppen.
Andorn pflanzen
Als Wildkraut ist der einst allgegenwärtige Andorn heute recht selten geworden – im Garten lässt er sich derweil leicht pflanzen. Mehr noch: Er wird schnell invasiv. Er ist sehr winterhart, vorausgesetzt, die Lage ist windgeschützt. Bei nicht zu starkem Frost behält er im Winter sogar seine Blätter, die sie frisch ernten können, um sich einen Erkältungstee zu kochen.
Der Standort sollte sonnig sein, die Erde mit Kompost angereichert, aber nicht zu sehr mit Nährstoffen überfüllt. Wichtig ist ein lockerer Boden, durch den das Regenwasser abfließen kann, denn Staunässe verträgt die Pflanze nicht. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
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