Die Europäische Haselwurz ist ein Bodendecker in feuchten Mischwäldern und wurde historisch als Brech- und Abführmittel eingesetzt. Substanzen der Pflanze finden sich in Fertigpräparaten gegen Erkrankungen der Atemwege. Eine Selbstmedikation mit Blättern und Wurzeln ist nicht zu empfehlen: Die abführenden und den Brechreiz auslösenden Effekte sind Reaktionen auf Giftstoffe.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Asarum europaeum
- Volksnamen: Gewöhnliche Haselwurz, Braune Haselwurz, Haselmönch, Haselmünch, Hexenrauch, Haselmusch, Hasenöhrlein, Hasenöhrchen, Hasenohr, Mausohren, Kampferwurzel, Scheibelkraut, Nierenkraut, Schlangenwurzel, Vogelskappe, Wilder Nardus, Hasselkraut, Hasenpappel, Aser, Brechhaselkraut, Drüsenkraut, Hasenpappel, Hasenpfeffer, Hasewurz, Hasselkräut, Hauswurzel, Kampferwurzel, Leberkraut, Natterwurz, Neidkraut, Schweinsohr, Speiblätter, Spitze Haselwörz, Teufelsklaue, Weihrauchkraut, Pfefferblätter, Pfefferkraut, Wilder Pfeffer.
- Familie: Osterluzeigewächse (Aristolochiaceae)
- Verbreitung: Eurasien bis weit nach Sibirien hinein, in ganz Mitteleuropa, im Süden bis Griechenland und Mittelitalien, im Norden bis in den Süden Skandinaviens
- Verwendete Pflanzenteile: Historisch die Blätter und Wurzeln. Standardisierte Extrakte finden sich in Fertigarzneien.
- Inhaltsstoffe: Ätherisches Öl mit dem Giftstoff Asaron, trans-Isoasaron, Methyleugnol / trans-Isomethyleugenol, Terpinolen, Aristolochen und andere Sesqui – und Monoterpenderivate, Flavonoide, Phenantrenderivate, Benzolderivate, Safrol, Sarisan, Lignane und Ketone.
- Anwendungsgebiete: Historisch als harntreibendes Mittel, Brech- und Abführmittel sowie zur Abtreibung. Diese Wirkungen sind Gifteffekte. Wegen der Giftigkeit wird heute in der Phytotherapie vor Haselwurz gewarnt. Standardisierte Extrakte finden sich in Mitteln gegen Bronchospasmen und Asthma bronchiale.
Haselwurz – Eine Übersicht
- Die Gewöhnliche Haselwurz wächst auf feuchtem Boden, der Kalk enthält: In Laubwäldern, unter Gebüschen, in Auenlandschaften, vor allem in Buchengehölzen auf sogenannten Braunerden. Besonders gut wächst sie unter Haselnüssen, und daher kommt auch der Name.
- Die Europäische Haselwurz braucht nicht nur einen lockeren humsreichen Boden, sie trägt auch selbst mit ihrem Wurzelwerk zur Auflockerung der Erde bei.
- Blätter und Wurzeln der Haselwurz schmecken pfeffrig-scharf. Deswegen heißt sie im Volksmund auch Pfefferkraut oder Wilder Pfeffer.
- Bis ins 18. Jahrhundert ist der Einsatz der getrockneten Rhizome als Brechmittel belegt – sie wurden lokal aber sehr wahrscheinlich noch bis in die jüngste Zeit dafür eingesetzt. Pulver aus den Wurzeln war Zutat für Schnupftabak.
- Die gesamte Pflanze ist giftig. Vergiftungssymptome beim Verzehr sind: Ein brennender Schmerz in Mund, Rachen und Schlund; Magenbeschwerden, Übelkeit und Erbrechen; Darmentzündung mit starkem Durchfall; Blutungen der Gebärmutter. Sehr selten ist der Verzehr auch tödlich (Atemlähmung).
- In der indischen Unani-Medizin werden Arten der Gattung Haselwurzen gegen zahlreiche Krankheiten eingesetzt.
- Die Blätter wurden in Kleiderschränke gelegt, um Motten abzuhalten. In Gärten ist Haselwurz beliebt, weil es Wühlmäuse auf Distanz hält.
