Die gewöhnliche Kornrade war einst eine weit verbreitete Ackerpflanze. Wegen ihrer Giftigkeit wurde sie seit jeher bekämpft und ist aus dem heutigen Saatgut entfernt. Darum findet sie sich heute in Mitteleuropa kaum noch. Die Volksmedizin setzte sie gegen Hautinfektionen und Darmwürmer ein. Auch als Hausmittel der Landbevölkerung wird sie heute wegen ihrer Toxizität so gut wie nicht mehr genutzt.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Agrostemma githago
- Volksnamen: Höllenkorn, Schwarzer Ackerkümmel, Rote Kornblume, Gewöhnliche Kornrade, Kornnelke, Kornrose, Roggenrose, Ackerrade, Rade, Ackerkrone, Pisspötken, Klockenblume, Bettelblume, Uhrblume
- Familie: Caryophyllaceae (Nelkengewächse)
- Verbreitung: Ursprünglich im östlichen Mittelmeerraum und in Westasien, breitete sich mit der Feldwirtschaft in Europa aus. In Mitteleuropa ist sie heute selten. Sie wächst als Neophyt in Amerika, Südafrika und Australien sowie auf den Kanarischen Inseln.
- Verwendete Pflanzenteile: Historisch die Samen und das Kraut, heute wird sie medizinisch nicht mehr eingesetzt.
- Inhaltsstoffe: Saponine wie Githagin und Githagenin, Agrostemmasäure
- Anwendungsgebiete: Alle Teile der Pflanze sind stark giftig! In der Volksheilkunde wurde die Pflanze historisch bei Hautunreinheiten, Darmerkrankungen, Husten, zur Entwurmung und zum Entwässern eingesetzt. Eine Wirksamkeit der Kornrade bei diesen Beschwerden lässt sich nicht belegen, und oft ist unklar, ob es sich bei den verwendeten Pflanzen wirklich um Kornrade handelte. Isolierte Stoffe der Samen bieten ein Potenzial in der Krebsmedizin.
Kornrade – Eine Übersicht
- Agrostemma githago ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Kornrade war in der vorindustriellen Landwirtschaft ein häufiges Ackerwildkraut auf Getreidefeldern, Brachflächen und Einöden. Heute ist sie in Mitteleuropa sehr selten, da sie wegen ihrer Giftigkeit radikal bekämpft wurde und wird.
- Kornrade gedeiht auf mäßig sauren Böden, die sandig oder lehmig sein dürfen. Sie liebt volle Sonne, kommt mit Trockenheit sehr gut aus und bevorzugt ärmere Erde. Wie viele andere typische Ackerkräuter der vorindustriellen Landwirtschaft verschwindet sie aus den heute mit Mineraldünger übersättigten Böden.
- Kornrade ist in der Agrarlandschaft Mitteleuropas sehr selten geworden, findet sich aber vermehrt in Saatmischungen für Natur- und Bauerngärten. Sie ist als Zierpflanze in Blumenbeeten ebenso beliebt wie als Insektennahrung und lässt sich im Garten leicht ziehen.
- Kornrade ist seit der Jungsteinzeit ein vom Menschen abhängiger Kulturfolger. Ihre Kapseln öffnen sich in der Natur durch Verrotten, viel schneller aber seit Jahrtausenden durch das Dreschen des Getreides. Die Samen der Kornrade reiften dann gemeinsam mit Roggen und Weizen.
- Da Kornradesamen erstens ähnlich groß sind wie die des von Menschen konsumierten Getreides, zweitens mit diesem zusammen reifen und drittens hochgiftig sind, gehörte die Pflanze traditionell zu den von Bauern gefürchteten und gehassten „Unkräutern.“
- Der Artname „githago“ verweist darauf, dass die Samen der Kornrade denen des Schwarzkümmels ähneln. Dieser heißt auf Griechisch „gith“.
- Kornradensud wird eingesetzt, um Ackerschädlinge zu bekämpfen, zum Beispiel Nematoden.
Inhaltsstoffe
Kornrade enthält die Aminosäure Orcylalanin (0,4 Prozent), Triterpensaponine (Githagosid, Agrostemmasaponin), das Protein Agrostin und fette Öle. Das Saponin Githagosid wirkt toxisch. Githagosid verknüpft Githegenin mit Zuckern wie Rhamnose, Glucose und Xylose. Githagosid ist am stärksten in den Samen konzentriert.
