Die Brechnuss (Strychnos nux-vomica) ist ein Laubbaum aus Südostasien. Die Samen der Brechnuss sind Quelle des Giftes Strychnin. Historisch wurde dieses eingesetzt, um das Herz-Kreislauf-System zu beschleunigen. Heute wird dringend davon abgeraten. Strychnin und andere Alkaloide der Brechnuss haben indessen auch eine deutliche Wirkung gegen bestimmte Krebsformen.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Strychnos nux-vomica
- Volksnamen: Gewöhnliche Brechnuss, Brechnussbaum, Krähenauge (Samen)
- Familie: Brechnussgewächse (Loganiaceae)
- Verbreitung: Sri Lanka, Indien, Tibet, Südchina, Vietnam und Nordaustralien
- Verwendete Pflanzenteile: Historisch die Samen. Diese enthalten hoch giftige Alkaloide wie Strychnin und Brucin und werden heute nicht mehr medizinisch genutzt.
- Inhaltsstoffe: Strychnin, Brucin, Colubrin, Vomicin
- Anwendungsgebiete: Historisch als Dopingmittel, um das Herz-Kreislauf-System zu beschleunigen und gegen Schwächezustände. Heute als homöopathisches Mittel Nux vomica in starker und daher ungiftiger Verdünnung. Das in der Brechnuss enthaltene Strychnin ist die Grundlage von Rattengift.
Nux vomica – Eine Übersicht
- Für Menschen sind die Samen der Brechnuss höchst giftig, Nashornvögel fressen sie hingegen als reguläre Nahrung.
- Brechnusssamen sind noch heute der Rohstoff, aus dem das Gift Strychnin gewonnen wird.
- Strychnin wurde historisch gegen Schwächezustände angewandt und dazu, das Herz-Kreislauf-System zu stimulieren. Aufgrund der hohen Giftigkeit rät die heutige Medizin dringend von solchen Anwendungen ab. Lediglich als stark verdünntes homöopathisches Mittel Nux vomica darf die Brechnuss verwendet werden.
- Aus Strychnin wird heute noch Rattengift hergestellt. Historisch dienten Brechnusssamen dazu, Fische zu betäuben und Tiere zu vergiften: Füchse, Katzen, Hunde oder Mäuse.
- Kriminalromane setzen Strychnin oft als fiktive Mordwaffe ein. In Wirklichkeit diente das Gift selten als Mordwerkzeug, denn es zählt zu den bittersten Substanzen und ist selbst bei einer Verdünnung von 1 zu 130.000 noch geschmacklich wahrnehmbar.
- Heute wird eine leistungssteigernde Wirkung aus medizinischer Sicht bestritten. Strychnin steht allerdings nach wie vor auf der Liste verbotener Dopingmittel.
- Strychnin kommt auch in anderen Arten der Brechnussgewächse (Loganiaceae) vor.
Inhaltsstoffe
Rinde, Wurzeln, Blätter, Holz und Samen des Brechnussbaumes enthalten das sehr giftige Alkaloid Strychnin. Das Repertoire an Alkaloiden in den Brechnusssamen umfasst darüber hinaus das an Chlorogensäure gebundene Nervengift Brucin, sowie Colubrin und Vomicin.
Brucin wirkt wie Strychnin schon in kleinen Mengen als Nervengift, beim Einnehmen ebenso wie beim Einatmen und beim Hautkontakt. Dies führt zu Lungenödemen und zur zentralen Atemlähmung.
Achtung: Eine extreme Gefahr besteht für Menschen mit Herzkrankheiten und Lebererkrankungen. Strychnin wie Brucin sind sich strukturell sehr ähnlich und gehören beide zu den Hydrocarbazol-Alkaloiden.
Toxische Wirkungen der Brechnusssamen
Ein chinesischer Review von 2019 erörtert: In den Brechnusssamen sind die giftigen Alkaloide in unterschiedlicher Konzentration erhalten. Den höchsten Alkaloidgehalt haben die Brechnusssamen aus Sri Lanka mit fünf Prozent.
