Gänsefingerkraut ist eine zwar selten, aber seit langer Zeit genutzte Heilpflanze. Es enthält Stoffe, die unter anderem gegen Entzündungen wirken sowie gegen Blutungen und Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Da die Pflanze zudem sehr häufig vorkommt, ist das pharmazeutische Interesse groß, Gänsefingerkraut für pflanzliche Arzneien zu nutzen.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Potentilla anserina L.
- Volksnamen: Gänserich, Gänsewiß, Grendel, Dreckkraut, Martinshand, Silberblatt, Säukraut, Krampfkraut
- Familie: Rosengewächse (Rosaceae)
- Verbreitung: gemäßigte Breiten der Nordhalbkugel, weltweit eingeführt
- Verwendete Pflanzenteile: In der Medizin die getrockneten, ganzen oder zerkleinerten, oberirdischen Teile, wie die Blätter (während der Blütezeit) und Blüten; die Wurzeln werden vor allem als Nahrung verzehrt.
- Inhaltsstoffe: Gerbstoffe, Bitterstoffe, Schleimstoffe, Flavonoide und Cholin, Tormentosid, Vitamin C, Kaliumoxalat, Anthocyane / Anthocyanidine, Hydroxycumarine, Phenolcarbonsäuren und Phytosterole (pflanzliche Hormone)
- Anwendungsgebiete: als Schmerzmittel und zur Wundheilung, gegen Blutungen, Durchfall, Krämpfe, Menstruationsbeschwerden (Regelschmerzen), Halsschmerzen und Zahnfleischentzündungen, Diät
Gänsefingerkraut – Eine Übersicht
- Gänsefingerkraut ist ein salztoleranter Kulturfolger, weit verbreitet und sehr häufig. Durch die Salztoleranz wächst es auch direkt an Autobahnen und viel frequentierten Straßen.
- Gänsefingerkraut gehört zu den flavonoidhaltigen Gerbstoffpflanzen.
- Ein Tee aus Gänsefingerkraut ist ein Hausmittel gegen Halsschmerzen.
- Der Name Gänsefingerkraut rührt daher, dass die Pflanzen auf feuchten Wiesen wachsen, auf die Gänse zum Weiden geschickt wurden. Gänse fressen das Kraut gerne.
- Gänsekraut wurde in Schuhe gestreut, um den Schweißfluss zu bremsen und den Fußgeruch zu mindern.
- Die Wurzeln des Gänsefingerkrauts werden in Tibet gegessen und dienen getrocknet als Nahrung für die kalte Jahreszeit.
- In Fertigpräparaten findet sich Gänsefingerkraut meist zusammen mit anderen Heilpflanzen, deren Wirkungen sich ergänzen: Weißdorn, Lavendel, Melisse (Zitronenmelisse), Hopfen oder Baldrian.
- Eine Verwechslung des Gänsefingerkrauts mit der nah verwandten Art Potentilla erecta, auch Blutwurz genannt, kann recht schnell passieren, denn die Pflanzen sehen sich sehr ähnlich, vor allem die Blüten.
Potentilla anserina – Inhaltsstoffe
Gänsefingerkraut liefert Gerbstoffe, Bitterstoffe, Tormentosid, Schleimstoffe, Flavonoide und Cholin. Zu den medizinisch wirksamen Stoffen zählen Vitamin C, Kaliumoxalat. Anthocyane, Hydroxycumarine, Phenolcarbonsäuren und Phytosterole (pflanzliche Hormone).
Laut einer Studie aus dem Jahr 2014, wurden in einer chemischen Untersuchung eines Gänsefingerkrauts aus Sibirien diverse phenolischen Verbindungen nachgewiesen – darunter zum ersten Mal auch drei Ellagitannine (Gerbstoffe).
Nachgewiesen sind die Flavonole Kämpferol, Myricetin, Quercetin sowie die Anthocyanidine Cyanidin und Leucodelphinidin.
Gänsefingerkraut – Medizinische Wirkungen
Indikationen für Gänsefingerkraut sind unspezifische, akute Durchfallerkrankungen und Regelschmerzen, zudem Entzündungen im Mund- und Rachenraum (wie zusammenfassend dargestellt in der Dissertation von Seiler, 2016)
Die Indikation bei leichten Durchfall-Erkrankungen leitet sich von den Effekten der Gerbstoffe im Gänsefingerkraut ab. Diese ziehen die Oberfläche der Schleimhäute zusammen und wirken so Durchfall entgegen. Im Darm wirkt Extrakt aus Gänsefingerkraut auch gegen Krämpfe.
