„Die Pflanze, die krank macht“, Ipecacuanha, lautet der Name für dieses Brechmittel in seinem natürlichen Ursprungsgebiet im tropischen Südamerika. Alkaloide im Wurzelstock des brasilianischen Strauches reizen die Magennerven und helfen so, Giftstoffe zu erbrechen. Die Stoffe, die das Erbrechen verursachen, sind indessen selbst toxisch – gerade bei der Brechwurzel gilt: Die Dosis macht das Gift.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief zur Brechwurzel
- Wissenschaftlicher Name: Carapichea ipecacuanha
- Volksnamen: Ipecacuanha, Ruhrwurzel, Speiwurzel, Kopfbeere, Brasilianische Wurzel, Ipecac, Brasilianische Brechwurzel, Kolumbianische Brechwurzel
- Verwendete Pflanzenteile: Wurzelstock
- Anwendungsgebiete:
- Brechmittel
- Husten (Volksmedizin)
- bronchiale Erkrankungen
- Magenkrämpfe
- grippale Infekte
- Inhaltsstoffe:
Brechwurzel enthält Alkaloide wie Cephaelin, Psychotrin, O-Methylpsychotrin und Emetin, Glykoside, Iridoide und pflanzliche Säuren. Die Wurzel besteht zu 30 bis 40 Prozent aus Stärke und zu 3 bis 4 Prozent aus sauren Saponinen.
Wirkungen – Alkaloide
Die Alkaloide in der Wurzel reizen die Magenschleimhaut, und dies führt zur verstärkten Produktion von Bronchialsekret. Bei höherer Dosierung löst die Wurzel einen starken Brechreiz aus, warum die Pflanze in Südamerika traditionell eingesetzt wurde, um oral eingenommene Giftstoffe auszuleiten. Ipecacuanha-Sirup löst mit bis zu 30 Minuten Verzögerung starkes Erbrechen aus, indem es die verantwortlichen Nervenfasern des Parasympathikus reizt.
Wie wirkt Emetin?
Emetin ist ein Isochinolinalkaloid (Isochinolin). Es begrenzt die Proteinbiosynthese und verhindert das Anlagern der Aminoacyl-tRNA-Moleküle (Aminoacyl-tRNA) an die 60-S-Untereinheit euryaktischer Ribosomen. Medizinisch wirksam ist Emetin, weil es die Teilung hemmt von vegetativen Formen der im Darm lebenden Nacktamöbe (Entamoeba histolytica). Diese verursacht die Krankheit Amöbenruhr. In der Vergangenheit diente Brechwurzel deshalb als Mittel gegen die Ruhr. Durch Reizen der Magennerven löst Emetin zudem Erbrechen aus.
Nebenwirkungen – Anaphylaktischer Schock
Die medizinisch wirksamen Stoffe, die Alkaloide, sind selbst Giftstoffe. Zu den unerwünschten Wirkungen bei höheren Dosierungen gehören Schwindel, Hypotonie und verstärkter Speichelfluss, außerdem eine Überfunktion der Schilddrüse.
Der angestrebte Brechreiz kann zu Störungen des Magen-Darm-Traktes führen, verbunden mit blutigem Durchfall, Übelkeit und Schmerzen, und zu Atemnot. Allergische Reaktionen sind häufig und zeigen sich als Juckreiz, Hautausschlag und Wasseransammlungen in den Gefäßen. Fieber kann eintreten.
Vorsicht: Eine Reaktion auf die Alkaloide kann ein anaphylaktischer Schock sein, und der kann außer zu Atemnot und Organversagen zu einem Kreislaufstillstand führen – und zum Tod.
Anwendungen
Die getrockneten unterirdischen Teile der Pflanze dienen als Tee, Extrakt oder Pulver gegen Bronchitis, Bronchialasthma, Keuchhusten, Magen-Darm-Entzündungen, Schleimhautblutungen und Kreislaufstörungen. Die pflanzliche Medizin kann unter die Haut gespritzt werden, oral eingenommen, intramuskulär oder intravenös verabreicht werden. Der Wirkstoff ist als flüssige Verdünnung zur Injektion erhältlich, als Tabletten, Tropfen oder Sirup.