Eine Studie von 2020 isolierte und untersuchte die von der Kornrade produzierten Proteine, die die Ribosomen inaktivieren und so den Tod von Zellen herbeiführen. Diese sind, laut der Studie, für die Giftwirkungen der Pflanze mitverantwortlich.
Medizinische Effekte
Eine iranische Studie der Ardabil University of Medical Sciences kam 2015 zu dem Ergebnis, dass ein flüssiger Extrakt aus Kornrade deutlich gegen Darmkrebszellen hilft. Der Effekt führte zum Zelltod der Tumorzellen und zum Stillstand von deren Zellzyklus. Die Forschenden hielten es potenziell für möglich, einen solchen Extrakt in der Therapie gegen Darmkrebs einzusetzen.
Studien der Berliner Pharmazeuten Philip Hebestreit und Matthias F. Melzig kamen bereits 2003 zu folgendem Schluss: Extrakte aus den Samen der Kornrade wirkten cytotoxisch, also gegen Krebszellen. Dieser Effekt entsteht, so die Forscher, durch eine „cooperate toxicity“ des Agrostins und des Agrostemmasaponins. Diese würden als funktionale Einheit agieren.
Toxische Wirkungen
Getreidemehl gilt bereits bei einem Anteil von 0,1 Prozent Kornrade als giftig. Höhere Konzentrationen führen zu einer Blaufärbung und einem bitteren Geschmack des Mehls.
Bevor die Getreidesaat systematisch industriell von Kornradesamen gereinigt wurde, waren Vergiftungen sehr häufig. Menschen vergifteten sich, wenn sie Mehl, Brot oder Getreidekaffee konsumierten, der die Samen der Pflanze enthielt.
Drei bis vier Samen führen bei Erwachsenen bereits zu Vergiftungen. Drei bis fünf Gramm der Samen können Übelkeit und Erbrechen, Krämpfe, Benommenheit und Reizungen in Mund und Rachen auslösen.
Bei höherer Dosierung kommt es zu Atemlähmung und Kreislaufschock. Ein einzelner Samen der Kornrade auf 1000 Getreidekörner wirkt bei Schweinen schon tödlich, bei Rindern und Hühnern sind es zwei bis fünf der Samen.
Vergiftungserscheinungen beim Menschen sind Schwindel, Kratzen in der Speiseröhre, erhöhter Herzschlag, Kopfschmerzen, Magenkrämpfe und Übelkeit. Herzrhythmusstörungen folgen, verbunden mit Fieber und Delirium. Tödlich wird dann eine Lähmung der Atemmuskeln.
Kornrade und Mutterkorn
Bei historischen Vergiftungen durch Mehl und Brot war indessen häufig nicht nur die Kornrade beteiligt, sondern auch das sogenannte „Mutterkorn“, also ein Claviceps-Schlauchpilz, den die Menschen oft mit dem Samen der Kornrade verwechselten.
Die Vergiftung mit diesem Pilz führt ebenfalls zu Schmerzen, Krämpfen und Lähmungen, zusätzlich sterben allerdings auch Gliedmaßen ab, und die Betroffenen entwickeln Halluzinationen, was bei der Kornrade nicht der Fall ist.
Kornrade in der Volksmedizin
Kornrade wurde in der Volksmedizin vor allem eingesetzt, um Wurmbefall zu behandeln, Hautinfektionen zu bekämpfen und gegen Darmentzündungen. Kornrade sollte das Blut stillen, Schleim lösen, den Harn treiben und entwässern.
Die toxischen Triterpensaponine helfen tatsächlich dabei, Schleim zu verflüssigen. Saponine haben auch eine harntreibende wie entzündungshemmende Wirkung.
Sowohl bei historischen Anwendungen der Kornrade in der Medizin wie auch in historischen Vergiftungen durch die Pflanze ist allerdings Vorsicht geboten, diese Eins zu Eins als Fakt anzugeben. Häufig ist nämlich unklar, ob sich Rezepte mit „Rade“ und ähnlichen Begriffen auf die Kornrade beziehen.
So schrieb Hildegard von Bingen zwar im 11. Jahrhundert über „rade“, die im Getreide wachse. Diese sei für Menschen ungenießbar, aber mit Speck ein Mittel gegen Hautausschlag.
