Der Gefleckte Schierling gehört zu den giftigsten Pflanzen in Deutschland. Ein Trank aus den Früchten und/oder Wurzeln war in der Antike ein Mittel, um zum Tode Verurteilte hinzurichten. Trotz seiner extremen Giftigkeit hatte er in der Medizingeschichte auch eine Bedeutung als Arzneipflanze.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Conium maculatum
- Volksnamen: (Gefleckter) Schierling, Blutschierling, Düllkrut, Echter Schierling, Erdschierling, Gartenschierling, Kalberkern, Krottenpeterling, Mäuseschierling, Mauerschierling, Piphraut, Schampiepen, Scharpenpiepen, Scherline, Scherling, Schirling, Schirsing, Teufelspeterling, Tollkörfel, Tollkraut, Wogeltod, Wüterich, Wütscherling, Wutschierling, Ziegendill, Ziegenkraut
- Familie: Doldenblütler (Apiaceae)
- Verbreitung: Europa, gemäßigte Zonen Asiens und Nordafrikas, als Neophyt auch in Nord- und Südamerika
- Verwendete Pflanzenteile: In der Pharmazie werden lediglich extrahierte und isolierte Stoffe der Pflanze eingesetzt. Schierling ist in allen Pflanzenteilen hochgiftig! Die wirkenden Alkaloide /Pseudoalkaloide befinden sich in Blättern, Blüten, Früchten, Samen und Wurzeln.
- Inhaltsstoffe: Coniin, Conhydrin /Pseudoconhydrin, Conicein und Methylconiin, darüber hinaus Flavonoide, Cumarine, Polyacetylene, Vitamine und Öle
- Anwendungsgebiete: In der römisch-griechischen Antike vermutlich Einsatz gegen Augen- und Brusterkrankungen, historisch in der Volksmedizin bei Muskelschmerzen und Gelenkentzündungen, Krämpfen, Keuchhusten, Asthma, Ischiasschmerzen, Rückenschmerzen und Neuralgien. In der modernen Medizin wird Schierling aufgrund seiner Giftigkeit nicht verwendet – isolierte Inhaltsstoffe haben jedoch therapeutisches Potenzial.
Schierling – Eine Übersicht
- Gefleckter Schierling ist zusammen mit Wasserschierling (Cicuta virosa) und der Hundspetersilie (Aethusa cynapium) einer der giftigsten Doldenblütler.
- Der Schierlingsbecher, ein Trank aus den Früchten oder Wurzeln des Schierlings, diente in der Antike dazu, zum Tode Verurteilte hinzurichten. Das berühmteste Beispiel hierfür ist der Philosoph Sokrates.
- Gefleckter Schierling zeichnet sich durch einen intensiven Geruch nach Mäuseurin aus. Deswegen heißt er auch Mäuseschierling.
- Das Hauptalkaloid des Gefleckten Schierlings (Coniumalkaloid) ist Coniin. Dieses enthält auch die Gelbe Schlauchpflanze (Sarracenia flava), die mit dem Gift Insekten lähmt. Coniin wurde 1886 als erstes Alkaloid vollsynthetisch hergestellt.
- Der hoch giftige Gefleckte Schierling wurde historisch für eine Vielzahl medizinischer Praktiken genutzt, zum Beispiel gegen Hautgeschwüre und um Krämpfe zu lösen. Solche Therapien waren höchst riskant: Besonders innere Anwendungen konnten zum Tod der Patienten führen.
