Vinca minor: Immergrün als Heilpflanze
Der Name Immergrün verrät bereits einiges über die Beschaffenheit der Pflanze – so ist sie das ganze Jahr über grün. Der lateinische Gattungsname Vinca leitet sich von zwei verschiedenen Wörtern ab. Erstens von vincere (siegen, gewinnen), was soviel bedeutet, dass das Immergrün über den ständigen Wechsel von Werden und Vergehen stets erhaben ist. Die zweite Bedeutung stammt vom lateinischen Wort vincire / pervincire (binden, umwinden) was daran erinnert, dass früher die Ausläufer der Pflanze zu Kränzen gebunden wurden.
Hinweis: Der folgende Text bezieht sich auf die Art Kleines Immergrün (Vinca minor).
Steckbrief: Immergrün (Vinca minor)
- Wissenschaftlicher Name: Vinca minor
- Volksnamen: Kleines Singrün; Immergrün: Wintergrün, Totengrün, Totentanz, Totenveilchen, Singrün, Jungfernkraut, Jungfernkranz, Bärwinkel, Ewiggrün, Dauergrün, Jungfernkrone
- Pflanzenfamilie: Hundsgiftgewächse (Apocynaceae)
- Vorkommen: Europa und Kleinasien
- Verwendete Pflanzenteile: Blätter
- Inhaltsstoffe: Alkaloide (Vincamin, Vincin, Vincaminin, Vincarubin, Eburnamenin), Bitterstoffe, Flavonoide, Saponine, Gerbstoffe, Terpene
- Anwendungsgebiete: Halsschmerzen, Zahnfleischentzündung, Menstruationsbeschwerden, Nasenbluten, Durchblutungsförderung, Verdauungsprobleme, hoher Blutdruck, Wundbehandlung
- Heilwirkung: adstringierend, antibakteriell, entzündungshemmend, blutstillend, beruhigend, krampflösend, schleimlösend und kräftigend
Wirkungsweise
Seine adstringierende Wirkung zeigt sich vor allem bei Entzündungen im Mundbereich, wie Zahnfleischentzündungen und Mundgeschwüre (Aphten), und bei Halsschmerzen. Blutungen, wie eine verstärkte Menstruationsblutung oder auch Nasenbluten, sprechen gut darauf an. Das enthaltene Alkaloid Vincamin soll die Durchblutung im Gehirn verbessern.
Dosierung
Alle Pflanzenteile von Vinca minor sind giftig. Deshalb ist auch unbedingt die vorgegebene Dosierung einzuhalten. Die Pflanze ist in homöopathischer Verdünnung in Mischpräparaten enthalten oder wird als Einzelmittel verabreicht. Auch ist eine Einnahme in Teeform möglich, jedoch als dünner Teeaufguss mit wenig Kraut und kurzer Ziehzeit. Äußerlich angewandt darf der Aufguss etwas kräftiger sein.
Geschichtliches
Im 2. Jahrhundert erwähnte der römische Schriftsteller, Redner und Philosoph Apuleius das Immergrün in seinem Herbarium. So sei es bei der „Teufelskrankheit“, bei dämonischer Besessenheit und gegen Schlangen und wildes Getier von Nutzen gewesen.
Für die Ernte des Immergrün empfahl er folgenden Spruch: „Ich bitte dich Vinca pervinca, du mit so vielen nützlichen Tugenden Begabte, übertrage deine Tugenden auf mich, so dass ich beschützt und immer glücklich bin und nicht Schaden nehme durch Gift oder Wasser.“ (aus: „Das Große Lexikon der Heilpflanzen“, Andrew Chevallier, 2017).
Mythologie
zu pflücken versprach, von jeglicher Unreinheit befreit zu sein. Wichtig dabei war, den richtigen Zeitpunkt für die Ernte zu wählen. Und zwar, wenn der Mond neun Nächte alt ist. Auch war das Immergrün als Liebespflanze bekannt. Bräute trugen deshalb Immergrünkränze. Des weitern soll das gemeinsame Essen der Blätter dem Brautpaar zu noch engerer Verbundenheit verholfen haben.
Das Immergrün zählt zu den Zauberpflanzen und zu den Orakelblumen der Druiden. Die Gesamtblüte, ein sogenannter 5-Stern, soll als magisches, mittelalterliches Symbol Dämonen vertrieben haben. Auch wird dieser Pflanze nachgesagt, dass Priester durch deren Einnahme ihre Gedankenkräfte gesteigert haben.
Des weiteren wird erzählt, dass Kinder früher mit einem symbolischen Schlag auf den Kopf mit dem Immergrün und dem Satz: „geh zu und lern´ was“ in die Schule verabschiedet wurden. Bei Lernproblemen trugen Kinder Amulettsäckchen, welche Immergrün enthielten, um den Hals. em>Vinca minor wurde früher als „Blume der Inspiration“, als Pflanze, die den Geist beflügelt, gesehen.
