Die Samen der wilden Kastanie bezeichnen wir schlicht als Kastanien. Kinder basteln daraus Spielzeuge, und die Bäume spenden Schatten im Sommer. Kaum bekannt ist derweil, dass dieser Charakterbaum unserer Städte Wirkstoffe enthält, die die Blutgerinnung hemmen und gegen chronische Venenschwäche helfen.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief zur Rosskastanie
- Wissenschaftlicher Name: Aesculus hippocastanum
- Volksnamen: Wilde Kastanie, Kestenbaum, Pferdekastanie, Kastanie, Gichtbaum, Judenkest, Kastandelborn in Holstein, Saukastanie und Vexierkastani
- Anwendungsgebiete:
- Venenbeschwerden
- Hämorrhoiden
- Muskelschmerzen
- Gelenkschmerzen
- Ödeme
- Blutverdünner
- leichte Entzündungen
- Juckreiz
- Wangenrötung
- Verwendete Pflanzenteile: Samen (Kastanien), Blüten, Rinde.
Inhaltsstoffe
Wilde Kastaniensamen enthalten eine Mischung aus Tripertensaponinen mit mehr als 30 Komponenten. Der aktivste Stoff darunter ist Aescin (3-6 Prozent). Auch Flavonoide, kondensierte Tannine, Quinine, Sterole und Fettsäuren sind in veritablen Mengen vorhanden. Hinzu kommen Kumarine wie Aesculetin, Fraxin und Scopolin. Kastanie enthält Bitter- wie Gerbstoffe, Angelinsäure, Linolensäure, Alantoin, Kampferöl, Cyanidin und Cholin. Kastaniensamen verfügen über circa 95 Milligramm Lectin pro Kilo.
Blutverdünner gegen chronische Venenschwäche – Wirkungen
Rosskastanie wirkt antientzündlich: Isoliertes Aescin drängte in einer Studie im Tierversuch Entzündungen bei Ratten zurück. Aescin hemmt die Blutgerinnung. Extrakt aus Kastaniensamen blockiert Enzyme, die an der Genese von chronischer Venenschwäche beteiligt sind und stärkt die Wände der Blutgefäße. Zudem erhöht ein solcher Extrakt den Blutdruck auf den Venen, verstärkt den Blutfluss und mindert Wassereinlagerungen im Körper. Gerbstoffe fördern generell die Verdauung; Studien dazu stehen bei der Rosskastanie aber noch aus.
Gegen Krampfadern, Besenreiser und Hämorrhoiden
Laborversuche zeigten, dass Aescin Gefäßwände abdichtet. Dadurch können Wasser wie Eiweiße sich nicht im umliegenden Gewebe sammeln. Zugleich erhöht der Stoff die Spannung in den Venen, was die Gefäße zusätzlich stabilisiert. Auf diese Weise wirkt Aescin gegen schwere Beine, Beinschwellungen als Folge von Ödemen, gegen Krampfadern wie Besenreiser sowie gegen Hämorrhoiden.
Gegen chronische Venenschwäche
Es gibt einige Studien zu Rosskastanie als Mittel gegen chronische Venenschwäche, aber nur unzureichende Forschung zu Wirkungen bei anderen Beschwerden. Eine systematische Analyse von 2012 untersuchte 17 Studien zur Wirkung von Kastaniensamen zwischen 1976 und 2002. Die Metastudie ergab: Extrakte aus den Samen können Beinschmerzen, Schwellungen und Juckreiz bei Menschen lindern, die unter chronischer Venenschwäche leiden – und dies bei Einnahme des Extraktes für einen kurzen Zeitraum. Die Wirkung sei ebenso effektiv wie die von Kompressionsstrümpfen.
Solche Kompressionsstrümpfe sind die übliche Methode, den Blutfluss bei chronischer Venenschwäche zu stärken. Venenschwäche führt zu Beinschmerzen, Schwellungen, Juckreiz und angespannter Haut, in der Folge auch zu Hautentzündungen, und die Kompressionstrümpfe dienen dazu, die Gefäße von außen zu stabilisieren – viele Betroffene empfinden die Stützen indessen als unangenehm und tragen sie nicht ständig. Eine Alternative in Form des Kastanienextraktes wäre für solche Menschen eine Erleichterung.
Die Mehrzahl der erfassten Studien untersuchte die Auswirkungen des Extraktes auf Venenschwäche. Forschungen zu Effekten bei anderen Erkrankungen umfassten Beschwerden des Magen-Darm-Traktes, chronische Erschöpfung, Übelkeit und Kopfschmerzen. Hier zeigten sich zwar positive Ergebnisse, jedoch nur eine leichte Wirkung, die sich zudem als unregelmäßig erwies. Das Resultat der Metastudie war: Aescin eignet sich, um effektiv chronische Venenschwäche zu behandeln, und das sogar mit einer kurzfristigen Einnahme. Weitere und größer angelegte Studien sind jedoch nötig, um daraus eine reale Behandlungsoption zu entwickeln.
Kastanie in der Volksheilkunde
Die Volksheilkunde setzte die Blätter und die Rinde der wilden Kastanie gegen Warzen ein. Ein Tee aus getrockneten Blättern galt als Mittel gegen Husten. Dazu übergießen Sie einen Teelöffel der getrockneten Blätter mit heißem Wasser, lassen den Sud zehn Minuten ziehen und trinken ihn in kleinen Schlucken. Um den Geschmack zu verbessern, können Sie einen Teelöffel Honig hinzugeben.
