Die Schwarze Tollkirsche (kurz Tollkirsche) verrät schon in ihren Namen wie Mörderbeere oder Todeskraut, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Was hat aber die Belladonna, die schöne Dame, mit diesem Hexen- und Höllenkraut zu schaffen – oder gar die Schicksalsgöttin Atropos, die den Lebensfaden durchschneidet?
Inhaltsverzeichnis
Wichtiger Hinweis: Die Beeren und Blätter der Schwarzen Tollkirsche sind hochgiftig!
Etwa zehn bis zwölf Beeren bei Erwachsenen und drei bis vier Beeren bei Kindern können starke Vergiftungserscheinungen auslösen, die unbehandelt meist tödlich enden. Bei den Blättern gibt es keine genaueren Angaben, aber auch sie sind sehr giftig und schon der Verzehr kleiner Mengen kann im schlimmsten Fall tödlich sein.
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Atropa belladonna
- Volksnamen: Wolfsbeere, Wolfskirsche, Wolfsauge, Walkerbeere, Walkerbaum, Rattenbeere, Große Graswurzel, Mörderbeere, Höllenkraut, Judenkirsche, Bockwurz, Bullwurz, Bollwurz, Beilwurz, Teufelskirsche, Teufelsauge, Satanskraut, Rasewurz, Wutbeere, Tintenbeere, Waldnachtschatten, Belladonna, Schlafapfel, Schlafbeere, Schwindelbeere, Saukraut, Todeskraut, Tollkraut, Schwarzber, Waldnachtschatten, Theophrasti, Hexenbeere, Hexenkraut
- Familie: Nachtschattengewächse (Solanaceae)
- Verbreitung: Mittel- und Südeuropa, Kleinasien, von dort Verbreitung bis in den Iran und ganz Nordafrika
- Verwendete Pflanzenteile: Blätter, Stängel, Wurzel, frische oder getrocknete Früchte, Saft
- Inhaltsstoffe: Hyoscyamin, Apoatropin, Scopolamin, Tropin, Pseudotropin, Tropinon
- Anwendungsgebiete: Erweiterung der Pupillen, Koliken im Magen-Darm-Bereich und in den Gallenwegen, Rauschzustände (lebensgefährlich); isoliertes Atropin wird heute in der Augenmedizin verwendet, sowie bei Magen-Darm-Krämpfen, als Gegengift bei Vergiftungen mit G-Kampfstoffen, und um das Sekret der Magen- und Bauchspeicheldrüsen zu hemmen.
Belladonna – eine Übersicht
- Belladonna bedeutet „schöne Frau“ und bezieht sich darauf, dass Frauen sich früher Tollkirschenextrakt in die Augen träufelten, um so ihre Pupillen zu weiten und „schöner“ auszusehen. Zum Weiten der Pupillen verwenden Augenärztinnen und Augenärzte heute noch Atropin.
- 1833 isolierte der Apotheker Mein erstmals Atropin aus der Tollkirsche.
- Der Gattungsname leitet sich ab von der Schicksalsgöttin Atropos, was „die Grausame“ bedeutet. Diese durchschneidet in der Mythologie den Lebensfaden.
- In der Antike galt Tollkirsche als Mittel gegen Krankheiten, die Dämonen verursachten, vermutlich Psychosen und andere psychische Extremzustände.
- In der frühen Neuzeit galt hingegen die „Teufelsbeere“ oder „Hexenkirsche“ selbst als böse Zauberpflanze.
- Tollkirsche war vermutlich ein Bestandteil sogenannter Hexensalben, was erklären würde, warum Menschen nach der Anwendung plötzlich halluzinierten und sich einbildeten, auf Gegenständen durch die Lüfte zu fliegen.
- Seit dem Altertum diente Belladonna als Schmerzmittel. So wurde Kranken ein „Schlafschwamm“ mit Tollkirschensaft vor die Nase gehalten.
Tollkirsche – Inhaltsstoffe
Die Pflanze enthält 0,272 bis 0,511 Prozent Tropanalkaloide, die Stängel bis zu 0,9 Prozent, die unreifen Früchte bis zu 0,8 Prozent, die reifen Früchte bis zu 9,6 Prozent, die Samen um die 0,4 Prozent. In der lebenden Pflanze befindet sich Hyoscyamin, dieses verwandelt sich beim Trocknen in Atropin.
Die getrockneten Blätter enthalten 0,2 Prozent bis 2,0 Prozent Alkaloide, die getrocknete Wurzel 0,3 Prozent bis 1,2 Prozent. Hauptkomponente der Alkaloide ist Hyoscyamin (68,7 Prozent), hinzu kommen Apoatropin mit 17,9 Prozent und andere Tropanalkaloide wie Scopolamin, Tropin, Pseudotropin und Tropinon.