Haselwurz – Inhaltsstoffe
Hauptwirkstoff ist das bis zu 4 Prozent enthaltene ätherische Öl und der darin enthaltene Giftstoff Asaron. Je nach Chemotyp der Pflanze kann die Zusammensetzung des ätherischen Öls variieren.
Weitere Komponenten des ätherischen Öls können trans-Isoasaron, Methyleugnol / trans-Isomethyleugenol, Terpinolen, Aristolochen (ein Sesquiterpen) und andere Mono- und Sesquiterpenderivate sein – wie etwa das Selinan-Derivat alpha-Agarofuran. Außerdem sind Flavonoide, Phenantrenderivate, Benzolderivate und Phenolcarbonsäureverbindungen enthalten.
Weitere bekannte Inhaltsstoffe sind Safrol, Sarisan, Lignane und Ketone.
Medizinische Wirkungen und Anwendungen
Blätter und Wurzeln schmecken scharf-pfeffrig. Die Wurzel enthält ätherische Öle. Diese reizen die Schleimhaut, lösen Brechreiz / Erbrechen und Niesen aus. Sie können auch zu inneren Blutungen in Darm, Magen und Speiseröhre führen.
Haselwurz fördert den Auswurf und wirkt führt abführend. Eingesetzt wurden die Blätter und die Wurzeln unter anderem, um die Menstruation zu fördern, Embryonen abzutreiben und Fehlgeburten einzuleiten sowie gegen grippale Infekte und Erkrankungen der Lunge / Bronchien.
Die Blätter und das Rhizom der Haselwurz, sowie ein daraus hergestelltes Pulver waren in Mitteleuropa bis in die frühe Neuzeit das am häufigsten eingesetzte Mittel, um Erbrechen auszulösen. Die Brechwurzel (Ipecahuanha), ursprünglich aus Südamerika, verdrängte dann jedoch die heimische Pflanze auch aus der Volksmedizin.
Haselwurz wird heute nur noch als standardisierter Extrakt in Fertigarzneimitteln eingesetzt, der die Inhaltsstoffe trans-Isoasaron und trans-Isomethyleugenol enthält. Die Arzneien wirken gegen Erkrankungen der unteren Atemwege, Bronchialkrämpfe unterschiedlichen Ursprungs und gegen Asthma.
Haselwurz – Toxische Effekte
Haselwurz enthält viele giftige Stoffe, darunter Aristolochiasäuren, Safrol, Terpinolen, Methyeugenol, Sarisan, in geringerem Ausmaß auch Lignane und Ketone.
Aristolochen fördert ein ungehemmtes Wachstum von Körperzellen, was zu Krebs führen kann. Zudem hat es große mutagene Auswirkungen: Es verändert also das Erbgut. Drittens schädigt Aristolochen die Nieren.
Sarisan kann zum Entstehen von Krebs durch Einflüsse auf die Lebertätigkeit führen. Sarisan ist weiterhin an Prozessen beteiligt, die den Informationstransport in den Nervenbahnen einschränken.
Ein chinesisches Wissenschaftsteam schließt in einer Studie (2018), dass Asarum toxisch auf die Lungenfunktionen wirken könnte, indem es das Energiegleichgewicht des Körperstoffwechsels verändert: Durch Ödeme, Blutungen und entzündliche Veränderungen. Die toxischen Prozesse, die Asarum in der Lunge auslöse, könnten durch die Immunantwort auf die entzündungsauslösenden Faktoren entstehen.
Das Kauen der Blätter und Wurzeln betäubt Lippen, Zunge, Mund und Rachen. Es kommt zu einem starken Brechreiz. Der Verzehr geht einher mit Magenschmerzen und Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und brennendem Schmerz in Rachen, Speiseröhre und Magen, auf der Zunge und den Lippen.
Auf der Haut führen Blätter und Wurzeln zu Rötungen, Juckreiz und Ausschlag. Bei seltenen, sehr starken Vergiftung kann der Tod durch Atemlähmung eintreten.
Medizingeschichte
Der antike Grieche Dioscurides erwähnte die Haselwurz als Mittel gegen Wassersucht und Hüftbeschwerden.
