Venusfliege gegen Krebs – Wenn Pseudomedizin tötet
Das „Biologische Krebszentrum Bracht“ in den Niederlanden ging im August 2016 durch die Schlagzeilen, nachdem dort drei Patienten innerhalb einer Woche im Anschluss an eine Behandlung gestorben waren. Der zuständige Minister Hermann Gröhe sagte der Rheinischen Post: „Die Verabreichung von Substanzen, die nicht als Arzneimittel zugelassen sind und die sich erst in einer experimentellen Grundlagenforschung befinden, ist nicht vertretbar.“
Inhaltsverzeichnis
Biologische Krebsbehandlung?
Ein Heilpraktiker hatte die Patienten mit einer Infusion des Präparats 3-Bromopyruvat behandelt. Dieses Mittel ist in Deutschland nicht zugelassen, in den Niederlanden sogar verboten. Es handelte sich um eine „alternative Krebstherapie“. Die Idee dahinter ist, dass Krebszellen einen veränderten Zuckerstoffwechsel haben und 3-Bromopyruvat das Krebswachstum hindern könne. Tests für das Arzneimittel gab es bisher nur in Petrischalen und Tierversuchen, die Studien befinden sich also im Anfangsstadium.
Die Tumorzellen sollen die Information bekommen, sie seien ausreichend mit Energie versorgt, und sollten deshalb aufhören, zu wachsen. Das Problem dabei ist: Wenn Pyruvat in größeren Mengen in die Zellen gerät, schädigt es diese.
Der Verantwortliche, Klaus Ross, studierte, laut eigenen Angaben biomedizinische Technik, arbeitete dann als Produktmanager für medizinische Geräte und erwarb in Krefeld seine Zulassung zum Heilpraktiker. In dem von ihm geleiteten Zentrum bot er seit 2014 eine „biologische Krebsbehandlung, Schmerztherapie und Entgiftung“ an, deren Kosten sich in zehn Wochen bei 10.000 Euro bewegten.
Praxisverbot
Nach den Todesfällen wurde dem Zentrum das Praktizieren untersagt, und die Polizei versiegelte die Eingangstür. Die Amtsärztin im Kreis Viersen erstattete Strafanzeige gegen den Heilpraktiker. Erst einmal ging es um den Verdacht auf unterlassene Hilfeleistung: Als sich bei den Patienten die Beschwerden zeigten, informierte er nicht den Notarzt, sondern verabreichte ihnen Vitamine. Die Krefelder Behörden ermittelten gegen den Heilpraktiker in insgesamt 70 Fällen. Die Frage war, ob diese am Krebs starben oder am Präparat 3-Bromopyruvat.
Die Dayspring-Krebsklinik in Scottsdale, Arizona setzt ebenfalls auf diesen „alternativen Therapieansatz“, und die amerikanische Gesundheitsbehörde stimmte 2013 einer Studie zur Wirkung von 3BP zu.
In den Niederlanden ist im Unterschied zu Deutschland das Verabreichen alternativer Mittel streng kontrolliert. In Deutschland sind nur verschreibungspflichtige Medikamente für Heilpraktiker verboten. Klaus Ross erkannte diese Marktlücke und warb gezielt für Patienten aus den Niederlanden.
Ärztekammer alarmiert
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz hielt es für dringend nötig, die Heilpratikerausbildung zu reformieren. Er sagte gegenüber der NOZ: „Während es für die Zulassung als Heilpraktiker in Deutschland keine hohen Hürden gibt, gehen Nachbarländer wie Österreich und die Niederlande einen anderen Weg.”
Unklar sei vor allem, was ein Heilpraktiker dürfe und was nicht: „Sowohl für Heilpraktiker als auch für ihre Heilmittel darf nicht länger gelten: Alles ist erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.“ Vielmehr müsse gelten: „Verboten ist, was nicht erlaubt ist.“
Der Präsident der Ärztekammer NRW, Rudolf Henke, sagte, es sei nicht vertretbar, dass Heilpraktiker die Behandlung von Krebspatienten übernähmen.
