Die Blüten des Roten Fingerhuts machen ihn zu einer der schönsten Gartenstauden. Während Bienen seinen Nektar lieben, sind alle Teile der Pflanze für Menschen hochgiftig. Digitalis pupurea ist eine der toxischsten Pflanzen überhaupt – zugleich sind die in den Blättern enthaltenen Herzglykoside seit langem ein wichtiges Medikament gegen Vorhofflimmern des Herzens.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Digitalis purpurea (Roter Fingerhut)
- Volksnamen: Handschuhkraut, Fingerpiepen, Waldglocke, Waldglöckchen, Waldnönnchen, Waldschelle, Schwulstkraut, Unserer-Lieben-Frauen-Handschuh
- Familie: Wegerichgewächse (Plantaginaceae)
- Verbreitung: Natürlich von Marokko über West-, Mittel- und Nordeuropa, in Amerika Neophyt, hierzulande lichte Wälder, verwildert in ganz Deutschland.
- Verwendete Pflanzenteile: Blätter
- Inhaltsstoffe: Herzglykoside
- Anwendungsgebiete: Herzschwäche, Vorhofflimmern, Herzrhythmusstörungen – nicht die Pflanze/Blätter an sich, sondern in Form exakt dosierter, extrahierter Stoffe
- Wichtiger Hinweis: Bei einer Vergiftung mit Fingerhut alarmieren Sie bitte umgehend den Notruf.
Fingerhut – ein Überblick
- Fingerhut ist als Medizin und Giftpflanze bereits seit langer Zeit bekannt.
- Den Namen trägt die Pflanze nach ihren Blüten, deren Form an einen Schneider-Fingerhut erinnert. Auch der lateinische Gattungsname Digitalis bedeutet Finger.
- Fingerhut ist eine der giftigsten Pflanzen. Alle Teile sind toxisch und bereits zwei getrocknete Blätter können einen gesunden Erwachsenen töten.
- Fingerhut diente, wie auch Stechapfel und Schierling, dazu, Giftmorde und Giftsuizide zu begehen.
- Die Herzglykoside in den Blättern waren lange Zeit die wichtigste Arznei gegen Vorhofflimmern des Herzens. Der Unterschied zwischen einer medizinisch effektiven und einer tödlichen Dosis ist jedoch sehr gering.
- In britischen wie irischen Märchen sind die Blüten des Fingerhuts Mützen der Feen. Zudem sollen boshafte Feen, Füchsen die Blüten als Handschuhe schenken, damit diese lautlos in die Hühnerställe eindringen können. Darum heißt der Fingerhut im Englischen „foxglove“.
Inhaltsstoffe
Die Blätter des Fingerhuts sind bekannt wegen ihrer Herzglykoside vom Cardenolid-Typ, den sogenannten Digitalglykosiden, die zu den Purpureaglykosidreihen A, B und E gehören. Der Digitalglykosidanteil im Trockenmaterial liegt zwischen 0,16 Prozent und 0,4 Prozent, bei den Samen sogar bei 0,75 Prozent.
Insgesamt konnten bisher rund 30 dieser Digitalisglykoside aus der Pflanze isoliert werden. Ein wesentliches Glykosid in den Blättern ist Purpureaglykosid A und auch Digitoxin. Die wichtigsten Agylkone (zuckerfreie Komponenten der Glycoside) sind Digitoxigenin, Gitoxigenin und Gitaloxigenin.
Zudem umfasst das Spektrum der Inhaltsstoffe circa ein Prozent Steroidsaponine (für die medizinischen Effekte unwichtig). Eine rezente Studie (2020) zeigt, dass sich der Anteil und die Struktur der Cardenolide bei verschiedenen Arten der Gattung Digitalis deutlich unterscheidet, eine wichtige Erkenntnis, um effiziente Medikamente herzustellen.