Die Symptome wie verstärkte Sinneseindrücke stellen sich bereits bei geringsten Mengen ein. Schon 0,2 Gramm Brechnussextrakt können Zwerchfellkrämpfe und Muskelzuckungen sowie den Tod durch Atemlähmung verursachen.
Strychnin
Der bekannteste Stoff in der Gewöhnlichen Brechnuss ist Strychnin, ein hochgiftiges Alkaloid. Es bildet farblose bittere Kristalle in Prismenform. Diese lösen sich kaum in Wasser, wohl aber in Chloroform und Alkohol.
Eine Dissertation aus Würzburg untersuchte 2016 die Wirkung des Strychnins beim Angriff auf Glyconrezeptoren: Strychnin wirkt demnach auf das Nervensystem ein. Dort hemmt es einen Chloridkanal im Rückenmark, der einen Rezeptor für den Neurotransmitter Glycin bildet.
Ein Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung fasste 2008 zusammen, was das Fehlen von Glycin im Körper auslöst: Fällt das Glycin weg, dann wird das Nervensystem übererregt. Der Ausfluss von Natriumionen aus den Spinalnerven stockt, damit werden Aktionspotenziale reduziert.
Diese Übererregbarkeit des Nervensystems geht einher mit Symptomen wie Krämpfen des Zwerchfells, Herzrasen und erhöhtem Blutdruck, die schnell zum Atemstillstand führen. Die Hirnrinde ist nicht betroffen, und die Krämpfe laufen bei vollem Bewusstsein ab.
Die erste Phase der Vergiftung beginnt nach rund 15 Minuten und zeigt sich als Zittern, Zucken, Steifheit der Gesichtsmuskeln und Beine. Dann folgen schmerzhafte Krämpfe und eine Übersensibilität auf äußere Reize.
Die Krampfanfälle folgen in immer kürzeren Abständen und nehmen an Heftigkeit zu. Der Tod tritt durch Sauerstoffmangel in den Geweben auf.
Selten überleben Vergiftete mehr als fünf Krampfanfälle und die darin enthaltenen Atemstillstände. Sekundäre Effekte sind eine Überproduktion an Milchsäure, Nierenversagen, Überhitzung und Auflösung von Muskelfasern.
Bei einer Vergiftung mit Strychnin (beziehungsweise Brechnussextrakt) muss sofort unter Telefon 112 ein Notarzt oder eine Notärztin gerufen werden! Die Notfallbehandlung verläuft unter anderem mit Benzodiazepinen wie Diazepam.
Medizinische Wirkungen
Alkaloide, besonders Brucin und Strychnin, sind Hauptstoffe der Brechnuss. Brucin wirkt gegen Tumore und Entzündungen und ist weniger giftig als Strychnin.
Es hat deutliche eindämmende Effekte gegen Leberkrebs, Lungenkrebs, Darmkrebs und Brustkrebs. Da aber auch bei Brucin die giftige Dosis extrem nahe an der medizinisch effektiven Dosis liegt, ist das therapeutische Fenster klein, und die Möglichkeit begrenzt, es klinisch einzusetzen.
Brechnuss in der Medizingeschichte
Die Samen der Brechnuss werden in den Herkunftsländern seit vielen Jahrhunderten medizinisch eingesetzt, unter anderem gegen Muskelschwäche und Appetitlosigkeit. Ebenso kommen sie zum Einsatz, um Schmerzen und Fieber zu lindern, aber auch gegen Cholera und Tollwut.
Im elften Jahrhundert sind derlei Arzneien auch aus Arabien bekannt. 400 Jahre später kam die Brechnuss nach Europa, und die Samen galten hier als Mittel gegen die Pest.
In der frühen Neuzeit waren die „Krähenaugen“ dann beliebt, um Tiere zu vergiften. Dazu zählten Füchse, verwilderte Katzen, Rabenvögel, Ratten und Mäuse.
