Gartenbingelkraut, das auch als Einjähriges Bingelkraut bekannt ist, kannten bereits die Griechen der Antike als Heilmittel. Der lateinische Name der Gattung Mercurialis leitet sich vom altrömischen Gott der Diebe und Händler ab. Frische Pflanzen dieses Wolfsmilchgewächses sind giftig, getrocknet galten sie als gutes Mittel um Schleim zu lösen und Entzündungen zu heilen. Medizinisch gesichert sind die Wirkungen bislang nicht, aber in der Naturheilkunde findet die Planze auch heute noch Anwendung – etwa bei Verstopfung.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Mercurialis annua
- Volksnamen: Schuttbingel, Bengelkraut, Pinkelkraut, Einjähriges Bingelkraut, Büngelkraut, Gartenbingelkraut, Stinkerich, Wintergrün, Schutt-Bingelkraut, Wodanskraut, Ruhrkraut, Speckmelde, Kuhkraut
- Pflanzenfamilie: Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae)
- Vorkommen: Das Gartenbingelkraut stammt ursprünglich aus dem Mittelmeergebiet. In Europa ist es heute weit verbreitet – in Gärten, auf Schutthalden, an Wegrändern, auf Böschungen und Feldern.
- Verwendete Pflanzenteile: Kraut
- Inhaltsstoffe: ätherische Öle, Amine, Bitterstoffe, Gerbsäure, Saponine, Cyanoglykoside, Flavonoide (Kämpferolglykoside, Rutin), Trimethylamin und Farbstoff Hermidin
- Anwendungsgebiete in der Volksheilkunde:
- Gicht
- Husten
- Bronchitis
- Menstruationsprobleme
- Verstopfung
- Appetitlosigkeit
- Rheuma
- Warzen
- Wunden
- Ödeme
- Wassersucht
Bingelkraut – Eine Übersicht
- Bingelkraut bezeichnet eine Gattung aus der Familie der Wolfsmilchgewächse.
- In Deutschland kommen zwei Arten vor, das ursprünglich heimische Waldbingelkraut (Mercurialis perennis) und das im Mittelalter vom Mittelmeer eingeführte Gartenbingelkraut (Mercurialis annua).
- Die pharmakologischen und auch die toxischen Wirkungen beider Arten sind ähnlich.
- Bingelkraut war seit der Antike als Heilpflanze gebräuchlich.
- In der Moderne rückte die Heilpflanze in den Hintergrund und gilt bis heute als „Unkraut“. In der Naturheilkunde zählt sie eher zu den wiederentdeckten Pflanzen.
- Ein Grund dafür, dass Bingelkraut als Hustentee nicht mehr populär ist, liegt am bitteren Geschmack und den beim Trocknen entstehenden Geruch nach fauligem Fisch, der der Pflanze den Namen „Stinkerich“ einbrachte.
- Frische Pflanzen werden heutzutage nicht mehr medizinisch eingesetzt, da sie giftig sind.
- Getrocknete Pflanzen sind ungiftig und dienten früher als Mittel unter anderem gegen Husten und mit Verschleimung verbundene Entzündungen der Atemwege, Rheuma und Gicht. Auch heute wird es noch angewandt bei verschiedenen Leiden, wie etwa Entzündungen und Wunden sowie als Hustenlöser und Abführmittel.
Wirkungen des Bingelkrauts
Bingelkraut wirkt schleimlösend, harntreibend, stuhlaufweichend und hemmt Entzündungen.
Abführmittel
Schon der Name „Pinkelkraut“ und „Ruhrkraut“ zeigt bereits: Bingelkraut diente in der Volksmedizin dazu, den Harn zu treiben und abzuführen. Bei der Ruhr handelt es sich um eine bakterielle Entzündung des Dickdarms. Die Menschen hofften, mithilfe der Pflanze die Krankheit aus dem Körper zu spülen. Als starkes Abführmittel wirkt es erst nach mehreren Tagen nach der Einnahme. Wie alle Abführmittel sollte es nur kurze Zeit angewendet werden, da sonst ein Wasser- und Mineralienmangel folgt.
