„Baldrian und Bibernell, hält die Pestilenz zur Stell“ lautet ein Reim aus den Zeiten der Pest. Gegen den Schwarzen Tod half der Doldenblütler nicht, doch seine sonstigen Heilwirkungen ließen die Menschen hoffen. Die Wurzeln der kleinen und der großen Bibernelle regen den Appetit an und lösen den Schleim bei Husten.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Pimpinella major (Große Bibernelle); Pimpinella saxifraga (Kleine Bibernelle)
- Volksnamen: Pimpernelle, Bibernelle, Bibenelle, Steinbrechwurz (Kleine Bibernelle), Steinpetersilie oder Steinpeterlein (Kleine Bibernelle), Bockspeterlein, Pfefferkraut, Bumbernell, Weiße Bibernelle (Große Bibernelle), Pimpinelle, Weiße deutsche Theriakwurzel.
- Familie: Apiaceae (Doldenblütler)
- Verbreitung: Nord- und Mitteleuropa bis Zentralasien
- Verwendete Pflanzenteile: Die frischen oder getrockneten Wurzeln (Pimpinellae radix)
- Inhaltsstoffe: Saponine, ätherische Öle, Harze, Gerbstoffe, Bitterstoffe, Cumarine und Polyacethylene
- Anwendungsgebiete: In der traditionellen Medizin (Volksheilkunde) und aufgrund der bekannten Wirkstoffe vermutlich wirksam als Schleimlöser bei Husten, Schnupfen, Bronchitis und anderen Erkrankungen der Atemwege, Appetitlosigkeit; weniger plausibel ist die Anwendung in der traditionellen Medizin bei Menstruationsbeschwerden und Wunden sowie zur Betäubung.
Bibernelle – ein Überblick
- Bibernellen sind in rund 150 Arten in Eurasien und Afrika verbreitet, in Amerika sind sie Neophyten. Die wirtschaftlich wichtigste Art ist der Anis (Pimpinella anisum). In Deutschland kommen heimisch die Kleine und die Große Bibernelle vor.
- Die medizinischen Wirkungen der Kleinen und Großen Bibernelle überschneiden sich.
- Die Kleine Bibernelle wächst an sonnenreichen und nährstoffarmen Standorten, die Kalk enthalten. Sie ist ein Anzeiger für magere Böden und damit typisch für Magerrasen und Zwergstrauchheiden. Die Große Bibernelle bevorzugt hingegen feuchten Lehmboden mit vielen Nährstoffen.
- Bibernellen haben einen aufdringlichen Geruch, der mit dem eines Ziegenbocks verglichen wird. Bibernellwurzel schmeckt scharfwürzig, was ihr den Namen Pfefferwurz einbrachte. Der Name Bibernelle (Pimpinella sp.) leitet sich vielleicht vom Pfeffer (Piper sp.) ab.
- Die Wurzel wird für medizinische Zwecke genutzt. Synonyme für Bibernellwurzel sind: Bockwurzel, Bockwurz, Pfefferwurzel, Pimpernellwurzel, Pimpinellwurzel, weiße deutsche Theriakwurzel.
- Andere heimische Doldenblütler ähneln der Bibernelle, sind aber giftig. Typisch für Bibernelle sind die kantigen Stängel.
- Auch der Kleine Wiesenknopf (Sanguisorba minor) wird als „Bibernelle“ und „Pimpinelle“ bezeichnet, ist aber als Rosengewächs nicht näher mit den Doldenblütlern verwandt.
- Die Kleine Bibernelle ist eins von 13 Kräutern im Ricola Original Schweizer Kräuterzucker.