Brechwurzel als Hausmittel?
Bei Brechwurzel ist eine exakte Dosierung notwendig. 0,5 – 2 Gramm der Droge lösen bereits den Brechreiz aus. Die Wirkstoffe sind selbst toxisch, und Überdosierung bringt Betroffene in Lebensgefahr. Darum ist Ipecacuanha in Naturform als Hausmittel nicht geeignet. Sie sollten die Pflanze nicht als selbst hergestellten Tee konsumieren, sondern nur als standardisiertes Präparat und sich genau an die vorgeschriebene Dosierung halten.
Naturheilkunde und Phytotherapie
Naturheilkunde bezeichnet Medizin mit Mitteln, die nicht synthetisch produziert werden. Dazu gehört die Phytotherapie, also das Heilen mit pflanzlichen Mitteln wie Salbei, Minze oder auch Ipecacuanha, aber auch mit Mineralstoffen sowie „Kräften der Natur“, unter anderem Wasser (Bäder, Waschungen, Trinken), Luft (Luftkurort, Waldspaziergänge etc.), Wärme (heiße Bäder, Sauna, Schwitzkuren) oder Kälte.
Ipecacuanha – Volksheilkunde und traditionelle Medizin
Ein Großteil der Menschen weltweit war und ist darauf angewiesen, Mittel gegen Erkrankungen aus der umgebenden Natur zu beziehen, praktiziert also Naturheilkunde. Auch Ipecacuanha sammelten und sammeln Indigene in Südamerika. Sie wächst als Strauch in offenen Tropenwäldern Brasiliens, vor allem in Mato Grosso und Minas Gerais. Der Name Ipecacuanha stammt aus der Sprache der Tupi und leitet sich ab von „i-pee-kaa-guene“, und das bedeutet „Pflanze am Weg, die krank macht“.
American Natives nutzten Ipecacuanha als Mittel, um verschluckte Gifte zu erbrechen und wussten dabei, wie der indigene Name belegt, um die schädliche Wirkung, die die Wurzel selbst haben kann.
Ipecacuanha in der Komplementärmedizin
Wegen der toxischen Wirkung der Alkaloide ist Ipecacuanha (in Reinform) nicht als pflanzliches Arzneimittel in Deutschland anerkannt. In genauen Dosierungen befinden sich die Wirkstoffe indessen in verschiedenen Arzneien.
Als Brechmittel können diese Haupttherapien unterstützen, zum Beispiel bei Vergiftungen: So wirkt die Brechwurzel keiner Vergiftung selbst entgegen, sondern hilft durch den Brechreiz, die Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen. Hat bereits eine toxische Wirkung eingesetzt, bedarf es anderer Arzneien, um die toxischen Stoffe im Körper zu bekämpfen.
Ipecacuanha in der Homöopathie
In der Homöopathie, einer von dem Arzt Samuel Hahnemann an der Schwelle zum 19. Jahrhundert begründeten Heilslehre, werden Stoffe verdünnt und sollen dadurch zugleich potenziert werden. In hohen Potenzen enthält das fertige Mittel dann nichts mehr von dem Wirkstoff, in mittleren und niedrigen Potenzen nur noch kaum messbare Mengen.
In der Homöopathie gelten als Zielgruppe von homöopathisch verdünntem Ipecacuanha „ungeduldige, oft übellaunige und reizbare oder ängstliche Personen“, oft mit „aufgedunsener oder eingefallener Gesichtshaut“ und hellen Ausscheidungen (Menses ebenso wie Stuhl oder Speichel).