Gänsefingerkraut enthält reichlich Flavonoide, darunter Anthocyane. Diese sekundären Pflanzenstoffe helfen dem Körper freie Radikale zu neutralisieren, was tendenziell Krebserkrankungen vorbeugen sowie ein Altern der Haut bremsen könnte. Nachgewiesen wurden Effekte gegen oxidative Prozesse.
Anthocyane wirken auch gegen potenziell pathogene Mikroben. Eine Studie von 2007 kam zu folgendem Ergebnis: Anthocyane reduzieren Plasmakonzentrationen von Stoffen, die Entzündungen fördern, wirken also antientzündlich.
Bei den Belegen für die Wirkung der Anthcyane handelt es sich um Laborstudien. Umstritten sind tatsächliche Effekte der Anthocanye im menschlichen Körper, da diese Stoffe nicht sonderlich gut aufgenommen werden.
Das im Gänsefingerkraut enthaltene Flavonoid Quercetin gilt, laut einen Review (2018), als vielversprechender Kandidat, um Arzneien für Herzerkrankungen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen) zu entwickeln.
Generell schützt Gänsefingerkraut auch die Leber und schützt die Zellen.
Wie wirken Gerbstoffe?
Gerbstoffe wirken adstringierend: Sie ziehen Gewebe zusammen, das fördert die Wundheilung und stoppt das Bluten bei inneren und äußeren Verletzungen. Auch können Krampfadern und Blutergüsse (blaue Flecken) gelindert werden.
Das Zusammenziehen hilft auch gegen Entzündungen der Schleimhäute in Mund, Rachen, Magen und Darm. Es verfestigt Durchfall und schließt im Darm verletzte Blutgefäße.
Gerbstoffe wirken generell gegen freie Radikale, Viren, Bakterien und Pilze. Sie entziehen Bakterien Protein, indem sie die Oberhautzellen verschließen. Wird die Haut so verdichtet, kann sie sich regenerieren und bietet keinen Eingang für potenzielle Erreger. So verhindern Gerbstoffe Wundinfektionen oder lindern diese. Sie desinfizieren und stärken die Hautbarriere.
Wie wirken Bitterstoffe?
Bitterstoffe, wie sie Gänsefingerkraut enthält, fördern die Tätigkeit der Galle, Leber und Bauchspeicheldrüse. Das treibt die Fettverdauung an und steigert die Salzsäure-Produktion im Magen. So wird ein Heißhunger auf Süßes reduziert. Bitterstoffe eignen sich deshalb, um Gewicht zu halten und um abzunehmen.
Sie bekämpfen auch Entzündungen und lindern Beschwerden im Magen-Darm-Trakt. Sie führen zu einem schnellen und nachhaltigen Gefühl der Sättigung. Sie regen den Speichelfluss an und fördern die Darmtätigkeit. In höheren Dosierungen können Bitterstoffe auch appetitanregend wirken.
Nahrungsmittel mit viel Bitterstoffen sind nicht geeignet bei einem übersäuerten Magen, Magengeschwüren (Magenbeschwerden) und Nierensteinen.
Wie wirken Schleimstoffe?
Schleimstoffe aus Pflanzen speichern Energie und Wasser, das heißt sie nehmen Flüssigkeit auf. Dies lässt sich medizinisch bei Menschen nutzen, denn Schleimstoffe mindern Reize. Sie weichen Haut, Schleimhaut und Gewebe auf. Sie lösen Verstopfung und führen ab.
Sie befeuchten angegriffene Schleimhäute und durch diesen Schutzfilm lindern sie trockenen Reizhusten. Sie geben rissiger haut Feuchtigkeit, sie helfen gegen Entzündungen in Rachen, Hals, Magen und Darm. Durch den Schutzfilm der Schleimstoffe können sich beschädigte Schleimhäute regenerieren. Der Schutzfilm hält Bakterien und andere schädliche Mikroben ab.
Eine Studie (2019) zeigte, dass bestimmte Schleimstoffe (Polysaccharide mit Beta-Glucan) (hier von Hafer aus Ägypten) Wundheilungen deutlich beschleunigen.