- Bundesanzeiger: Heftnummer: 101, ATC-Code: R07AX, Monographie BGA/BfArM (Kommission E), 1.6.1990
- Volker Fintelmann, Rudolf Fritz Weiss: Lehrbuch der Phytotherapie, Stuttgart, 2005
- Svitlana Marchyshyn, Elina Parashchuk, Iryna Dakhym et al.: Phenolic compounds from Pimpinella saxifraga L.; in: The Pharma Innovation Journal, Volume 7, Issue 6, Seite 600-602, 2018 , ThePharmaJournal
- Liedmyla Slobodianiuk, Lilia Budniak, Svitlana Marchyshyn et al.: Experimental studies on expectorant effect of extract from Pimpinella saxifraga L.; in: Pharmacology Online, Volume 1, Seite 404-410, 2021 , PharmacologyOnLine
- Elfrune Wendelberger: Heilpflanzen. Erkennen, sammeln, anwenden. München / Wien / Zürich, 2003
- Max Wichtl: Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis auf wissenschaftlicher Lage, Stuttgart, 2008
Inhaltsstoffe
Große wie Kleine Bibernelle enthalten Saponine, ätherische Öle, Harze, Gerbstoffe, Bitterstoffe, Cumarine und Polyacethylene. Saponine sind sekundäre Pflanzenstoffe, die mit Wasser aufschäumen, darum heißen sie auch Seifenstoffe. Medizinisch sind Saponine als Schleimlöser beliebt, denn sie verflüssigen Schleim bei Erkältung, Husten und Schnupfen.
Die Wurzel enthält zudem aliphatische Säuren wie Äpfel- und Citronensäure. Von den Cumarinen kommt Angelicin nur in Pimpinella major vor, Peucedanin nur in Pimpinella saxifraga. Umfassende Untersuchungen zu den Wirkstoffen der heimischen Bibernellen stehen noch aus. Eine 2018 veröffentlichte Studie fand unter anderem vier Flavonoide in Pimpinella saxifraga, darunter Rutin, Hyperosid und Luteolin.
Medizinische Wirkungen
Die Kommission E, die Fachkommission für pflanzliche Arzneimittel des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, hält die Wurzel der Bibernellen für geeignet, um Katarrhe der oberen Luftwege zu behandeln. Sie lindert den Hustenreiz, löst Schleim und fördert den Auswurf. Wissenschaftliche Studien zur medizinischen Wirkung von Pimpinella major und Pimpinella saxifraga existieren nur wenige. Vermutlich ist das Interesse der Forschung wegen dem ähnlich, aber stärker wirkenden Anis gering.
In der traditionellen Medizin wurde Bibernellwurzel eingesetzt gegen Menstruationsbeschwerden, um den Schweißfluss zu fördern, um zu beruhigen, und um die Wundheilung zu beschleunigen. Die Wurzel soll den Appetit und die Verdauung anregen, was durch die vorhandenen Bitter- und Gerbstoffe plausibel ist.
Sie galt auch als Hausmittel gegen Nieren- und Blasensteine und treibt tatsächlich den Harn, was potenziell solche Steine herausschwemmt. Die wissenschaftliche Evidenz ist jedoch unzureichend, um die Wurzel als effektives Mittel für Therapien zu empfehlen, für die sie in der sogenannten Volksheilkunde Verwendung findet: Gegen Infektionen der Harnwege, der Nieren und der Blase, gegen Ödeme und äußere Wunden.
Saponine hemmen Entzündungen, fördern die Durchblutung und wirken gegen Mikroben wie Bakterien und Pilze, sodass ein solcher Effekt auch bei der Verwednung von Bibernelle wahrscheinlich ist. Wissenschaftliche Ergebnisse zur medizinischen Wirkung von Bibernelle fehlen jedoch auch in diesen Punkten.
Eine rezente Studie (2021) aus der Ukraine zeigt einen positiven Einfluss eines Extraktes aus den Rhizomen und Wurzeln von Pimpinella saxifraga auf die Sekretfunktionen der Bronchien und damit ein Potenzial, die Pflanze für Arzneien gegen bronchiale Erkrankungen zu nutzen.
Anwendungen als Heilpflanze
In Fertigarzneien findet sich Bibernellwurzel nur sporadisch, so im Hustenmittel Cefabronchin – dieses enthält neben Bibernellwurzel Thymian, Isländisch Moos und Eukalyptusblätter. Gegen äußere Wunden werden Waschungen mit einem Kaltauszug oder abgekühltem Tee aus der Wurzel eingesetzt. In der traditionellen Medizin wird auch das oberirdische Kraut genutzt, um die Verdauung anzuregen und als Sud gegen Krampfadern. Eine Wirksamkeit ist hier nicht wissenschaftlich belegt.
Nutzung als Tee
Die traditionelle Anwendung ist ein Tee aus der trockenen oder frischen Wurzel. Diese wird fein geschnitten und ein Teelöffel davon in eine Tasse mit heißem Wasser gegeben. Drei bis vier Mal täglich sollten Kranke eine Tasse trinken, wenn sie an Husten, Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündung und ähnlichen Beschwerden der oberen Atemwege leiden.