- Jesmin Mondal, Ashis Kumar Panigrahi, Anishur Rahman Khuda-Bukhsh: Anticancer potential of Conium maculatum extract against cancer cells in vitro: Drug-DNA interaction and its ability to induce apoptosis through ROS generation, in: Pharmagognosy Medicine, Volume 10, Issue 3, Seiten 524-533, 2014, Pharmacognosy Magazine
- Hannu Hotti, Heiko Riescher: The killer of Socrates: Coniine and Related Alkaloids in the Plant Kingdom, in: Molecules, Volume 22, Issue 11, Seite 1962, 2017, MDPI
- Reecha Madaan, S. Kumar: Screening of Alkaloidal Fraction of Conium maculatum L. Aerial Parts for Analgesic and Antiinflammatory Activity, in: Indian Journal of Pharmaceutical Sciences, Volume 75, Issue 5, Seiten 457-460, 2012, Indian Journal of Pharmaceutical Sciences
- Farah-Saeed, Mansoor Ahmad, Syed Mahboob Alam: Conium maculatum: A review, in: Journal of Pharmacognosy and Phytochemistry, Volume 7, Issue 5, Seiten 621-629, 2018, phytojournal
- Ali Esmail Al-Snafi: Pharmacology and Toxicology of Conium Maculatum - A Review, in: The Pharmaceutical and Chemical Journal, Volume 3, Issue 2, Seiten 136-142, 2016, The Pharmaceutical and Chemical Journal
Conium maculatum – Inhaltsstoffe
Gefleckter Schierling enthält Alkaloide /Pseudoalkaloide in hoher Konzentration und in allen Teilen der Pflanze, außerdem Flavonoide, Cumarine, Polyacetylene, Vitamine und Öle.
Diese Alkaloide treten zwar bisweilen auch bei anderen Gattungen auf, sind aber für Schierling so kennzeichnend, dass sie als Coniumalkaloide zusammengefasst werden. Unmittelbar vor der Fruchtreife ist der Anteil dieser Alkaloide in der Pflanze am höchsten und beträgt bis zu zwei Prozent. In den Früchten steigt er sogar bis auf 3,5 Prozent an. Durch Trocknen und Lagern der Pflanze sinkt der Gehalt an Alkaloiden, dies aber nur langsam.
Neben dem Hauptwirkstoff Coniin sind Conhydrin / Pseudoconhydrin, Conicein und Methylconiin für die Phytochemie des Gefleckten Schierlings charakteristisch.
Schierling – Medizinische Wirkungen
Viele toxische Substanzen wie Pflanzen-, Schlangen- oder Froschgifte haben zugleich ein hohes medizinisches Potenzial, wenn die toxischen Effekte zielgerichtet eingesetzt werden: Zelltötende Stoffe lassen sich zum Beispiel nutzen, um , Lähmungsgifte lassen sich in sicherer Dosierung als Narkotika einsetzen, manche Giftstoffe hemmen die Blutgerinnung, andere töten pathogene Erreger und Parasiten ab.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen solche möglichen Anwendungen auch für Substanzen des Gefleckten Schierlings auf. Eine 2014 veröffentlichte Studie aus Bengalen belegte, dass das Conium des Schierlings mit Molekülen der DNA unterschiedlicher Zelllinien (auch Krebszelllinien) interagierte und den Prozess der Zellerneuerung und des Zellzyklus behindert. Die Ergebnisse bestätigen für Extrakte aus Conium maculatum ein Potenzial für die Krebsmedizin und unterstützen seine Verwendung in der traditionellen Medizin.
Eine weitere Studie untersuchte 2012 die Aktivität des Gefleckten Schierlings gegen Entzündungen. Das wissenschaftliche Team wurde zur Studie inspiriert, weil Conium maculatum traditionell genutzt worden sei, um spasmische Störungen sowie nervöse Erregung zu behandeln, sowie rheumatische Schmerzen, Bauch- und Darmschmerzen zu lindern. Diese Beschwerden sind häufig mit Entzündungen verbunden.
Trotz der langen Tradition der medizinischen Anwendung sei Conium maculatum bisher nicht pharmakologisch daraufhin untersucht worden, ob Effekte als Schmerzmittel und gegen Entzündungen real vorhanden sind.
Die Studie prüfte Testdosierungen der Schierlingsalkaloide auf antientzündliche und analgetische Wirkungen im Tierversuch und verglichen diese Effekte mit den Standardarzneien Morphin und Indomethacin. Sowohl bei den antientzündlichen wie den schmerzlindernden Markern zeigte sich Gefleckter Schierling als deutlich aktiv.
