Die Vogelkirsche oder Waldkirsche ist die Urform der Süßkirschen, ihre Früchte sind kleiner und schmecken bittersüß, nicht zuckersüß. Diese Wildkirsche ist eine wertvolle Pflanze im Garten, denn Blüten und Kirschen bieten Nahrung für Insekten, Vögel und Kleinsäuger, die im Stamm und auf den Ästen zudem Brut- und Ruheplätze finden. Als Heilpflanze fördert sie die Verdauung, wirkt Entzündungen entgegen und stärkt das Herz-Kreislauf-System.
Inhaltsverzeichnis
Steckbrief
- Wissenschaftlicher Name: Prunus avium
- Volksnamen: Wildkirsche, Wilde Vogelkirsche, Waldkirsche
- Familie: Rosengewächse (Rosaceae)
- Verwendete Pflanzenteile: Kirschen, Stiele, Fruchtfleisch und Fruchtschale, Rinde, Kirschkerne (nur als Wärmespeicher, ansonsten giftig)
- Anwendungsgebiete: Unter anderem Muskelschmerzen, Blasenleiden, Versorgung mit Vitaminen, Entzündungen der Atemwege (Stiele), Magenbeschwerden, rheumatische Beschwerden (Kirschkernkissen), Regulierung des Blutzuckerspiegels, Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Verbreitung: Europa, nördliche Türkei, Kaukasus und Transkaukasien bis in den nördlichen Iran
Vogelkirsche – eine Übersicht
- Die Vogelkirsche ist die Wildform unserer Süßkirsche.
- Diese Wildform dient heute noch dazu, die Kulturformen der Süß- und Sauerkirsche wie der japanischen Blühkirsche zu veredeln.
- Wie ihr Name sagt, sind die Früchte ein wertvolles Futter für viele Vogelarten, darunter Drosseln und Stare.
- Die länglich-ovalen Kirschen der Wildform sind kleiner als die der Kulturform und schmecken bittersüß.
- Die Vogelkirsche wächst in krautreichen Laubwäldern sowie in Nadelmischwäldern gemeinsam mit Eichen, Buchen, Ahorn, Linden, Erlen und Ulmen. Durch ihre Eigenverjüngung kann sie in jungen Wäldern dominant werden.
- Die Vogelkirsche ist ein Pionierbaum und sehr tolerant gegenüber Hitze und Trockenheit. In Mitteleuropa wird sie sich deshalb in der Klimaerhitzung vermutlich gegen konkurrierende Arten durchsetzen.
- Die Früchte der Vogelkirsche verderben schnell und sollten bis zum Verzehr am Stiel bleiben, da sie sonst schneller faulen.
- Die Blüten der Vogelkirsche im beginnenden Frühling sind eine der wichtigsten heimischen Nektarquellen für Insekten wie Bienen und Hummeln.
- Der Name Kirsche stammt von der Stadt Kerasos (heute Giresun) an der Schwarzmeerküste – von dort brachte der römische Feldherr Lukullus die ersten Kulturkirschen nach Italien.
Kirsche – Inhaltsstoffe
Die Früchte der Vogelkirsche enthalten eine Fülle von Vitaminen und Mineralstoffen: Kalium, Calcium, Eisen, Magnesium, Phosphor und Kieselsäure. Zu den Vitaminen zählen Provitamin A, Vitamin C, B2 und B5.
Hinzu kommen Gerbstoffe, ätherische Öle, Harz, Pektin, Zucker und Phytoenzyme, die beim Menschen bioaktiv wirken. Für therapeutische Zwecke sind indessen die Polyphenole in der Kirsche am interessantesten – besonders die Anthocyane, die den roten Farbstoff liefern und in den Früchten einen hohen Pegel erreichen.
Anthocyane
Die Anthocyane, die den Kirschen ihre rote Farbe verleihen, gehören zu den Flavonoiden. Sie lösen sich im Wasser und besitzen diverse physiologische Funktionen – am wichtigsten ist ihre Wirkung als Antioxidans. Sie verbinden sich mit freien Radikalen und mindern so deren extreme Reaktionsfähigkeit. Solche freien Radikale können im Übermaß die Zellmembranen und das Erbgut angreifen.
Insofern haben die Anthocyane in den Früchten der Vogelkirsche sogar eine präventive Wirkung gegen Krebs, da sie das pathogene Wuchern von Zellen bremsen. Vermutlich wirken sie sogar gegen das Entstehen von Tumoren auf der Ebene der Genaktivität, wie eine Studie nahelegt.
Süßkirsche – Medizinische Wirkungen
Die medizinischen Effekte der Süßkirsche liegen vor allem am Kaliumsalz und dem Polyphenol: Kirschen wirken abführend, fördern die Verdauung und den Harntrieb, außerdem ziehen sie Gewebe zusammen. In größeren Mengen führt dies zu Durchfall. Das Polyphenol wirkt äußerlich gegen Hautentzündungen (Epidermis), indem es die Haut erfrischt und zusammenzieht.
Die Früchte sind eine reiche Quelle für Polyphenole und Vitamin C und haben so neben antioxidativen auch antientzündliche Effekte sowie eine präventive Wirkung gegen Herz-Kreislauf-Beschwerden, zudem regulieren sie den Spiegel des Blutzuckers, wie eine Studie gezeigt hat. In vitro- und in vivo-Studien zeigen ein Potenzial in der Behandlung der Alzheimerschen Krankheit.