Honig mit dem Presssaft der Pflanze vermischt würde Fliegen töten. Der Abschnitt in der „Physica“ der Heilerin des Mittelalters kann sich aber auch auf den Taumellolch (Lolium temulentum) beziehen.
Der Arzt Adam Lonitzer (1528-1586) verfasste eines der bekanntesten Kräuterbücher seiner Zeit. Kornrade sollte danach gegen Schnupfen, verschleimte Atemwege und Zahnschmerzen helfen. Er schrieb wörtlich:
„Raden in ein Glaß gethan / mit Wein gesotten / und den getruncken / gut denjenigen / so schwerlich harnen. Raden in ein Tüchlein gethan / und für die Nase gehalten / benimmt den Schnupffen und Fluß des Haupts. Raden mit Essig gesotten / im Mund gehalten / benimmt das Zahnwehe.“
Im 18. Jahrhundert verschwand die Kornrade weitgehend aus der Medizin. In der Homöopathie wurden später zwar verdünnte Mittel aus der Pflanze erwähnt, doch die letzte Monografie der Pflanze in dieser Heilslehre erschien 1934.
Wichtiger Hinweis
Kornrade ist stark giftig. Auf jegliche Anwendung der Pflanze in der Volksmedizin oder als Hausmittel sollte unbedingt verzichtet werden.
Die Ackerrandgesellschaft
Kornrade ist eine Charakterpflanze der Ackerbegleitflur. Es handelt sich um eine Pflanzengesellschaft, die noch vor einem Jahrhundert allgegenwärtig war, und die es heute in Deutschland kaum noch gibt.
Ackerwildkräuter sind Kulturfolger, die sich seit der Jungsteinzeit mit der Getreidewirtschaft verbreiteten. Neben Kornrade gehören Rittersporn, Klatschmohn, Kornblume und Wucherblume typischerweise zu dieser Flora.
Kornrade breitete sich aus, als die Ackerbauern seit der Antike die Wälder Mitteleuropas rodeten und kleine Felder anlegten. Auf denen bauten sie Kornarten wie Einkorn oder Emmer an, deren Wildformen aus den Steppen Vorderasiens kamen.
Auch die Ackerwildkräuter sind ursprünglich Pflanzen der Steppen und Halbwüsten. Ihre Samen befanden sich in den Getreidekörnern, die die Bauern aussäten. Vorher kamen sie in Mitteleuropa nicht vor.
Die Kornrade durchlief einen Evolutionsprozess. Ihre Samen passten sich an die Größe der Weizen- und Roggenkörner an. Ohne es zu wollen, säten die Bauern die Kornrade so immer wieder mit aus.
Die ursprünglich aus dem mediterranen Raum stammende Pflanze keimte bei kälteren Temperaturen und passte sich so auch an das Wintergetreide an. Bis in die 1960er Jahre gedieh Kornraute so besonders in Roggenfeldern. Saatgutreinigung entfernt ihre Samen heute völlig aus dem Getreide.
Ökologische Bedeutung
Kornrade ist eine wichtige Nährpflanze für diverse Insekten. Sie lässt sich im Garten und Ackerbau gut als Zwischenfrucht einsetzen, denn sie wirkt gegen Nematoden, Fadenwürmer, die Rübenwurzeln und andere Pflanzen als Endoparasiten schädigen. Zudem verbessert sie als Gründünger die Bodenqualität. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Shahab Bohlooli, Shariar Bohlooli, Roghaye Aslanian et al.: Aqueous extract of Agrostemma githago seed inhibits caspase-3 and induces cell-cycle arrest at G1 phase in AGS cell line; in: Journal of Ethnopharmacology, Volume 175, Seiten 295-300, 2015, ScienceDirect
- Philipp Hebestreit, Matthias F. Melzig: Cytotoxic activity of the seeds from Agrostemma githago var. Githago; in: Planta Medica, Volume 69, Issue 10, Seiten 921-925, 2003, Thieme
- Chistoph Weise, Achim Schrot, Leonie T. D. Wuerger et al.: An unusual type I ribosome-inactivating protein from Agrostemma githago L.; in: Scientific Reports, Volume 10, Open Access, Online Publication, 2020, Nature
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