Wie der Name Gichtbaum zeigt, dienten Auflagen aus einem Brei der Samen und / oder Blätter auch dazu, die Symptome der Gicht zu behandeln. Die Volksmedizin nutzte die Samen der wilden Kastanie auch äußerlich bei Verletzungen, Zerrungen, Prellungen und Verstauchungen, gegen Blutergüsse und Ödeme. Ein Trank aus der Rinde galt als Mittel gegen schwere Beine und das damit verbundene Brennen und Jucken. Die Volksheilkunde setzte Kastanie also auch gegen genau solche Leiden ein, bei denen wissenschaftliche Studien heute eine Wirkung belegen.
Einsatz in der Phytomedizin
Standardisierte Extrakte aus Kastaniensamen finden sich in Apotheken als Kapseln, Tabletten, Salben, Tropfen oder Gels. Die Salben enthalten meist auch andere medizinisch wirksame Pflanzen gegen die entsprechenden Beschwerden – zum Beispiel Arnika. Hauptsächlich dienen diese Arzneien als Mittel gegen chronische Venenschwäche. Dabei sollten Kastanienextrakte, nach heutigem Kenntnisstand, andere Behandlungen wie zum Beispiel durch Kompressionsstrümpfe nicht ergänzen, sondern ersetzen.
Für wen sind Rosskastanien ungeeignet?
Schwangere, Stillende und Kleinkinder sollten keine Kastanienextrakte zu sich nehmen. Sie sollten mit Rosskastanie vorsichtig sein, wenn Sie sich bereits andere Blutverdünner wie Aspirin, Warfarin oder Phenprocoumon zuführen. Der Konsum verschiedener Blutverdünner steigert die Wirkung über das Optimum hinaus.
Sprechen Sie den Einsatz von Kastanienextrakt in solchen Fällen mit ihrem Arzt / ihrer Ärztin ab. Generell dürfen Blutverdünner nicht eingenommen werden von Menschen, die unter mangelnder Blutgerinnung leiden, besonders Bluter. Zudem sollten Sie keine Blutgerinnungsmittel konsumieren, wenn ihr Körper damit beschäftigt ist, Wunden zu heilen, also zum Beispiel nach einem chirurgischen Eingriff.
Nebenwirkungen
Rosskastanie ist risikoarm. Nebenwirkungen sind selten, meist handelt es sich um Magenbeschwerden. Auch Kopfschmerzen, Hautrötungen und Juckreiz sind möglich.
Giftige Schalen
Die stacheligen Samenschalen der unreifen Kastanien sind giftig. Der Konsum führt zu Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Auf offenen Hautverletzungen verursachen sie brennende Schmerzen.
Kastanienbad
Rosskastanie gehört zu den Seifenbaumgewächsen und frische Kastanien eignen sich vorzüglich für ein Vollbad. Dies dient ebenso der Reinigung wie der Gesundheit. Die Saponine ergeben üppigen Badeschaum, das Badewasser regt die Durchblutung an und hilft leicht bei rheumatischen Schmerzen, Prellungen, Verstauchungen bzw. bei müden Füßen nach einer langen Wanderung.
Ursprung der wilden Kastanie
Die Rosskastanie ist uns so geläufig wie die Kartoffel, doch genau wie diese ursprünglich keine heimische Art. Ihre natürliche Herkunft liegt vermutlich im Osten des Balkans, unter anderem im östlichen Teil Bulgariens. Nach Mitteleuropa kam sie erst 1576 aus Konstantinopel. Die Verbreitung in der Natur verstreut sich fleckenhaft über Griechenland, Nordmazedonien und Albanien.
Es handelt sich um eine Gebirgsart, die Höhen zwischen 900 und 1300 Meter bevorzugt und dort den Schatten bis Halbschatten liebt. Trotz ihrer Herkunft aus Ländern mit sehr heißen Sommern liebt die Kastanie es feucht und kühl, dabei braucht sie aber zugleich eine Menge Licht. Die Beschaffenheit der Erde ist weniger wichtig, Rosskastanien wachsen auf neutralem ebenso wie auf alkalischem Boden, dieser sollte jedoch basen- oder stickstoffreich sein.
Pferdefutter der Osmanen
Nach Mitteleuropa kam die wilde Kastanie mit den Feldzügen der Osmanen. Die Türken fütterten mit den Kastanien ihre Pferde. 1557 hatte der kaiserliche Gesandte Busbecq aus Konstantinopel zum ersten Mal in Europa von dem Baum berichtet, 1576 gelangte sie nach Wien. Dort pflanzte ein gewisser Carolus Clusius sie an, und seitdem verbreiteten sich die Rosskastanien in den Parks des Adels. Im 19. Jahrhundert wuchs sie hierzulande so häufig, dass sie als „Volksbaum“ galt, die Rosskastanie stand oft im Dorfmittelpunkt, beschattete öffentliche Grünanlagen und städtische Friedhöfe. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Bässler, Dagmar; Okpanyi, Samuel et al.: Bioavailability of beta-aescin from horse chestnut seed extract: Comparative clinical studies of two galenic formulations, in: Advances in Therapy, Volume 20, Issue 5, Seite 295-304, 2003, PubMed
- Pittler, M.H.; Ernst, E.: Horse chestnut seed extract for chronic venous insufficiency; in: Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 11. Art. No.: CD003230 (Abruf 30.08.2019), cochrane
- Guillaume, Michel; Padioleau, F.: Veinotonic effect, vascular protection, antiinflammatory and free radical scavenging properties of horse chestnut extract, in: Arzneimittelforschung, Volume 44, Issue 1, Seite 25-35, 1994, PubMed
- National Center for Complementary and Integrative Health: Horse Chestnut (Abruf 30.08.2019), PubMed
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.