Medizinische Wirkung – Digoxin und Digitoxin
Das aus dem Wolligen Fingerhut (Digitalis lanata) gewonnene Digoxin war bis in die jüngere Zeit ein wichtiges Medikament gegen Vorhofflimmern, eingesetzt zur pharmakologischen Konversion von paroxysmalem Vorhofflimmern, zur ventrikulären Frequenzkontrolle und zur Vorbeugung bei chronischem Vorhofflimmern.
Im Jahr 1999 zeigte eine Studie, dass Digoxin über 24 Stunden keine ausreichende Kontrolle der Herzfrequenz erreichte, und sich somit nicht eignet, um eine Kardiomyopathie zu verhindern. Eine Kardiomyopathie ist eine krankhafte Veränderung des Herzmuskels, bei der sich häufig die Herzkammern vergrößern. Die Studie zeigte aber auch, dass Digoxin die Häufigkeit der Attacken mit paroxysmalem Vorhofflimmern leicht reduzierte.
Heute sind nach wie vor Fragen zur optimalen Dosierung von Digoxin bei einer Herzinsuffizienz offen. Eine Übersichtsstudie kam zu einem kritischen Ergebnis: Vorliegende Daten für den Einsatz gegen Herzschwäche kommen aus Beobachtungsstudien und sind widersprüchlich.
Obwohl Herzglykoside seit 200 Jahren eingesetzt werden, um Herzinsuffizienz zu behandeln, bleiben Fragen nach der Effizienz und Sicherheit von Digoxin beim Behandeln von Herzinsuffizienz offen und der Einsatz dieses Wirkstoffs wird kontrovers diskutiert.
Neben Digoxin aus dem Wollingen Fingerhut wird seltener auch Digitoxin aus den Blättern des Roten Fingerhuts als vergleichbar wirksames Herzglykosid eingesetzt. Digitoxin weist eine fehlende OH-Gruppe auf und hat damit eine längere Halbwertszeit. Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend über die Leber und nicht wie bei Digoxin über die Nieren. Damit ist Digitoxin eine vielversprechendes Medikamnt für Betroffene mit Herzschwäche und gleichzeitiger Nierenfunktionsstörung (siehe aktuelle DIGIT-HF-Studie bis 2024 an der Medizinischen Hochschule Hannover).
Wirkung auf das Herz
Digitalisglykoside werden in der Therapie gegen Herzkrankheiten eingesetzt, weil sie folgende Wirkungen haben: Sie erhöhen die Kraft und Geschwindigkeit der Herzkontraktionen. Sie senken die Herzfrequenz und verzögern die Erregungsleitung und steigern zugleich die Erregbarkeit der Kammermuskeln.
Bei einer Herzinsuffizienz sinkt die Pumpleistung des Herzens, sodass bereits normale Tätigkeiten wie Spazierengehen die Betroffenen belasten. Digitalisglykoside steigern die Herzleistung und senken zugleich die Frequenz der Herzschläge.
Wann werden Herzglykoside eingesetzt?
Digitalisglykoside werden auch heute in der Kardiologie eingesetzt. Sie gelten aber nicht mehr und nicht immer als das Mittel der Wahl, da sie eine sehr geringe therapeutische Breite aufweisen. Die Dosierung muss nicht nur individuell eingestellt sein, sondern auch ideal dosiert, denn bei kleinsten Abweichungen bleibt entweder die Wirkung aus oder eine Vergiftung setzt ein. Wenn möglich, wird deshalb eher auf andere Präparate zurückgegeriffen.
Als Standardtherapie bei Herzschwäche werden vor allem wirkungsvolle Medikamente wie Betablocker, ACE-Hemmer/Sartane oder MRAs (Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten) angewandt. Vertragen Betroffene die Standardtherapien nicht sind die herzwirksamen Glykoside aber eine wichtige Alternative.