Kirschen gegen Muskelkater
Muskelkater entsteht durch winzige Risse im Muskelgewebe, die sich entzünden und dazu führen, dass die Muskeln anschwellen. Die daraus resultierenden Schmerzsymptome sind das, was wir als Muskelkater empfinden.
Die Polyphenole der Kirschen, die die freien Radikalen neutralisieren, können diese Entzündungen der winzigen Risse in den Muskeln hemmen und so den Muskelkater lindern. Diese Polyphenole können laut einer Studie aber nicht nur den Muskelkater lindern, sondern tragen auch aktiv zum Aufbau der Muskeln bei, indem sie unter anderem sie das Einlagern von Fett verringern.
Kirschen gegen Arthrose
Kirschen haben neueren Studien zufolge ein Potenzial gegen Arthrose und können die durch diese Gelenkentzündung entstandenen Schmerzen und Einschränkungen der Bewegung reduzieren.
In einer Studie des Philadelphia VA Medical Centers zeigte sich bei 53 Menschen mit Kniearthrose, dass der Genuss von zwei Gläsern Kirschsaft pro Tag, also 500 Milliliter, ausreichte, damit sich die Schmerzen nachweislich verringerten, die Beschwerden durch steife Gelenke zurückgingen und sich die Gelenkfunktionen verbesserten.
Kirschen gegen Gicht
Pilotstudien zeigten bereits 2012 eine Verbindung zwischen Kirschenkonsum und einem reduzierten Risiko, Gichtattacken zu erleiden. Leider ist es aufgrund sehr verschiedener Methoden der einzelnen Studien und eines Mangels an Großstudien noch nicht möglich, eine Metaanalyse zu unternehmen. Um dieses Defizit aufzuheben, wären randomisierte Kontrollversuche nötig, um generalisierte Aussagen treffen zu können.
Kirschen – Anwendungen
Die einfachste Anwendung für Vogelkirschen als Heilpflanze besteht darin, das Fruchtfleisch roh zu essen. So versorgen Sie sich mit Vitaminen und Mineralstoffen, fördern den Harndrang und die Verdauung. Um sich mit Vitaminen, Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen zu versorgen, können Sie auch einen Tee aus getrockneten Früchten, und / oder den Blättern trinken.
Kirschblättertee
Tee aus den Blättern der Vogelkirsche entwässert, bremst Infektionen der Harnwege und löst zäh sitzenden Schleim. Deshalb eignet er sich als Mittel gegen Erkrankungen mit verschleimten Atemwegen und als Arznei gegen feuchten Husten.
Sie waschen und zerhacken rund eine Handvoll Kirschblätter, füllen diese Blätter mit einem Glas heißem Wasser auf, lassen alles zehn Minuten ziehen und seihen dann die Flüssigkeit ab. Pro Tag können Sie um die drei Gläser trinken.
Toxische Wirkungen
Kirschkerne enthalten die hochgiftige Blausäure. Unzerkaut ist das kein Problem, da der Kern den Magen und Darm unversehrt durchquert und ebenso verlässt. Zerkaut oder zermahlen können die Kerne jedoch tödlich wirken, die lethale Dosis kann bei 1,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht liegen.
So ging 2017 der Fall Matthew Crème durch die Presse: Der 28 Jahre alte Bürger Blackpools hatte drei Kirschkerne geknackt und sie wegen ihres Marzipangeschmacks gegessen, ohne zu wissen, dass dieser „Marzipangeschmack“ von der toxischen Blausäure stammt. Marzipan wird aus Mandeln hergestellt: Amygladin in der Kirsche schmeckt nach Bittermandel, und dieses cyanogene Glycosid spaltete sich zu Blausäure.
Matthew Crème bekam starke Kopfschmerzen und fühlte sich sehr müde. Er begriff, dass er sich vergiftet hatte, und seine Partnerin brachte ihn in das Blackpool Victoria Krankenhaus. Dort verabreichte ihm das Fachpersonal einen Antidot. Bei einer höheren Dosis und ohne Behandlung wären Kurzatmigkeit, Bewusstseinsverlust und Atemstillstand die Folgen gewesen.
Kirschkernkissen
Während die Inhaltsstoffe der Kirschkerne sie als Arzneimittel zur Einnahme verbieten, sind die Kerne als Füllung für Wärmekissen ein sehr gutes Mittel gegen rheumatische Beschwerden, Nackenschmerzen, Hexenschuss, kalte Füße oder kalte Hände. Die getrockneten Kerne werden dazu in einen Kissenbezug eingenäht, auf circa 150 Grad Celsius rund zehn bis fünfzehn Minuten erhitzt und dann auf die entsprechenden Körperstellen gelegt.
Vogelkirsche in der Volksmedizin
Die Wildkirsche und ihre Zuchtformen waren und sind in der Volksheilkunde ausgesprochen beliebt. Kirschsaft, kalt oder erhitzt, galt als Mittel, um Fieber zu senken und Erkrankte generell zu stärken. Gegen chronische Bronchitis wurde ein Tee aus Kirschenstielen gekocht, gegen extreme Gemütszustände ein Tee aus der Kirschrinde. Ein Umschlag aus dem Rindensud sollte gegen arthritische Schmerzen helfen. Kirschharz, in Wein gelöst, sollte bei Harn- und Nierensteinen Abhilfe schaffen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
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