Bei der homöopathischen Anwendung geht davon aus, dass Ipecacuanha „wie alle homöopathischen Mittel“ für jede Altersgruppe gut verträglich ist, keine Nebenwirkungen hat und auch für Schwangere wie Stillende geeignet ist. So sollen „homöopathische Mittel als energetische Arzneien“ das Immunsystem unterstützen, um die „Selbstheilung des Körpers anzuregen“ und die „Heilkraft der Natur“ nutzen.
Vorsicht ist jedoch geboten, denn die in Ipecacuanha vorhandenen Wirkstoffe wie Emetin können selbst bei geringfügig (zu) hoher Dosierung zu unerwünschten schädlichen Wirkungen führen und schlimmstenfalls den Tod auslösen. Homöopathische Mittel stellen hier bei korrekter Anwendung jedoch kein Risiko dar, allerdings ist ein medizinische Wirkung dieser Mittel bisher nicht eindeutig belegt.
Brechwurz gegen chronische Lungenerkrankung (COPD)
2006 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass eine pflanzliche Arznei mit Zaunrübe, Brechwurz und Sonnentau bei 105 Patienten mit gesicherter COPD und Raucheranamnese gute Erfolge erzielte. In einer sechsmonatigen Doppelblindstudie bekamen die Probanden entweder die pflanzliche Arznei, ein Placebo oder eine Standardmischung aus Salbutamol, Theophyllin und Bromhexin.
Eindeutig verbesserten sich Husten, Auswurf, Behinderung sowohl bei der Standardmischung wie auch bei dem Kombinationspräparat aus Sonnentau, Zaunrübe und Brechwurz, nicht aber beim Placebo. Die Studie sagte nichts darüber aus, welche der Pflanzen und welche der in ihnen enthaltenen Stoffe für die medizinischen Effekte verantwortlich war.
Wozu dient ein Brechmittel (Emetikum)?
Giftstoffe und Medikamente, die ein Mensch versehentlich oder missbräuchlich oral eingenommen hat, lassen sich durch Erbrechen entfernen. Brechmittel dienen dazu, den nötigen Brechreiz auszulösen. Ipecacuanha wird in Lateinamerika auch eingesetzt, um Drogenschmuggler zu überführen, die Kokain in Plastikbeuteln herunterschlucken.
Brechmittel oder Magenspülung?
Auch eine Magenspülung dient dazu, schädliche Stoffe aus dem Magen-Darm-Trakt zu entfernen und den Körper so zu entgiften. Ein Brechmittel hat den Vorteil, dass es schneller wirkt und weniger Aufwand erfordert, denn bei einer Magenspülung wird eine Magensonde durch die Speiseröhre eingeführt. Bei schnell wirkenden Giften kann der Zeitvorteil Leben retten.
Ein Brechmittel ist nicht geeignet, Flüssigkeiten zu entfernen, die ätzend wirken, in Gewebe eindringen und es schädigen können. Denn beim Erbrechen schaden solche Stoffe zusätzlich der Speiseröhre sowie dem Mund- und Rachenraum.
Gefahren von Brechmitteln – Bolustod und Aspiration
Außer den spezifischen unerwünschten Wirkungen von Ipecacuanha entstehen beim Einsatz von Brechmitteln generell Gefahren. So sind wiederholt Menschen durch die Einnahme von Brechmitteln gestorben. Besonders gefährdet sind Menschen mit Magenschäden, zum Beispiel durch Tumore oder chronische Magen-Darm-Erkrankungen, Operationen im Speisetrakt oder dem Mallory-Weiss-Syndrom.
Auch Menschen ohne solche Vorbelastung können beim Erbrechen Speisebrei einatmen oder erhebliche Beschwerden durch das Reizen des Vagusnerves erleiden. Ein Risiko (nur im Einzelfall bei Bewusstseinstrübung) stellt dabei auch der Bolustod dar, ein durch Ersticken oder Herzstillstand verursachter Tod aufgrund eines größeren Fremdkörpers, der sich vor dem Kehlkopf verklemmt beziehungsweise im
Zusammenhang mit Brechmitteln aufgrund einer massiven Hyperstimulation des vagalen Nervensystems in Bereich des Kehlkopfs, Rachens und der oberen Speiseröhre.