Der frühneuzeitliche Arzt und Botaniker Hieronymus Bock sah in ihr eine Arznei gegen Erkrankungen der Leber, Milz und Lunge, sowie der Wasser- und Gelbsucht. Er erwähnte auch, dass Haselwurz den Fötus im Mutterleib töte.
Im Jahr 1532 notierte Otto Brunfels, dass aus Haselwurz destilliertes Wasser ein Mittel sei, um abzutreiben. Der Naturforscher Lonicerus führte im 16. Jahrhundert aus: Haselwurz sei gut, um den Harn zu treiben, es handle sich um ein Fiebermittel. Haselwurz stärke Nieren und Blasen. Es löse den Niesreiz aus, sei dabei aber besser verträglich als die Weiße Nieswurz. Es helfe auch gegen Ikterus, Asthma und Husten. Auch Lonicerus vermerkte, dass Haselwurz Erbrechen auslöse und schädlich für Schwangere sei.
Der Arzt und Medizinautor Pietro Andrea Gregorio Mattioli (1501-1578) erwähnte, dass Haselwurz in der Volksmedizin Italiens weit verbreitet war. So schrieb er über die Haselwurz: >em>„Das Bauersvolk hat kein besser Arznei fürs kalte oder anstoßende Fieber.“ Waschungen mit Haselwurz sollten, ihm zufolge, den Kopf und das Hirn stärken sowie gegen Hautflecken helfen.
Haselwurz in der Ethno- und Volksmedizin
Traditionell war Haselwurz-Pulver beliebt, um Niesen auszulösen. So hoffte man, bei Infektionen der Nasennebenhöhlen den dort festsitzenden Schleim zu entfernen und dadurch die mit der Erkrankung verbundenen Kopfschmerzen loszuwerden.
In der Region Kiew wurde Asarum europaeum abgekocht und mit dem Sud das Gesicht gewaschen. Dies sollte gegen Aknepickel helfen.
In der Region Perm (Russland) wurde der Sud der Pflanze gegen Fieber und Schmerzen in Brust und Rücken getrunken. Äußerlich diente der Sud dazu, entzündete Brustwarzen zu heilen.
In der Ukraine wurden Umschläge mit dem Sud der gekochten Wurzeln bei Kopfschmerzen auf die Schläfen gelegt.
Im Russland des 19. Jahrhunderts diente Haselwurz als Mittel gegen Pilzvergiftungen: Vermutlich lag eine entsprechende Wirkung im ausgelösten Erbrechen, mit dem die giftigen Pilze aus dem Körper entfernt wurden.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Haselwurz in Russland besonders gegen Cholera eingenommen. Eine solche Methode half den Erkrankten allerdings nicht. Denn einhergehend mit den toxischen Effekten sind Erbrechen, Durchfall und Harndrang Wirkungen der Haselwurz.
Cholera-Erkrankte sterben vor allem durch den extremen Verlust an Flüssigkeit: Extremer Durchfall ist das typische Symptom dieser bakteriellen Infektionskrankheit. Um den Tod zu verhindern ist es vor allem nötig, den Betroffenen viel Flüssigkeit zuzuführen. Insofern verstärkte Haselwurz die Symptome der Cholera sogar, anstatt sie zu lindern.
In der Ukraine diente ein Aufguss aus den Wurzeln dazu, Hautgeschwüre und Hautflechte zu behandeln. Die pulverisierten Blätter waren eine Arznei gegen Schnupfen und Augenerkrankungen.
In Tschechien sollte sie in Honig gekocht gegen Erkrankungen der Leber helfen, gegen Tuberkulose und gegen Schüttelfrost.
In England war sie eine Hilfe, um das Ausschütten des Sekrets bei Entzündungen der Nasenschleimhaut zu erhöhen und damit verbundene Kopfschmerzen zu mindern.
Eine erhebliche Rolle spielt, laut einem Review von 2021, die Wurzel von Asarum europaeum in der indischen Unani Medizin. Sie wird eingesetzt als Muharrik-i-A‘sab (zur Nervenstärkung), Mudirr-i-Bawl (Diuretikum), Mudirr-i-Hayd (zum Fördern der Menstruation), Musakkin-i-Alam (Schmerzmittel) und Mand Muqawwī-i-Jigar (Lebermittel). Außerdem findet sie Anwendung gegen:
- fiebrige Erkrankungen,
- multiple Entzündungen,
- Epilepsie,
- Lähmungen,
- Blutarmut,
- Gicht.