Ein Review des irakischen Pharmakologen Ali Esmail Al-Snafi betonte ebenso die deutliche antientzündliche Wirkung des Schierlings im Tierversuch. Im Versuch bei Mäusen wurde eine zentrale Minderung der Sensitivität für Schmerzen nachgewiesen. Al-Snafi wies deutlich darauf hin, dass Conium maculatum zu den giftigsten Pflanzen für Tiere und Menschen gehört: Die Ursache dafür seien die Alkaloide in den Blättern, Blüten, Früchten, Samen und Wurzeln.
Medizingeschichte
Eine derart wirksame (Gift-) Pflanze beschäftigte Menschen bereits in früheren Zeiten. So diente Gefleckter Schierling in der griechischen Antike ebenso als Gift, um Menschen zu töten wie als Medizin.
Bei den Griechen und Römern des Altertums wurden der Saft, das Kraut und die Früchte äußerlich angewandt, um Erkrankungen des Auges und der Brust zu behandeln. Allerdings ist dabei nicht eindeutig, ob es sich bei der genutzten Pflanze um den Gefleckten Schierling oder verwandte Arten handelte.
Bei Hildegard von Bingen sollte der Schierling im Mittelalter gegen Koliken und Gicht helfen. In der Frühen Neuzeit waren Schierling-Extrakte eine Arznei gegen Keuchhusten und Hautleiden. Salben und Auflagenaus Schierling waren ein Mittel gegen Entzündungen der Lymphknoten und gegen eiternde Geschwüre.
Der persische Arzt Ibn Sina erwähnte Schierling als „sucara“ und Hieronymus Bock als „schirling“. Einig waren sich die Gelehrten darin, dass die Giftpflanze lediglich äußerlich angewandt werden durfte.
Cicuta virosa, der Wasserschierling wurde erst in der Frühen Neuzeit von Conium maculatum unterschieden.
Der österreichische Mediziner Anton von Störck empfahl im 18. Jahrhundert den Schierling, um vergrößerte Lymphknoten zu heilen und um Krebs zu bekämpfen. Bei Keuchhusten und Tetanus dienten Schierlingsalben dazu, die damit verbundenen Krämpfe zu lösen.
Schierling in Volksmedizin und Homöopathie
In der Homöopathie gilt Schierling als Mittel gegen Drüsenverhärtung, Prostata- und Brustkrebs, Schwindel und Sehstörungen (die aus Verlusterfahrung stammen sollen) sowie als Arznei gegen Verwirrtheit.
Ein Review aus dem Jahr 2018 hielt fest: In traditionellen Rezepten sollte Schierling gegen Herpes helfen. Tinkturen und Extrakte aus der Pflanze würden traditionell eingesetzt gegen Krämpfe, um zu sedieren und Schmerzen zu lindern, gegen Nervosität und Unruhe sowie gegen verschiedene bösartige Tumore. In der Homöopathie wurde er auch gegen Gebärmutterhalskrebs eingesetzt.
Wie wirkt Coniin?
Das im Schierling enthaltene Coniin lähmt (in toxischen Dosen) das Rückenmark. Der Tod kann durch Atemlähmung einsetzen. Die Betroffenen ersticken dann bei vollem Bewusstsein.
Coniin verhindert das Weiterleiten von Signalen zwischen den Zellen. Der Effekt ist dem von Curare sehr ähnlich und auch dem Scopolamin in Alraune und Stechapfel.
Eine Studie (2017) erörterte: als erstes Alkaloid sei Coniin 1881 chemisch entschlüsselt worden. Zudem sei es 1886 als erstes Alkaloid synthethisch produziert worden.
Coniin wird von Schleimhäuten und der Haut aufgenommen. Die Nerven werden erst erregt, später (und in höherer Dosis) gelähmt. Das Berühren einer Schierlingspflanze kann, bedingt durch das Coniin und die anderen Alkaloide, die Haut reizen und brennenden Schmerz hervorrufen.
Oral eingenommen führt Coniin zu vermehrtem Speichelfluss, zu Reizungen der Schleimhäute in Mund, Rachen und Hals. Weitere typische Symptome sind Schwindel, Atemnot, Krämpfe in den Bronchien, getrübte Wahrnehmung und Sehstörungen sowie Lähmungen. Bei einer lethalen Dosis folgt der Tod eine halbe Stunde bis fünf Stunden nach der Einnahme durch Lähmung der Muskeln im Brustkorb. Eine Menge von einem halben bis einem Gramm Coniin gelten als tödliche Dosis für einen Erwachsen.