Die Heilpflanze treibt den Harn und entwässert den Körper, weshalb sie sich für eine Phytotherapie gegen unerwünschte Wassereinlagerungen (Ödeme) eignet. Dieser Effekt soll auch gegen rheumatische Erkrankungen und Gicht helfen.
Husten
Da Bingelkraut fest sitzenden Schleim löst und Entzündungen eindämmt, gilt es als ein gutes Hausmittel gegen entzündliche Erkrankungen der Atemwege, insbesondere wenn diese mit Verschleimung und Husten verbunden sind. Dazu gehören grippale Infekte, Bronchitis und Entzündungen der Nasennebenhöhlen.
Verstopfung
Dank seiner Saponine hilft Bingelkraut effektiv gegen Verstopfungen. Dafür trinken Betroffene mehrere Tage hintereinander Tee aus der Pflanze, bis die Beschwerden aufhören, nicht jedoch länger als drei Tage, denn ansonsten kann es durch diese Phytotherapie zu einem Elektrolytmangel kommen.
Für einen Arzneitee wird ein Teelöffel des getrockneten Krauts pro Tasse mit heißem Wasser übergossen. Der Tee muss zehn Minuten ziehen, bevor er abgeseiht wird. Bei Verstopfungen trinken Sie eine bis zwei Tassen täglich.
Weitere volksmedizinische Anwendungen
Bei Frauen sollte Bingelkraut helfen, den Menstruationszyklus zu regulieren. Traditionell war es auch ein Mittel, um Regelschmerzen, Krämpfe und andere Probleme der Periode zu lindern. In der Volksmedizin diente Bingelkraut dazu, Brustwarzenentzündungen von stillenden Müttern zu heilen. Stillende, die abstillen wollten, nahmen das Kraut ein, um den Milchfluss zu stoppen.
Äußerlich aufgetragen soll Bingelkraut die Wundheilung beschleunigen, auch bei Verletzungen der Scheidenhaut und Hautrissen im Analbereich.
Bingelkraut Tee
Der Tee ist auch die Grundlage für Waschungen, Teilbäder, Umschläge, Wickel und Kompressen. Diese äußerliche Behandlung dient dazu, Hautleiden wie Ekzeme und eitrige Hautentzündungen zu lindern.
In der Frauenheilkunde werden solche Kompressen und Teilbäder eingesetzt, um Muttermundentzündungen zu therapieren, Einrisse der Haut im Bereich der Scheide und Hautentzündungen im Analbereich zu heilen. Bingelkrauttee löst Schleim und eignet sich deswegen gut als Hustentee.
Bingelkraut Gift
Das Wolfsmilchgewächs Bingelkraut ist als frische Pflanze giftig und darf nur getrocknet als Heilkraut eingesetzt werden. Schwere Vergiftungen sind selten, da der bitterscharfe Geschmack auch Unwissende nicht zum Verzehr anregt. Vergiftungssymptome zeigen sich bisweilen erst nach Tagen. Dazu gehören:
- Durchfall,
- verstärkter Speichelfluss,
- rotblau gefärbter Urin,
- Schüttelfrost (schwankende Körpertemperatur),
- Appetitlosigkeit
- allgemeines Schwächegefühl.
Bei einer akuten Vergiftung (zum Beispiel bei Kindern) sollten Sie als erste Hilfe das Erbrechen herbeiführen, indem Sie den Finger in den Mund stecken oder, falls vorhanden, ein Brechmittel benutzen. Medizinische Kohle bindet den Giftstoff im Magen. Getrocknetes Bingelkraut ist dagegen nicht giftig.
Gift für Tiere
Menschen nehmen kaum soviel frische Wolfsmilchgewächse zu sich, dass sie sich ernsthaft vergiften können. Eine größere Gefahr stellt Bingelkraut für Weidetiere wie Rinder, Pferde und Schweine dar, die das Kraut in größeren Mengen fressen. Bei ihnen zeigt sich die Vergiftung durch Teilnahmslosigkeit, eine schiefe Stellung des Halses und Speichelfluss.