Medizinische Anwendungen
Basis für Arzneidrogen sind die getrockneten Blätter von Digitalis purpurea. Diese werden ausschließlich als Fertigarznei eingesetzt und nur unter ärztlicher Kontrolle. Heute bestehen Digitalispräparate so gut wie nur noch aus reinen Herzglykosiden, die oft chemisch leicht verändert sind. Tees und andere Zubereitungen aus Pflanzenteilen werden wegen der toxischen Wirkung nicht mehr genutzt.
Fingerhut in der Volksmedizin
Fingerhut galt in der Volksmedizin als Mittel gegen den „bösen Blick“, und hier wirkte die Medizin oft tödlich. Im Mittelalter galt er zudem als Arznei gegen Schwellungen und Geschwüre, innerlich eingenommen auch als Mittel gegen Kopfschmerzen. Als Hausmittel wurden die Blätter als Brechmittel genutzt und zum besseren Abhusten bei Bronchitis.
Digitalis in der Medizingeschichte
Im 18. Jahrhundert stellten Ärzte diverse Experimente mit Digitalis an und erkannten, wie giftig die Pflanze ist. Zugleich behandelte William Withering in England Ödeme von Menschen mit Herzinsuffizienz mit Fingerhut und entwarf valide Anwendungen und Dosierungen. 1874 isolierte Oswald Schmiedeberg Digitoxin als Reinglykosid.
Im 20. Jahrhundert wurden dann Präparate aus Herzglykosiden des Fingerhuts mit exakten Dosierungen hergestellt. Nach wie vor ist eine Therapie jedoch problematisch, da die Digitalglykoside eine enge therapeutische Breite aufweisen und zudem unterschiedliche Reaktionen bei den Behandelten beobachtet werden.
Fingerhut ist kein sicheres Hausmittel
Die Blätter des Fingerhuts wurden in der Volksmedizin für Pulver, Extrakte und Tinkturen genutzt. Es wird dringend davon abgeraten, Fingerhut als Hausmittel zu nutzen! Sie sollten nur Fertigarzneien einnehmen, und das auch nur unter strikter medizinischer Kontrolle.
Nebenwirkungen
Digitalis kann bei erhöhter Sensitivität oder geringfügiger falscher Dosierung schwere Nebenwirkungen auslösen. Dazu gehört ein unregelmäßiger Herzschlag, der Benommenheit verursacht, Herzstolpern (bei dem Sie den eigenen Herzschlag wahrnehmen), Kurzatmigkeit, Schwitzen und Ohnmacht. Möglich sind auch Halluzinationen, Verwirrung und psychische Veränderungen wie zum Beispiel Depressionen. Verschwommene Sicht, Doppelbilder, farbige Punkte oder Schlieren um Objekte treten als Störungen des Sehsinns auf.
Häufige Nebeneffekte sind Erektionsstörungen und Brustwachstum bei Männern, weniger häufig sind Kopfschmerzen, Taubheitsgefühle im Körper, erhöhte Lichtempfindlichkeit, Erbrechen, Durchfall und Hautirritationen.
Wechselwirkungen
Digitalis löst starke Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten aus. Dazu zählen bestimmte Antibiotika, Calciumblocker, andere Herzarzneien, bestimmte Magenpräparate, manche Mittel gegen Durchfall, einige Diuretika, Arzneien gegen Kolitis und gewisse Cholesterinsenker.
Wenn Sie Digitalis einnehmen, sollten Sie auf Koffein ebenso verzichten wie auf Abführmittel und Arzneien gegen Husten und Erkältung.
Gegenanzeigen
Sie dürfen keine Medikamente mit Digitalis einnehmen bei: Einer unter Belastung zunehmenden Verengung der linksseitigen Ausflussbahn des Herzens und dem Wolff-Parkinson-White-Syndrom (einer Herzrhythmusstörung, die ausgelöst wird durch eine kreisende Erregung zwischen Herzkammern und Herzvorhöfen). Auch bei einer Sinusknotendysfunktion ist von Digoxin abzuraten: Es kann hier bei Einnahme zu Bradykardien kommen, also einem verlangsamten Herzschlag.