Der Begründer der modernen Hautmedizin, Joseph Jacob Plenk, pries 1785 Pulver aus Brechnuss. Es sollte laut Plenk Schmerzen stillen, allgemein stärken, gegen Ruhr ebenso helfen wie gegen Gefühlsausbrüche, gegen den Biss der Kobra, gegen Würmer, gegen Pest und gegen Koliken.
Der Botaniker Johann Friedrich Gmelin sah 1803 Brechnuss auch noch als Arznei gegen folgende Leiden: „Mutterweh“, „Wechselfieber“ (Schüttelfrost), Fallsucht (Epilepsie) und „Verderben der Säfte“. Im 19. Jahrhundert wurden dann pulverisierte Brechnusssamen und ab 1828 auch isoliertes Strychnin ein äußerst beliebtes Stärkungsmittel.
Die flüssigen Extrakte wurden in Flaschen als Hausmittel gekauft. Die extreme Bitterkeit galt als eine Art Gütesiegel für die Wirksamkeit.
Der Chemiker Klaus Roth fasste in einem Beitrag zur Medizingeschichte des Strychnins zusammen: 1818 isolierten die Apotheker Pierre Joseph Pelletier und Joseph Bienaimé Caventou Strychnin aus der Brechnuss.
1946 entschlüsselte Sir Robert Robinson die Struktur des Stoffes. 1954 produzierte Robert Bruns Woodward es synthetisch.
In den späten 1980ern entstanden dann neue Totalsynthesen des Stoffes, die sich in vielfach größerer Menge produzieren ließen. Dies erläuterte 1994 ein Fachartikel in der Zeitschrift der Gesellschaft Deutscher Chemiker.
Stärkungsmittel mit Strychnin waren noch lange im 20. Jahrhundert legal und verbreitet und gegen 1900 als Doping im Sport eingesetzt. 1904 gewann Thomas Hicks Olympisches Gold beim Marathonlauf, brauchte aber danach Stunden, um das Strychnin abzubauen.
Als Gift waren gemahlene Samen der Brechnuss schon in der frühen Neuzeit bekannt. Sie wurden besonders gegen Ratten eingesetzt sowie gegen streunende Hunde.
Da Hausmittel mit Strychnin in Flaschen verkauft wurden, waren Überdosierungen an der Tagesordnung, sei es aus Irrtum, sei es mit Absicht. Genaue Zahlen über Strychninopfer gibt es nicht, doch Vergiftungen müssen häufig gewesen sein.
So verschrieb um 1900 der kanadische Arzt Dr. C. F. Abraham eine stärkende Arznei aus Strychnin und Tollkirsche – für ein Baby. Die vorgeschriebene Dosis (alle zwei Stunden ein Teelöffel) hätte ohne weiteres ausgereicht, ein Baby umzubringen.
Ein wissenschaftlicher Artikel von 2002 erörtert: 4,73 Milligramm pro Liter ist die höchste bekannte Dosis Strychnin, die ein Mensch überlebte. Erst 1978 wurde Strychnin in Europa gesetzlich als Arzneimittel verboten.
Nux vomica Globuli
In der Medizingeschichte wurde Brechnuss auch bekannt, weil der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, sie 1805 als Homöopathikum Nux vomica im ersten Band seiner „Reinen Arzneimittellehre“ erwähnte.
Für die homöopathische Anwendung sollten die getrockneten und pulverisierten Samen der Brechnuss in Alkohol angesetzt werden, um eine Urtinktur zu gewinnen. Diese soll dann zu einer D6-Potenz verdünnt werden.
Dieses Mittel soll laut Homöopathie gegen Missbrauch von Genussmitteln wie Alkohol, Kaffee, Tabak oder reichhaltigem Essen helfen und emotionale Überreaktionen und Überreizung ausgleichen, sowie Nebenwirkungen bestimmter Medikamente regulieren.