Vergiftete Tiere verlieren die Lust am Fressen, der Urin der Tiere wird rotblau und die Körpertemperatur steigt an, um dann plötzlich abzufallen.
Allergie gegen Bingelkraut
Bei Inhalation der Pollen des Bingelkrauts kann es zu allergischen Reaktionen kommen, zu einer Rhinokonjunktivitis, bisweilen auch zu Asthma Bronchiale. Bingelkraut gehört allerdings zu den schwach allergenen Pflanzen, die Sensibilisierungsrate ist niedrig.
Bekannte Kreuzallergien bestehen mit den stark sensibilisierend wirkenden Gummibäumen (Hevea brasiliensis) und Rizinus (Ricinus communis), zumindest bei Patienten, die eine bekannte Allergie gegen Naturkautschuk-Latex haben. Kreuzreaktivitäten gibt es auch zum Kali-Salzkraut (Salsola kali), Olivenbaum (Olea europaea), Beifuß (Artemisia vulgaris) und dem Ausgebreiteten Glaskraut (Parietaria judaica).
Gegenanzeigen
Sie dürfen Gartenbingelkraut bei Schwangerschaft oder Nierenschwäche nicht einnehmen, ebenso wenig bei Problemen mit Gallensteinen, Entzündung der Gallenblase oder anderen Erkrankungen, die mit der Galle zu tun haben.
Wald-Bingelkraut und Gartenbingelkraut
Bingelkräuter sind eine Gattung aus der Familie der Wolfsmilchgewächse mit dem Zentrum der Verbreitung im westlichen Mittelmeerraum. In Mitteleuropa kommt neben dem angestammten Wald-Bingelkraut das eingeführte Gartenbingelkraut vor. Seiner mediterranen Herkunft entsprechend bevorzugt das Gartenbingelkraut sonnige Standorte, ist aber insgesamt sehr anspruchslos. Das Wald-Bingelkraut wächst hingegen im Halbschatten und Schatten der Wälder.
Mercurialis – Magie und Melancholie
Das Gartenbingelkraut stammt aus dem Mittelmeerraum. Die Römer der Antike ordneten es dem Gott Merkur zu. Die germanischen Völker sahen es als Pflanze des Göttervaters Wotan, auch bekannt als Odin.
In den Kräuterbüchern des Mittelalters galt ein Tee aus der Pflanze als Mittel gegen verschleimte Atemwege, Menstruationsschmerzen, Wassersucht, Appetitlosigkeit, Rheuma und Gicht. Auch die Homöopathie, die auf der mittelalterlichen Vorstellung der magischen Signatur basiert, nutzt Bingelkraut in verdünnter Form als Mittel gegen rheumatische Leiden.
In der frühen Neuzeit galt das Kraut, das sich beim Trocknen blau färbt, als hilfreich beim Versuch, Blei in Gold zu verwandeln. Es sollte eine magische Pflanze sein und fand sich in sogenannten Hexensalben, zusammen mit Tollkirsche, Eisenhut und Bilsenkraut.
Bingelkraut wurde gegen Melancholie eingesetzt, wobei der damalige Begriff dem entsprach, was wir heute als Depression ansehen. Tatsächlich heitern die Saponine die Stimmung auf. Dazu wurde es in Hühnerbrühe aufgekocht. In der Hebammentradition war die Pflanze ein Mittel, die Geburt zu erleichtern.
Da es bei Bingelkraut eine deutlich erkennbare männliche und weibliche Pflanze gibt, glaubten Menschen, sie könnten das Geschlecht eines Kindes im Mutterleib beeinflussen, wenn sie das Kraut des jeweiligen Geschlechts verzehrten. Daher rührt der Name Bingelkraut, also Bengelkraut. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
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Wichtiger Hinweis:
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