Vinca minor war eine Schutzpflanze, die Geister, Böses aber auch Krankheiten fern halten sollte. Sie symbolisiert durch ihr immer grün sein die Unsterblichkeit, weshalb die Toten gebundene Kränze aus immergrün mit ins Grab bekamen. Vielleicht kam ja so die Bezeichnung „Totengrün“ zustande.
Einsatz als Heilpflanze
Als alte Heilpflanze wurde das Immergrün bei verschiedenen Leiden eingesetzt. So verwendeten bereits die Griechen und Römer die Pflanze bei Gebärmutterleiden, bei Durchfall, Zahnschmerzen oder giftigen Bissen. Als Wundheilmittel war es mit dem Namen „Singrün“ (aus dem Mittelhochdeutschen für immerwährend) in Kräuterbüchern bekannt.
Dioskurides – einer der bekanntesten Ärzte des Altertums – nannte das Immergrün Polemion und schreibt darüber: „Seine Blätter und Stängel, mit Wein getrunken, beschwichtigen Durchfall und Dysenterie, mit Milch und Rosen oder Zyperngrassalbe im Zäpfchen eingelegt, heilen sie Gebärmutterleiden. Gekaut lindern sie auch Zahnschmerzen und helfen aufgelegt gegen den Biss giftiger Tiere. Man sagt, dass sie, mit Essig getrunken, die von der Aspisschlange Gebissenen heilen.“
In der Medizin
Immergrün enthält 40 verschiedene Indolalkaloide. Unter vielen anderen ist das Vincamin mit einem Anteil von bis zu zwei Dritteln das Hauptalkaloid. Dieser Wirkstoff wurde / wird in verschreibungspflichtigen Kapseln bei Schwindel und zerebralen Durchblutungsstörungen angewandt. Seit dem Jahr 2005 ist der Wirkstoff in Deutschland nicht mehr verfügbar, denn die Anwendung ist unter anderem wegen nicht ausreichend belegter Wirksamkeit und aufgrund des Verdachts auf Blutbildungsveränderungen nicht vertretbar (Negativmonografie der Kommission E).
Vergiftungserscheinungen
Das Immergrün gilt aufgrund seiner Inhaltsstoffe eine Giftpflanze. Zu den Vergiftungserscheinungen gehören massiver Blutdruckabfall, Herz- und Kreislaufbeschwerden sowie Atemprobleme und gastrointestinale Störungen. Zum Glück ähnelt das Immergrün keiner essbaren Pflanze. Kinder werden von ihr eher nicht angezogen, sodass die Giftnotrufzentralen nur selten Intoxikationen mit dieser Pflanze registrieren.
Homöopathie und Spagyrik
In der Homöopathie wird die frische Pflanze, zu Beginn der Blüte verwendet – als Mittel für Hautbeschwerden, bei Ekzemen und bei Blutungen. Des weiteren wird es angewandt bei feuchten Flecken auf der Kopfhaut, die das Haar verfilzen, bei wunden Stellen in der Nase, bei Schluckbeschwerden, bei Milchschorf, anhaltenden Blutungen in den Wechseljahren, bei zerebralen Durchblutungsstörungen und bei großer Hautempfindlichkeit mit Rötungen und Wundheit. Das Immergrün ist in spagyrischen Essenzen, auch zusammen mit anderen Pflanzen, enthalten.
Botanik
Das Immergrün ist ein beliebter Bodendecker, der sich mit seinen bis zu 80 Zentimeter langen Ausläufern am Boden entlang schlängelt und das ganze Jahr über grün ist, auch im Winter. Die Blüten zeigen sich von März bis Mai, sind violett bis blau oder manchmal sogar weiß. Die Form der Blüten ist ein sogenannter Fünfstern, der an ein kleines Windrad erinnert.
Zusammenfassung
Das Kleine Immergrün ist aufgrund seiner enthaltenden Alkoloide eine giftige Pflanze. Heutzutage wird die Pflanze nur noch in homöopathischer Form, in der Spagyrik und ab und zu als Teerezeptur angewandt. Am häufigsten sieht man diese Pflanze in Gärten als unkomplizierten Bodendecker. (sw)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Raimann, Christian, Heilpflanzensignaturen: Immergrün, Kleines – Vinca minor L., Thieme Connect, 2019, thieme-connect.de
- Fintelmann, Volker: Lehrbuch Phytotherapie, 12. Auflage, Karl F. Haug, 2009
- Wiesenauer, Markus, Elies, Michael: Praxis der Homöopathie, 5. Auflage, Karl F. Haug, 2013
- Chevallier, Andrew: Das große Lexion der Heilpflanzen, Dorling Kindersley Verlag GmbH, 2017
- Rippe, Olaf, Madejsky, Margret, Ochnser, Patricia, Rätsch, Christian: Paracelsusmedizin – Altes Wissen in der Heilkunst von heute, 5. Auflage, AT Verlag, 2001
- Oberbeil, Klaus: Kräuter und Gewürze als Medizin, 1. Auflage, Riva 2019
- Jürgen Reichling, Pschyrembel Redaktion: Vinca minor L., Pschyrembel online, letzte Aktualisierung: März 2019 (Abruf 06.05.2022), Pschyrembel online
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.