Medizingeschichte – Amöbenruhr und Bronchitis
1648 beschrieben Willem Piso und Georg Marggraf die „Speiwurz“ als Mittel gegen die Ruhr, 1672 brachte der Arzt Legras Wurzelproben nach Paris. Jean Adrien Helvétius (1661-1727) setzte 1680 die Wurzeln gegen Dysenterie ein. Als der König von Frankreich von seinem blutigen Durchfall geheilt wurde, nachdem er Helvétius Mittel genommen hatte, verriet dieser, dass die Arznei von Ipecacuanha stammte und bekam dafür 1000 Louisdor.
Dysenterie bezeichnet eine, damals weit verbreitete, entzündliche Erkrankung des Dickdarms infolge einer bakteriellen Infektion – die Amöbenruhr. Apomorphin erwies sich später als wirksamer gegen diese Erkrankung und ersetzte Ipecacuanha, doch fand sich Brechwurz nach wie vor in den Apotheken, um das Aushusten des Schleims bei bronchialen Beschwerden zu fördern.
1817 konnte Pierre-Joseph Pelletier den Hauptwirkstoff Emetin, der die Nervenfasern des Parasymphatikus reizt, isolieren. 1861 lautete eine Leitlinie für Diphtherie, dass Brechmittel in der Behandlung weitgehend vermieden werden sollten, aber notwendig seien, um angehäuften Schleim zu entfernen. Dann sei Ipecacuanha allen anderen Mitteln vorzuziehen.
Was sagt die Wissenschaft?
Die Amerikanischen und Europäischen Organisationen für Giftzentren und klinische Toxikologie betonen: Medizinischer Sirup mit Ipecacuanha sollte bei Vergiftungen nicht als Routine verabreicht werden. Experimentelle Studien darüber, wie effektiv solcher Sirup Gifte entferne, unterschieden sich erheblich in den Ergebnissen.
Es gebe keine Belege aus klinischen Studien, dass dieser Sirup das Ergebnis der Behandlung vergifteter Personen verbessere und als routinemäßig verabreichtes Produkt sollte es aus der Notfallmedizin verbannt werden. Für die Einnahme von Ipecacuanha unmittelbar nach Aufnahme von Giftstoffen seien zudem unzureichende Daten vorhanden, um es zu empfehlen oder nicht zu empfehlen. Ipecacuanha könnte die Effektivität von Aktivkohle, oralen Antidoten und von Darmeinläufen reduzieren. Es dürfe auch niemandem gegeben werden, der eine Bewusstseinsschwäche zeige. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Hasegawa, Masayuki; Sasaki, Toshinobu; Sadakane, Koichi et al.: Studies for the emetic mechanisms of ipecac syrup (TJN-119) and its active components in ferrets: involvement of 5-hydroxytryptamine receptors, in: Japanese journal of pharmacology, Volume 89, Issue 2, Pages 113-9, Jun 2002, ncbi
- Murali, PM.; Rajasekaran S.; Paramesh P. et al.: Plant-based formulation in the management of chronic obstructive pulmonray disease: a randomized double-blind study, in: Respiratory Medicine. Volume 100, Issue 1, Pages 39-45, Jan 2006, sciencedirect
- American Academy of Clinical Toxicology and European Association of Poisons Centres and Clinical Toxicologists: Position Paper: Ipecac Syrup, in: Journal of Toxicology CLINICAL TOXICOLOGY Volume 42, Issue 2, Pages 133–143, 2004 (Abruf 12.2.2019), bfarm
- Margarete Magalhães Souza; Ernane Ronie Martins; Telma Nair Santana Pereira et al.: Reproductive studies in ipecac (Psychotria ipecacuanha (Brot.) stockes; Rubiaceae): pollen development and morphology. Brazilian Archives of Biology and Technology, Volume 51, Issue 5, Curitiba Sept./Oct. 2008, scielo
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