Barbara Steffens schweigt
Die zuständige Gesundheitsministerin in NRW, Barbara Steffens, hüllte sich in Schweigen, warum der in Kleefeld ansässige Klaus Ross seiner lebensgefährlichen Quacksalberei unbehelligt in NRW nachgehen konnte.
Die von ihr ausgehende Nebelwolke war kein Zufall. Sie selbst sagte in einem anderen Kontext: „Das Zweite ist einfach, dass ich es anmaßend finde, dass irgendwer meint, dass man naturwissenschaftlich den Menschen, Krankheitsprozesse und Genesungsprozesse mal eben so einfach erklären könnte.“
Die Ministerin gegen die Wissenschaft
Matthias Schwab vom Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie in Stuttgart schrieb der Ministerin: „Natürlich kann man den Menschen (was immer man darunter auch versteht), Krankheitsprozesse und Genesungsprozesse mal eben NICHT so einfach naturwissenschaftlich erklären, weswegen eben eine systematische tief gehende wissenschaftliche Beschäftigung mit der Materie notwendig ist, um zu belegen, dass pseudomedizinische Vorgehensweisen den Patienten mehr gefährden als helfen können.“
Er bringt das Beispiel: „Hätten wir in der onkologischen Forschung in den letzten 25 Jahre nicht wissenschaftlich auf höchstem Niveau Daten zur Behandlung von Kindern mit akuter lymphoblastischer Leukämie generiert, würde die Überlebenschance dieser Kinder heute nicht bei > 90 % liegen.“
Im Fall Ross ergab sich ein fatales Stelldichein zwischen einer anti-wissenschaftlichen Gesundheitsministerin und einem quacksalbernden Pseudoheiler. Das kostete Menschen das Leben.
Venusfliege gegen Darmkrebs
Die Patienten von Klaus Ross sind nicht die einzigen, die in Folge einer „alternativen Krebsbehandlung“ starben. Penelope Dingle aus Australien starb 2005 an Darmkrebs. Ihre Schwester setzte eine Obduktion durch. Die belegte, dass die Homöopathin Francine Scrayen und ein Toxikologe aus Perth verantwortlich für den Tod waren. Sie hatten der Patienten eine homöopathische Behandlung verbunden mit einer vegetarischen Ernährung verordnet. Scrayen empfahl der Verstorbenen außerdem Olivenöl.
Ein Vorwurf lautete, die Homöopathin habe keine medizinische Ausbildung und hätte Dingle sofort an einen Arzt verweisen müssen. Zwei „Alternativärzte“ inspirierten die Patientin außerdem, ihren Darmkrebs mit Venusfliegen-Extrakt und Vitamin C zu behandeln.
Die Verstorbene machte mit Francine Scryen außerdem aus, dass sie sich nur alternativmedizinisch behandeln lassen würde. Ihr Mann, Peter Dingle, sollte dann nach der vermuteten Heilung ein Buch über die Krankheit schreiben.
Das einzige Glück im Unglück: Penelope Dingle verfasste zu diesem Zweck akribisch ein Krankheitstagebuch, das Scryen als Verantwortliche für den Tod belegte.
Pendel gegen Diagnose
Eine Frau aus Kärnten erkrankte an Brustkrebs. Ein Heilpraktiker aus Deutschland stellte mit seinem Pendel fest, dass die Diagnose Krebs „falsch sei“; sie hätte eine entzündete Brust. Er „behandelte“ er die Frau über Jahre hinweg mit „homöopathischen Mitteln“, verdiente dabei 27.500 Euro, und das Opfer starb an dem Krebs, den sie, dem „Heiler“ zufolge gar nicht hatte.
Der Pfuscher stand wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung vor Gericht.
Die Wellness-Kriegerin
Jessica Ainscough trug in Australien den Spitznamen „Wellness Warrior“ und warb unter anderem für Krebstherapien mit Karotte. 2008 diagnostizierten Ärzte bei ihr selber einen Weichteilkrebs, der sich auf Hand, Finger, Ellenbogen und Unterarme auswirkt.