Atropin
Im Unterschied zur Tollkirsche selbst, die wegen ihrer Toxizität nicht mehr als Medizin gilt, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO das isolierte Atropin auf die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel gesetzt, die Wirkstoffe enthalten, die die medizinische Versorgung der Bevölkerung sichern. Atropin ist ein Gemisch aus S-Hyoscyamin und R-Hyoscyamin. Die lebende Pflanze bildet nur S-Hyoscyamin, das R-Hyoscyamin kommt durch Umwelteinflüsse hinzu.
Atropin hemmt den Neurotransmitter Acetylcholin, blockiert die chemischen Rezeptoren, auf die dieser Nervenimpulsstoff einwirkt. Betroffen sind Verdauung, Konzentration des Speichels, Herzschlag und Pupillenweite. Hyoscyamin wirkt stark halluzinogen. 1831 isolierte der Apotheker Heinrich Mein es erstmals, 1901 synthetisierte es Richard Willstätter.
Ein Gift gegen Gifte
S-Hyoscyamin kommt in verschiedenen Nachtschattengewächsen vor, in den Alraunen (Mandragora), Engelstrompeten (Brugmansia), Stechapfel (Datura stramonium) und Tollkirschen. Seinen Namen verdankt es der Atropa belladonna (Tollkirsche).
Atropin wirkt auf das vegetative Nervensystem und wird, bei genauer Dosierung, nicht nur zum Erweitern von Pupillen in der Augenmedizin eingesetzt, sondern auch gegen Magen-Darm-Krämpfe, Herzrhythmusstörungen und Vergiftungen, wie in einer Studie nachgewiesen wurde.
Es hemmt den Parasympathikus und wirkt so gegen Gifte, die diesen stark anregen wie die G-Kampfstoffe Sarin, Soman und Tabun sowie das Insektizid E 605.
In manchen Anwendungen wird Atropin kurzfristig in höheren Dosierungen verabreicht (zum Beispiel bei Vergiftungen), langfristig wird es jedoch nur in sehr geringer Dosierung verschrieben, da es den Stoffwechsel beeinflusst. Der Wirkstoff wird meist lokal eingesetzt, zum Beispiel als Augentropfen oder Injektionslösung, aber auch als Tablette oder Zäpfchen, um innere Organe zu behandeln oder gegen Vergiftungen.
Wie bei der Tollkirsche selbst können die unerwünschten Nebenwirkungen von Atropin in höheren Dosierungen sein: Halluzinationen, Sprach- und Sehstörungen, Krämpfe, erhöhter Blutdruck, Muskelschwäche, Verwirrtheit, getrübtes Bewusstsein, Unruhe und Erregung sowie Harnverhalt.
Atropin – Wechselwirkungen und Risiken
Wird Atropin zusammen mit anderen Arzneien eingenommen, die ebenfalls den Parasympathikus hemmen, dann verstärkt sich bisweilen die Wirkung. Solche Arzneien sind einige Antiallergika und Antipsychotika, manche Antidepressiva, Methylphenidat, Mittel gegen Parkinson und einen gestörten Herzrhythmus. Atropin wird von der Plazenta aufgenommen und sollte deshalb von Schwangeren und Stillenden nicht konsumiert werden.
Scopolamin – die Dosis macht die Depressionen
Das ebenfalls in der Tollkirsche enthaltene Scopolamin wird als Antidepressivum und gegen Übelkeit eingesetzt. Während niedrige Dosierungen Depressionen lindern, lösen höhere Dosierungen Depressionen aus.
Tollkirsche – medizinische Anwendungen
Das aus den Blättern der Belladonna isolierte Atropin wird als Atropinsulfat in der Augenheilkunde als Mydriatikum eingesetzt – es erweitert die Pupillen, um so den Augenhintergrund untersuchen zu können. Tollkirsche selbst ist heute in der wissenschaftlichen Medizin kein Arzneimittel mehr – wegen ihrer geringen therapeutischen Breite, sprich der starken toxischen Effekte der Tropanalkaloide.
Belladonnablätter wurden weder vom HMPC noch der ESCOP bearbeitet, und alle Bestandteile der Pflanze sind wegen ihrer Giftigkeit nicht als pflanzliche Arznei anerkannt. Sie wirken zwar gegen Spasmen und kolikartige Schmerzen der Gallenwege und des Gastrointestinaltrakts, die Nebenwirkungen überdecken die Heileffekte aber bei weitem. Dagegen bieten die einzelnen Alkaloide in der Tollkirsche als isolierte Komponenten synthetisch produzierter Arzneimittel eine Fülle von therapeutischen Möglichkeiten, besonders gegen neurologische Erkrankungen, wie eine Studie gezeigt hat.