Schleimstoffe können allerdings nur zur ergänzenden Behandlung eingesetzt werden, etwa bei schmerzhaften und unangenehmen Beschwerden wie Husten während eines grippalen Infekts oder bei einer Verstopfung, die nicht als Folge einer schweren Erkrankungen auftritt.
Medizinische Anwendungen
Gänsefingerkraut ist eine typische Pflanze der selbst eingesetzten Volksmedizin. Als Hausmittel wurden und werden die Blätter während der Blütezeit oder kurz davor und die Blüten gesammelt. Eingesetzt werden sie in Form von Tees und Aufgüssen gegen Unregelmäßigkeiten der Periode und gegen Menstruationsschmerzen.
Zwischen Mai und August werden also die oberirdischen Teile der Pflanze gepflückt, als Tee frisch aufgebrüht oder getrocknet für einen Aufguss verwendet. Als Faustregel gilt: Ein Teelöffel getrocknetes Kraut in rund 150 Milliliter kochendem Wasser zehn Minuten ziehen lassen. Das Trinken eines solchen Tees wirkt etwa gegen Magen-Darm-Beschwerden oder Menstruationsschmerzen.
Die Wurzel wurde gegen Entzündungen des Zahnfleisches gekaut. Heute greifen die meisten Menschen auf standardisierte Teemischungen oder Dragées aus der Apotheke zurück.
Eine Hilfe bei blutenden Wunden und Nasenbluten ist es, gepflückte Blätter und Blüten auf die betroffene Stelle zu drücken (bei Nasenbluten das Nasenloch).
Gegen Menstruationsbeschwerden wurde Gänsefingerkraut mit heißer Milch übergossen, ziehen gelassen und getrunken. Äußerlich wurde der Sud auf Furunkel, unreine Haut, Hautentzündungen und Wunden aufgetragen. Methoden waren Bäder, Waschungen, Auflagen und Umschläge.
Bei Entzündungen in Mund und Rachen wird der Tee gegurgelt oder zum Ausspülen genutzt.
Wie sicher ist Gänsefingerkraut?
Es gibt keine Hinweise auf toxische Effekte oder bedenkliche Nebenwirkungen dieser Heilpflanze. Die Jahrhunderte währende Verwendung als Heil- und Küchenkraut spricht für die Sicherheit dieser Pflanze.
Dennoch sollte Gänsefingerkraut bei Stillenden, Schwangeren und Kindern nicht angewendet werden, denn es gibt keine Studien, in denen die Unbedenklichkeit für diese Risikogruppen getestet wurde.
Gänsefingerkraut in der Medizingeschichte
Die Klassiker der griechisch-römischen Antike erwähnen Gänsefingerkraut nicht als Arzneipflanze. Das verwundert aber nicht, da es im Altertum vermutlich am Mittelmeer nicht vorkam: Es handelt sich um eine Pflanze Mittel- und Nordeuropas nördlich der Alpen.
Johann Wonnecke von Kaub erwähnte das Kraut in seinem Kräuterbuch „Gart der Gesundheit“, welches im Jahr 1485 veröffentlicht wurde, zur Herstellung von Aufgüssen als nützliche Arznei gegen zahlreiche Beschwerden. In der frühen Neuzeit wurde Gänsefingerkraut im deutschsprachigen Raum unter anderem gegen folgende Leiden genutzt:
- Menstruationsbeschwerden,
- Ruhr (Shigellose),
- innere Blutungen,
- äußere Entzündungen,
- Zahnschmerzen,
- Nasenbluten.
Sebastian Kneipp setzte es später vor allem gegen Muskelschmerzen ein. Historische Anwendungen der Arzneipflanze gegen Entzündungen und Blutungen, Krämpfe und Durchfall sind plausibel und wissenschaftlich bestätigt.
Allerdings galt Gänsefingerkraut auch als Mittel gegen Blutvergiftung. Eine Blutvergiftung (Sepsis) ist die gefährlichste Zuspitzung einer Infektionskrankheit. Sie setzt ein, wenn die Immunabwehr des Körpers nicht mehr verhindern kann, dass Erreger in die Blutbahn gelangen und so diverse Organe angreifen.
Gänsefingerkraut hilft bei einer solchen lebensbedrohlichen Situation nicht. Stattdessen müssen die Betroffenen sofort in notärztliche Behandlung. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
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- Max Wichtl: Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis auf wissenschaftlicher Grundlage, Stuttgart, 2008
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.