Sie schrieb auf dem Online-Forum „MindBodyGreen“: „After being told by doctors that my only real chance of long-term survival would be to have my arm amputated at the shoulder I decided to take matters into my own hands. I refused their offers of surgery, chemotherapy and radiation and began searching for natural, alternative cancer treatments.”
(“Nachdem mir von den Ärzten gesagt worden war, dass es meine einzige wirkliche Chance auf ein langfristiges Überleben sein würde, dass mein Arm an der Schulter amputiert würde, entschloss ich mich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich verweigerte die Angebote aus der Chirurgie, Chemotherapie und Bestrahlung und begann nach natürlichen,alternativen Krebsbehandlungen zu suchen.”)
Chance verpasst
Sie starb an ihrem Krebs. Ein Kardiologe kommentierte: „Jess Ainscough had a shot, one good shot. That’s usually the case for most cancers; your first shot is your best shot, and we as cancer doctors need to make it count. She didn’t take her first shot (…) Now that she is gone, what I want to know is this: Who are the quacks who enabled her and egged her on?“
(“Jess Ainscough hatte eine Chance, eine gute Chance. Das ist bei Krebs meist der Fall. Deine erste Chance ist deine beste Chance, und wir Krebsärzte müssen sie nutzen. Sie ergriff ihre erste Chance nicht. Jetzt ist sie gegangen, was ich wissen will, ist: Wer sind diese Quacksalber, die sie dazu ermächtigten und sie anstachelten?”)
Die australische Onkologin Ranjana Srivastava schrieb zu Jessicas Tod: „It will always attract unguarded patients who will cling to the faintest promise of recovery without associated harm. Whenever money changes hands and the premise sounds too good to be true, the motto remains: Caveat Emptor.“
(“Es wird unbehütete Patienten immer anziehen, sich an die vagesten Versprechen nach Heilung ohne damit verbundene Schäden zu klammern. Wann immer Geld den Besitzer wechselt und die Begleitgeräusche sich zu gut anhören um wahr zu sein, heißt das Motto: Ausschluss der Gewährleistung.”)
„Die Heilung von jedem Krebs“
Lucille Craven aus New Hampshire diagnostizierte ein Onkologe 1997 einen erbsengroßen Tumor in der Brust. Der Arzt empfahl eine Entfernung der Brust und der nahe liegenden Lymphknoten, dazu eine Chemotherapie.
Sie verheimlichte die Treffen mit den Ärzten und deren Diagnosen in dieser Zeit vor ihrer Familie, vorher hatte sie einmal gesagt, wenn sie Krebs hätte wolle sie nicht „geschnitten, verbrannt oder vergiftet“ werden. Mit anderen Worten: Sie lehnte es ab, den Tumor heraus zu schneiden oder mit Medikamenten bekämpfen zu lassen.
In Begleitung eines anderen Arztes suchte sie einen „naturopath“ auf, der behauptete, den Krebs heilen zu können. Er verlangte viele tausend Dollar Vorschuss und dazu eine Vereinbarung, dass alle Familienmitglieder ihn von der Haftung frei sprächen. Das war der Kranken offen sichtlich doch zu unseriös.
Lucille las jetzt Bücher wie „The Cure for All Cancers“. Eines dieser Bücher hatte ein Chiropraktiker eines benachbarten Bundesstaates geschrieben.
Homöopathie und Bestrahlung
Die Patientin suchte regelmäßig seine Klinik auf, obwohl sie 200 km entfernt lag. Er nahm Blutproben und untersuchte sie unter dem Mikroskop. Letztlich verordnete er 714X, ein Medikament zum Injizieren. Dieses Medikament spritzte sie sich danach selbst. Ein Arzt vor Ort verschrieb ihr homöopathische Mittel und nahm Blutbestrahlungen vor.
Sie verheimlichte die „Therapie“ weiterhin vor ihrer Familie und behauptete, der Wandel in ihrer Ernährung und die Homöopathika seien eine Veränderung hin zu einem einem gesunden Lebensstil.