Tollkirsche – Volksmedizin und Medizingeschichte
Seit der Antike werden alle Teile der Tollkirsche medizinisch genutzt, besonders als Schmerzmittel, und um „Dämonen zu vertreiben“, worunter wir psychische Irritationen verstehen müssen, die mit extremem Verhalten einhergehen, wie Psychosen oder affektive Störungen. In Marokko gilt ein Tee aus getrockneten Früchten als Aphrodisiakum für Männer und soll den Geist stärken. Jäger aßen vor der Jagd einige Tollkirschen, um ihre Wahrnehmung zu schärfen.
Extrakte aus der Wurzel und dem Kraut dienten im Europa des 19. Jahrhunderts dazu, folgende Krankheiten zu behandeln: Keuchhusten, mit Krämpfen verbundener Husten, Gelbsucht, Erkrankungen der Harnorgane, des Rachens und des Schlundes, Entzündungen der Atemwege, Nierenkrämpfe, Hautkrankheiten und Augenentzündungen. Den Saft aus den Früchten träufelten sich Frauen in die Augen, damit sich die Pupillen weiteten, was als Schönheitsideal galt. Daher rührt der Name Belladonna.
Belladonna in der Homöopathie
Belladonna bezeichnet auch ein wichtiges Mittel der Homöopathie aus der Schwarzen Tollkirsche. Die giftigen Wirkstoffe sind extrem verdünnt, was die Homöopathie als potenziert bezeichnet, und in „höheren Potenzen“ sind sie nicht mehr nachweisbar. Laut der Homöopathie soll eine Dynamisierung die Wirkung auslösen.
Die Alkaloide lösen in höheren homöopathischen Potenzen keine toxischen Wirkungen aus, da sie chemisch nicht mehr nachweisbar sind. Für homöopathische Mittel besteht eine Verschreibungspflicht für die Potenzen C 1, sowie D1 bis D 3, da in diesen Verdünnungsstufen noch Wirkstoffe enthalten sind.
In der Homöopathie ist Belladonna ein wichtiges Mittel und kommt zum Beispiel bei bestimmten Fieberzuständen sowie Entzündungen oder Sonnenstich mit bestimmten Symptomen zum Einsatz. Die Wahl des Mittels gehört jedoch immer in die Hand eines der Homöopathie kundigen Menschen und erfolgt grundsätzlich individuell unter Einbeziehung aller Symptome.
Tollkirsche in Magie und Religion
Tollkirsche spielte seit der Antike eine wichtige Rolle als Orakelpflanze, und in Orakelräucherungen war sie ein Hauptbestandteil. Bei den germanischen Stämmen wurde sie mit den Töchtern des Gottes Wotan verknüpft, am Niederrhein galt, wer sie aß, als den Walküren ausgeliefert (Walkersbeere).
Gift der Tollkirsche
Die Alkaloide führen zu einem Austrocknen der Schleimhäute, einer Rötung des Gesichts und zu einem gesteigerten Puls. Hyoscyamin ist ein Halluzinogen, allerdings sind die Halluzinationen mäßig – der Tastsinn steigert sich. Die Haut rötet sich, und der Puls beschleunigt sich, die Betroffenen verspüren eine motorische Unruhe, Weinkrämpfe und Rededrang.
Hinzu kommen Gleichgewichts- und Sehstörungen, ausgetrocknete Mundschleimhäute und ein säuerlicher Geschmack im Mund. Die Pupillen erweitern sich stark. Die Sprache und das Schlucken sind gestört. Diese Auswirkungen konnten in einer Studie gezeigt werden.
Die Giftwirkung der Tollkirsche ähnelt der des Stechapfels und der Engelstrompeten. In geringen Dosen stellen sich nach einer Viertelstunde psychomotorische Unruhe und Erregung ein, auch sexuelle Begierde (Aphrodisiakum), Bewegungsdrang (Tanzlust), aber auch Intentionsstörungen und stereotype Bewegungen und Gedankenrasen. Die Betroffenen erzählen Unsinn, haben das Gefühl, umnebelt zu sein, auch Schreien und Halluzinationen treten auf.
Die Erregung kann in Tobsucht, Zorn und Raserei übergehen, ohne irgendeinen Auslöser des jeweiligen Umfelds (deshalb Tollkirsche, Wutbeere, Rasewurz). Der Tod kann durch Atemlähmung einsetzen. Wenn die Betroffenen überleben, hält die Hauptwirkung drei bis vier Stunden an, am Auge bis zu drei oder vier Tagen.
Halluzinationen, die die Tollkirsche auslöst, werden meist als bedrohlich empfunden – auch daher stammt vermutlich ihre Assoziation zum Teufel. Betroffene erleben sie laut einer Fallstudie als erschreckend und bedrohlich. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
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