Ein Hausmittel gegen Halsentzündungen ist ein Tee aus einem Teelöffel Bibernellwurzel, einem Teelöffel Kamillenblüten und einem halben Teelöffel Blutwurzel. Diese ziehen in einer Tasse mit kaltem Wasser, und der Auszug wird bei Halsschmerzen gegurgelt.
Bibernelle – Medizingeschichte
Im Mittelalter wurden Pimpinellen oder Bibenellen zwar häufig als Arzneipflanzen erwähnt, dabei ist aber oft unklar, welche Pflanze gemeint war: Neben Wiesenknopf und Bibernelle konnte der Name sich zum Beispiel auch auf Meerrettich beziehen.
Jacobus Theodorus Tabernaemontanus erwähnte 1588 die Bibernelle als ausgezeichnete Heilpflanze. In der frühen Neuzeit wurde sie gegen Asthma, Gicht, Heiserkeit, Nieren- und Blasensteine, Herzrasen, Sodbrennen und Ödeme eingesetzt. Zudem wurde sie gegen die Cholera eingenommen. Sebastian Kneipp (1821-1897) nutzte Bibernelle, um die Lunge zu reinigen, gegen Beschwerden der Blase und der Nieren und gegen Rheuma.
Falsche Hoffnung gegen den Schwarzen Tod
Otto Brunfels war 1532 überzeugt, dass die Kleine Bibernelle gegen die Pest „hülfe“ und nannte sie Pestwurzel. Er schrieb: „Bibernell treibt das pestilenzische gyfft von dem hertzen.“„Esst Bibernell, dann sterbt ihr nicht so schnell,“ sagten Menschen, als die Beulenpest Europa verwüstete. Bibernellwurzel galt als Schutz gegen die Seuche.
Ein Grund für diese falsche Hoffnung mag in den realen Heilwirkungen der Wurzel gelegen haben. Und besonders dürfte auch der aufdringliche Geruch der Pflanze die Zeitgenossen verleitet haben, sie als Waffe gegen die Pest zu sehen: Laut der Miasmenlehre war der Gestank von Kloaken, Friedhöfen, Müllgruben und Sümpfen für diverse Erkrankungen verantwortlich. Die Ursache für die Schwarze Pest sollte 1348 eine „mörderische Verderbnis der Luft“ sein. Der beißende Gestank der Bibernellwurzel sollte, laut der Signaturenlehre, „Ähnliches mit Ähnlichem bekämpfen“.
Nebenwirkungen und Gegenanzeigen
Bibernellen sind risikoarme Heil- und Nährpflanzen – in therapeutischen Dosen. Ein Zuviel an Bitter- und Gerbstoffen kann (leichte) Magenbeschwerden auslösen, und, da die Stoffe die Verdauung fördern, im Übermaß zu Durchfall führen. Hustenmittel enthalten oft Saponine, da diese beim Abhusten helfen. Hier kommt es auf die Dosierung an: In größerer Menge können Saponine auch Entzündungen hervorrufen und Gewebe schädigen – da sie Blut beziehungsweise rote Blutkörperchen durch Hämolyse auflösen können, sollten sie nicht in die Blutbahn gelangen.
Sie dürfen keine Mittel aus Bibernelle zu sich nehmen, wenn Sie an einer Allergie gegen Doldenblütler leiden. Schwangere, Stillende und Kleinkinder sollten keine Bibernellprodukte einnehmen, da Studien über die Verträglichkeit bei diesen sensiblen Gruppen fehlen.
Große und Kleine Bibernelle
Die Wurzel lässt sich sowohl bei der Kleinen wie der Großen Bibernelle nutzen, die Anwendung ist gleich. Die Große Bibernelle wird mit einem Meter doppelt so hoch wie die Kleine, ansonsten sehen sich beide ähnlich: Sie haben gefiederte Blätter und weiße Blütendolden. Die große Spezies gedeiht auf Fettwiesen und zwischen Stauden, besonders in Hügel- und Bergland; die kleine Art findet sich in trockenen lichten Wäldern, auf Magerrasen und in Heiden.
Verwechslung kann tödlich sein
Sie sollten sich beim Bestimmen der Bibernellen nicht an den Blüten orientieren. Auch andere Doldenblütler haben weiße Blüten. Bei den gesunden Kräutern Giersch und Wilde Möhre ist das nicht tragisch, doch der Gefleckte Schierling trägt ebenfalls weiße Dolden und ist eine der giftigsten Pflanzen Deutschlands!