Ihr Ehemann erkannte irgendwann, dass sie sich Injektionen verpasste. Sie wusste, dass er diese Selbstbehandlung rigoros ablehnte ebenso wie ihre Treffen mit dem Chiropraktiker. Der Gatte machte sich schlau und zeigte ihr Artikel über die Gefahren von nicht geprüften Arzneimitteln.
Scheinwerfer gegen den Tumor
Der unbehandelte Krebs brach jetzt durch die Außenhaut der Brust. Ihr Arzt (den Kardiologen, der zur Operation geraten hatte, mied sie) diagnostizierte den Tumor als Karbunkel. Dabei handelt es sich um Eiterbeulen, die bei Infektionen entstehen und hielt übermäßig wachsende Lymphknoten für die Ursache.
Ihre „Selbstbehandlung“ wurde jetzt noch extremer: Sie erwarb einen Apparat für mehrere tausend Dollar mit zwei Scheinwerfern. Die sollten den „lymphatischen Fluss beschleunigen“.
Inzwischen waren seit der ersten richtigen Diagnose zwei Jahre vergangen. Der Tumor war gewachsen und hatte Metastasen gebildet, so dass eine Lymphknotenschwellung am linken Arm anschwollen.
Zu spät
Jetzt drängte ihr Mann sie, zum Onkologen zu gehen, und sie stimmte einer konventionellen Behandlung zu. Doch es war zu spät. Der zuständige Chirurg und der anwesende Radiologe waren sich einig, dass der Krebs sich nicht mehr behandeln ließ. Vier Monate später starb sie.
Ihr Mann klärt seitdem über Quacksalberei auf. Lucilles früher Tod (sie starb mit 54) hätte mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Ein erbsengroßer Tumor, der nicht gestreut hat, nicht auf die Lymphknoten übergeht, lässt sich mit einem „großzügigen“ Entfernen des Brustgewebes gut herausschneiden – und die Chancen auf eine vollständige Heilung sind hoch.
Pseudomedizin auf Regierungsebene
Wird Pseudomedizin zur offiziellen Politik, dann kann sie tausende von Menschenleben kosten. Die Gesundheitsministerin Südafrikas zum Beispiel, Manto Tshabalala-Msimang, gehörte nach der Jahrtausendwende der AIDS-Leugnerszene an und ließ sich dabei von dem deutschen „Heiler“ Matthias Rath inspirieren.
Die Folge: Sinnvolle Präventionsprogramme wie die Aufklärung über den Gebrauch von Kondomen fanden erst statt, als diese Politik ein Ende hatte.
Die Harvard School of Public Health konstatierte, dass 330.000 Menschen zwischen 2000 und 2005 an AIDS starben, was Präventionsprogramme vermieden hätten. Die AIDS-Leugner hätten auch 35.000 Fälle von HIV bei Kindern zu verantworten, weil die Regierung Aufklärungsprogramme zur Übertragung von der Mutter auf das Kind beendet hätte.
Warum schadet Pseudomedizin?
Tote durch Pseudomedizin sind spektakulär; Dieter Ratz erörterte indessen, dass Scheintherapien auch auf vielfältige andere Art und Weise schaden. Der direkte Schaden kommt auch vor. Zum Beispiel starb 2009 ein Australier an MMS, das unter Esoterikern als Mittel gegen diverse Krankheiten galt.
Wesentlich häufiger sind indessen Schäden, weil Patienten pseudomedizinische „Therapien“ gegen schwere Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs anwenden. Ratz zufolge sterben jedes Jahr Krebskranke mit guter Prognose, nachdem und weil sie zu „alternativen Verfahren“ wechseln.
Nocebo und falsche Schuldgefühle
Eine weit größere Wirkung hat jedoch mittelbar der Vertrauensverlust in wissenschaftliche Methoden. Der kann nämlich ein Nocebo-Effekt auslösen, welcher so wirkt wie ein Placebo – nur negativ.