Strychnin als Mordwaffe
Strychnin ist aus der Literatur als Mordwaffe bekannt. Tatsächlich lässt die extreme Giftigkeit und der leichte Zugang den Stoff als Mittel erster Wahl für Giftmorde erscheinen.
Es handelt sich dabei aber meist um eine Fantasie von Schriftstellerinnen oder Schriftstellern. Zum einen lässt sich eine Strychnin-Vergiftung aufgrund der verkrampften Körperhaltung der Toten und der zu einem „sardonischen Grinsen“ verzerrten Gesichtsmuskeln leicht erkennen.
Zum anderen gehört Strychnin zu den bittersten bekannten Stoffen. Zu einem Mord durch orale Vergiftung, zum Beispiel in einem Glas Wein, eignet es sich kaum.
Selbst bei einer Verdünnung von 1 zu 130.000 lässt sich der Geschmack erkennen. Ein mit Strychnin vergiftetes Essen würden wir sofort ausspucken.
Um ein „perfektes Verbrechen“ zu begehen, eignet es sich erst Recht nicht. Strychnin hat eine äußerst stabile Struktur und lässt sich noch nach Jahren in Leichen nachweisen.
Es gab indessen Morde mit Strychnin. Bekannt wurde der Mordversuch am Spitzer Bürgermeister in Wachau / Österreich.
Der Täter vermischte die Füllung einer „Mon Cherie“-Praline mit 700 Milligramm Strychninpulver und spritzte die Masse zurück in die Praline. Die Praline heftete er an den Scheibenwischer des Bürgermeisterautos, zusammen mit einer Grußkarte: „Du bist etwas ganz Besonderes für mich.“
Der Bürgermeister aß die Praline, fuhr los und bekam schlimme Krämpfe. Er rief einer Passantin zu: „Ich habe eine Praline gegessen und bin vergiftet worden.“
Die Medizin konnte zwar das Leben des Bürgermeisters retten, doch sein Gehirn war irreversibel geschädigt. Der Täter wurde anhand von DNA-Spuren überführt und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Brechnuss in der heutigen Medizin
Brechnusssamen sind wegen der dünnen Grenze zwischen medizinisch wirksamer und giftiger Dosis nicht mehr als Arzneidroge verbreitet. Sie bilden aber nach wie vor die Basis, um Strychnin zu gewinnen. Auch der Ausgangsstoff des homöopathischen Mittels Nux vomica wird aus ihnen gewonnen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Uwe Beifuss: Neue Totalsynthesen von Strychnin; in: Neue Chemie. Eine Zeitschrift der Gesellschaft Deutscher Chemiker, Volume 106, Issue 11, Seite 1204, 1994, Wiley Online Library
- Bodo Laube, Heinrich Betz: Die duale Rolle des Neurotransmitters Glyzin im zentralen Nervensystem, Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Hirnforschung, 2008, MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
- Amal Mahmoud Yassin Mohsen: Structure Activity Relationships of Monomeric and Dimeric Strychnine Analogs as Ligands Targeting Glycine Receptors; Dissertation zur Erlangung des naturwissenschaftlichen Doktorgrades der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 2016, Julius-Maximilians-UNIVERSITÄT WÜRZBURG
- Klaus Roth: Strychnin – von der Isolierung zur Totalsynthese. Die tödliche Brechnuss; in: Chemie unserer Zeit, Volume 45, Seiten 202-218, 2011, Uni Kiel
- Xinli Song, Daobin Yang, Yunxia Wang: Pharmacokinetic, acute toxicity, and pharmacodynamic studies of semen strychni total alkaloid microcapsules; in: Tropical Journal of Pharmaceutical Research, Volume 18, Issue 9, Seiten 1985-1992, 2019, AFRICAN JOURNALS ONLINE
- David Michael Wood, Emma Webster, Daniel Martinez et al.: Case report: Survival after deliberate strychnine self-poisoning, with toxicokinetic data; in: Critical Care, Volume 6, 2002, BMC
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.