Erscheinungsbild der Pflanze
Bibernellen bilden Dolden mit vielen weißen Einzelblüten. Sie haben einen hohlen und kahlen Stängel mit typischen Furchen und scharfen Kanten. Dies ist ein besonderes Unterscheidungsmerkmal der Bibernellen zu anderen Doldenblütlern – die Stängel des Schierlings sind hohl und rund. Bibernellen tragen gefiederte Blätter, bei denen die Einzelblättchen gezähnt sind. Eine Unterart der Großen Bibernelle (Pimpinella major subsp. rubra) wird nur rund 40 Zentimeter hoch und hat dunkelrosa Blüten. Sie kommt in Süddeutschland vor, in Österreich und der Schweiz.
Anis gehört zur gleichen Gattung wie Bibernellen und ist diesen ähnlich – im Habitus und in der medizinischen Wirkung. Im Unterschied zu Anis haben Bibernellen aber kahle Früchte und unbehaarte Stängelspitzen, beim Anis sind diese behaart.
Nutzung als Magenbitter
Bibernellwurzel wird als Bitterstoff in Schnäpsen und Kräuterlikören eingesetzt, die die Verdauung fördern sollen. Für die Produzenten ist die Pimpinelle interessant, da das blaue Öl die Getränke färbt.
Bibernelle pflanzen
Die Kleine wie die Große Bibernelle lassen sich als heimische Pflanzen gut im Garten ziehen. Für die Kleine Bibernelle brauchen Sie einen vollsonnigen Standort mit magerem Boden, der wenig Stickstoff enthält.
Um den Boden für eine Pflanzung aktiv abzumagern, kann man die Grasnarbe und Erde rund 20 Zentimeter abtragen und die Erde zur Hälfte mit Sand mischen. Sie brauchen für die Kleine Bibernelle keinen Dünger, aber ein kalkreicher Boden ist notwendig. Falls die Erde zu wenig Kalk enthält, können Sie diesen hinzufügen.
Kleine wie Große Bibernelle können Sie im März und April ins Freiland säen. Bibernellen sind Lichtkeimer, dürfen also nicht von Erde bedeckt sein. Sie können die Samen aber feststampfen, damit sie nicht davonwehen.
Die Große Bibernelle braucht im Garten viel Wasser und viele Nährstoffe. Sie sollten in Trockenzeiten mehrmals in der Woche gießen und der Pflanze einmal im Monat einen Schub Pflanzenjauche gönnen, am besten aus Brennnesseln. Für die Bibernelle ist es außerdem vorteilhaft, wenn der Boden im Frühjahr mit reifem Kompost gedüngt wird.
Bibernelle ernten und trocknen
Sie können die Wurzeln der Bibernellen ab dem zweiten Jahr des Wachstums im Herbst ernten. Wenn Sie die Blätter als Gewürz in der Kräuterküche nutzen, lassen sich diese im Sommer und Herbst durchgehend pflücken.
Um die Wurzeln zu lagern und zu trockenen, sollten Sie diese von Erde befreien, in der Länge spalten und auf Bindfäden an einen Ort mit geringer Luftfeuchtigkeit aufhängen. Nach einer Woche können Sie die Wurzeln abnehmen und bei rund 100 Grad Celcius noch einige Minuten im Ofen nachtrocknen.
Anwendung in der Küche
Bibernellen sind ein gutes Küchenkraut, da sie mit Wurzel, Blättern und Blüten drei unterschiedliche Aromen bieten: Pfeffrig-scharf (Wurzel), frisch-gurkig (Blätter) und herb-süß (Blüten und Samen). Die jungen Blätter lassen sich Salaten als Gewürz zufügen und verleihen in gehackter Form vielen Saucen eine extravagante Note. Die weißen Blüten dekorieren Desserts und Eiscreme.
Heutige medizinische Bedeutung
In der Medizin spielt die Wurzel der Kleinen und Großen Bibernellen heute kaum eine Rolle. Dies liegt vermutlich daran, dass der verwandte Anis (Pimpinella anisum>), der als Kulturpflanze weit verbreitet ist, ähnlich und vermutlich stärker wirkt. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
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Wichtiger Hinweis:
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