Giftwirkung von Fingerhut
Vergiftungen treten bei Digitalis bereits beim eineinhalbfachen Überschreiten der Dosis auf, die für eine therapeutische Wirkung notwendig ist. Zuerst zeigt sich die toxische Wirkung in der Netzhaut des Auges (Retina). Danach blockiert das Gift Prozesse in den Herzzellen: Übelkeit, Sehstörungen, Verwirrung und Bewusstseinsstörungen sowie ein unregelmäßiger Herzschlag treten auf. Auch kann ein blutiger Durchfall ausgelöst werden durch die Vergiftung.
Ohne Gegenmaßnahmen kommt es zu einem Abfallen des Blutdrucks, die Haut erblasst, den Betroffenen wird schwindlig, der Puls sinkt unter 50 Schläge pro Minute und sie fallen in Ohnmacht. Der Tod tritt meist durch Kammerflimmern und Herzstillstand ein.
Was tun bei einer Vergiftung?
Eine Vergiftung mit Digitalis ist ein medizinischer Notfall, daher rufen Sie sofort Hilfe (Notrufnummer 112) und sagen Sie, dass bei Ihnen eine Vergiftung mit Fingerhut vorliegt! Die Notfallbehandlung besteht normalerweise aus der Verabreichung medizinischer Kohle, um das Gift zu binden. Eventuell wird Erbrechen ausgelöst und eine Natriumsulfatlösung verabreicht. Im Krankenhaus wird der Magen durchgespült und bei Herzrhythmusstörungen ein Herzschrittmacher eingesetzt. Bei schweren Vergiftungen wird ein Gegengift zugeführt.
Wie häufig sind Vergiftungen mit Fingerhut?
Die Schönheit der Blüten macht den roten Fingerhut zu einer beliebten Gartenpflanze. Obwohl Menschen folglich häufig mit ihm in Kontakt kommen, und obwohl er extrem giftig ist, kommen Vergiftungen durch die Pflanze nur selten vor: Die Blätter schmecken bitter, deshalb sind sie für Kinder nicht attraktiv, und der Konsum löst spontanes Erbrechen aus. In den Blütenknospen ist die Giftmenge niedriger. Häufiger sind Überdosierungen während einer therapeutischen Anwendung mit Digitalis.
Fingerhut – Pflanzenbeschreibung
Der Rote Fingerhut wächst hierzulande wild auf kalkarmen Böden in Sonne und Halbschatten, besonders auf Waldlichtungen, am Waldrand und an Hängen. Er ist meist zweijährig und blüht im zweiten Jahr. Die Pflanzen werden bis zu 150 Zentimeter hoch und blühen je nach Sorte in Rot, Weiß, Gelb oder Rosa von Juni bis August. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Parminder S. Chaggar, Steven M. Shaw, Simon G. Williams et al.: Is Foxglove Effective in Heart Failure?; in: Cardiovacular Therapeutics, Volume 33, Issue 4, Seite 236-241, 2015 , Wiley Online Library
- Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Arzneimittelgeschichte, Stuttgart, 2005
- Francis D. Murgatroyd, Shella M. Gibson, Xie Balyan et al.: Double-Blind Placebo-Controlled Trial of Digoxin in Symptomatic Paroxysmal Atrial Fibrillation; in: Circulation, Volume 99, Issue 21, Seiten 2765-2770, 1999 , AHA Journals
- Baradwaj Gopal Ravi, Mary Grace E. Guardian, Rebecca Dickman et al.: Profiling and structural analysis of cardenolides in two species of Digitalis using liquid chromatography coupled with high-resolution mass spectrometry; in: Journal of Chromatography, Volume 1618, 2020 , ScienceDirect
Wichtiger Hinweis:
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