Wie giftig ist der Schierling?
Vergiftungssymptome sind bei rund zehn Gramm frischer Früchte oder rund 30 Gramm der frischen Blätter zu erwarten. Die Aufnahme zeigt sich durch Halskratzen, Brennen im Mund, Augenrollen und Schwäche in den Beinen.
Da Gefleckter Schierling bis zu zwei Prozent Coniin enthält und darüber hinaus andere Alkaloide kann der Konsum von rund 50 Gramm der Pflanzenteile tödlich wirken. Am giftigsten sind die unreifen Früchte.
Was tun bei einer Schierlingsvergiftung?
Wer sich vergiftet, weil er Schierling gegessen hat, sollte Erbrechen auslösen und dafür sorgen, dass neutrale Substanzen das Gift im Magen aufnehmen. Dafür eignen sich Natriumsulfat, Aktivkohle oder eine Magenspülung mit Kaliumpermanganat-Lösung.
Bei einer schwerwiegenden Vergiftung und notwendigen medizinischen Notfallbehandlung kommt unter anderem eine künstliche Beatmung hinzu. Die Vergifteten müssen außerdem warmgehalten werden.
Vorsicht Verwechslungsgefahr
Die Giftigkeit des Schierlings ist seit Jahrtausenden bekannt. Vergiftungen kommen gelegentlich vor, weil die Betroffenen den Gefleckten Schierling mit Wiesen-Kerbel oder Petersilie verwechseln. Auch mit der Schafgarbe, eine beliebte Heilpflanze, ist Schierling leicht zu verwechseln.
Kerbel und Petersilie sind beide beliebte Küchenkräuter und werden traditionell im Freiland gesammelt. Auch im Garten kann es passieren, dass sich ein Schierling zwischen die Petersilie „schmuggelt“.
Sie können bei sorgfältigem Sammeln diese Gefahr vermeiden: Der Gefleckte Schierling riecht aufdringlich nach Mäuseurin. Im Unterschied zum Kerbel und der Petersilie sind seine Blätter geteilt, und die Stängel sind bläulich bereift. Wie der Name sagt kennzeichnen Conium maculatum außerdem rötliche Flecken am unteren Stängel.
Der Schierlingsbecher
Schierlingsbecher bezeichnete in der Antike einen Trank aus dem Schierling, mit dem in Athen zum Tod Verurteilte hingerichtet wurden. Dazu wurde die enthülste Frucht zerstampft und das Pulver auf Wasser gestreut. Der Verurteilte musste den Becher mit der Mischung austrinken – so war die Hinrichtung war ein erzwungener Suizid. Auch Menschen, die freiwillig aus dem Leben gingen, setzten diesen Trank ein, um sich selbst zu töten.
Bekannte Opfer des Schierlingsbechers waren Sokrates, der Politiker Theramenes, Polemarchos, Phokion und Nikokles, Thudippos und Pythokles.
Platon schrieb ausführlich über Sokrates Hinrichtung durch das tödliche Getränk. Platons Schilderung gilt unter Medizinhistorikern zwar nicht als gänzlich falsch, aber als ästhetisiert. So wird das Zucken des Körpers in Folge der Krämpfe nur am Rand erwähnt und von dem Verzerren der Gesichtszüge in Folge der Lähmung erfahren wir nur, dass Sokrates sein Gesicht verhüllte.
Allerdings gab es auch eine Milderung der Todesstrafe mit dem Schierlingsbecher. Dann wurde der giftigen Flüssigkeit Mohnextrakt beigegeben, der die Schmerzen betäubte.
Vorkommen
Gefleckter Schierling ist in den gemäßigten Breiten Europas, Nordafrikas und Westasiens verbreitet. Als Neophyt kommt er auch in Ostasien, Australien, Neuseeland und Nordamerika vor. Er besiedelt diverse Lebensräume, von Uferzonen bis zu Hecken und Gebüschen. Schnell erobert er Brachflächen. In Deutschland wird er auf Äckern und Weiden bekämpft. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
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Wichtiger Hinweis:
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