Eine Übersichtsarbeit fasste 2022 den Gebrauch und die wissenschaftliche Basis der Haselwurz in der Unani Medizin zusammen. Demnach dient Haselwurz als prophylaktisches Arzneimittel gegen zahlreiche Erkrankungen wie Windpocken, Pest und virale Fieberkrankheiten.
Als therapeutische Ergänzung werde es eingesetzt bei: Epilepsie, Bronchitis, Lähmungen, Hexenschuss (Lumbago), Harnsteinen, Bauchwassersucht und Hepatitis.
Gut belegt seien laut der Autoren Anwendungen als Pulver, Sirup, Extrakt, Öl oder pflanzliche Droge, entweder allein oder in Mischungen mit anderen Kräutern.
Auch in der persischen Medizin ist Haselwurz bekannt, laut einem Review von 2016. Hier gilt sie als „convoy drug“(persisch: mobadregh). Das sind Substanzen, die die Aufnahme von Arzneien und Nährstoffen im Körper fördern.
Laut einer Studie von 2017 werden Spezies der Gattung Asarum in der Medizin Chinas genutzt. Die daraus gewonnene Arznei ist bekannt als Xixin. Die Studie untersuchte die chemische Struktur der Haselwurz und kam zu dem Ergebnis, dass die Pflanze nicht als sichere Arznei gelten könne. Neben den Aristolochiasäuren müssten weitere Substanzen berücksichtigt werden, um Medikamente zu entwickeln, die keine gravierenden Nebenwirkungen hätten. Die gesamte Struktur der aktiven Extrakte aus der Pflanze müsste erst noch verstanden werden.
Wichtig: Trotz dieser vielseitigen und weitverbreiteten Anwendung von Haselwurz in der (früheren) traditionellen Medizin wird von der Nutzung als Heilpflanze heute abgeraten. Die giftigen Inhaltsstoffe können zu erheblichen gesundheitsschädlichen Auswirkungen führen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Shakeen Akhlaq, Shabnam Anjum Ara, Mohammad Fazil et al.: Ethno pharmacology, phytochemical analysis, safety profile, prophylactic aspects, and therapeutic potential of Asarum europaeum L. in Unani medicine: An evidence-based appraisal, in: Phytomedicine Plus, Volume 2, Issue 2, 100226, 2022, ScienceDirect
- Karl Hiller und Matthias F. Melzig: Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen in zwei Bänden. Erster Band A bis K. Heidelberg-Berlin, 1999
- Yamin Li, Lintao Han, Chunhua Hang et al.: New Contributions to Asarum Powder on Immunology Related Toxicity Effects in Lung, in: Evidence basend Contemplary and Alternative Medicine, Volume 2018, 1054032, 2018, Hindawi
- M D Maseehullah, Mohammad Zakir, Mohd Anas et al.: Ethno-pharmacology of Asaroon ( Asarum europaeum L.) with special reference to Unani System of Medicine, in: Journal of Contemplary and Integral Medicine, Volume 19, Nr. 2, Seiten 181-192, 2021, De Gruyter
- Johanna Michl, Olusheyi Bello, Geoffrey C. Kite et al.: Medicinally Used Asarum Species: High-Resolution LC-MS Analysis of Aristolochic Acid Analogs and In vitro Toxicity Screening in HK-2 Cells, in: Frontiers in Pharmacology, Volume 8 - 2017, Frontiers
- Seyede Nargess Sadati, Mohammad Reza Shams Ardekani, Nastaran Ebadi et al.: Review of Scientific Evidence of Medicinal Convoy Plants in Traditional Persian Medicine, in: Pharmacognosy Reviews, Volume 10, Issue 19, Seiten 33-38, 2016, Pharmacognosy Reviews
- Walter Wurzer (Hrsg.): Die große Enzyklopädie der Heilpflanzen. Klagenfurt 1994. Titel des Originals 1977 „Le erbe“. Übertragung aus dem Italienischen.
Wichtiger Hinweis:
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