Wer in Angst versetzt wird vor harmlosen Inhaltsstoffen, der leidet durch die Panikmache. Wer sich unwissenschaftliche Allheilmittel vorgaukeln lässt, verliert das wissenschaftliche Verständnis, Krankheitsprozesse zu begreifen.
Noch schlimmer: Er macht sich selbst für den schlechten Verlauf seiner Krankheit verantwortlich, weil er im esoterischen Sinne glaubt, falsch zu denken.
Aprikosenkerne gegen Krebs
Zu den „alternativen Krebsmitteln“ gehören auch Aprikosenkerne. Die enthalten Amygdalin, die, so die Theorie, Krebszellen im Körper abtöten. Ein darin enthaltenes Vitamin B17 gilt als Wundermittel gegen Krebs. Amerikanische Studien belegen hingegen, dass Vitamin B 17 wirkungslos ist.
Doch der Verzehr von Aprikosenkernen kann lebensbedrohlich sein, denn die Kerne sind keinesfalls wirkungslos. Sie können Vergiftungen auslösen, denn der Körper wandelt Amygdalin in Blausäure um, und die verhindert, dass die Zellen Sauerstoff aufnehmen können. Übelkeit, Kopfschmerzen und Lähmungen sind die Folge – am Ende kann der Tod stehen. Erwachsene sollten deshalb nicht mehr als zwei Kerne pro Tag zu sich nehmen.
Seit 2006 registrierten Giftnotrufzentralen in Deutschland mehrere hundert Vergiftungen durch Aprikosenkerne. Das deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg warnt ausdrücklich vor „alternativen Behandlungen” mit Amygdalin.
Bob Marley und Steve Jobs
Der Reggae-Musiker Bob Marley starb 1981 mit 36 Jahren an Krebs. 1977 hatten Ärzte einen kleinen Tumor in seiner großen Zehe gefunden. Sein religiöser Glaube verbot dem Rastafari eine Amputation. Er versuchte es mit „alternativen Methoden“, doch der Krebs verbreitete sich im Körper und raffte ihn vor seiner Zeit dahin.
Steve Jobs starb an einem Krebs in der Bauchspeichelsdrüse und Komplikationen bei einer Lebertransplantation. 2003 wurde bei ihm ein Tumor in der Bauchspeicheldrüse entdeckt. Es handelte sich dabei um die besser zu behandelnde Form. Nur 5 % der Tumore in der Bauchspeicheldrüse gehören zu diesen isolierten Zelltumoren.
70-90% der behandelten Patienten überleben die ersten fünf Jahre, viele sogar zehn oder mehr Jahre länger – da der Krebs vor allem im fortgeschrittenen Alter auftritt, sind Forschungen über die Lebenszeit jenseits der ersten fünf Jahre kaum ergiebig, da viele Betroffene auch anderweitig versterben.
Die wichtigste Behandlung ist das operative Entfernen des Tumors, die Heilungschancen hängen stark davon ab, wie früh das Karzinom entdeckt wird – vor allem, dass der Krebs heraus geschnitten wird, bevor er Metastasen bildet.
Diät statt Operation
Jobs hätte gute Chancen gehabt: Sein Tumor war isoliert, befand sich in einem frühen Stadium, und die Prognosen, ihn zu entfernen, waren sehr gut. 2004 ließ er die Bauchspeicheldrüse samt Teilen des Magen-Darmtraktes in einer Whipple-Operation entfernen. Die Operation hat ihren Namen vom Arzt Allen Whipple, der sie erfand. Dieser Eingriff in den Oberbauch ist sehr kompliziert, und nur wenige Spezialkliniken sind dazu in der Lage.
Könnte Jobs noch leben?
2009 hatte der US-amerikanische Unternehmer eine Lebertransplantation, wahrscheinlich, um eine Wiederkehr des Krebses zu verhindern. In diesem Jahr unterzog er sich auch in der Schweiz einer Hormonbehandlung.
Jobs war Buddhist und Vegetarier und skeptisch gegenüber der konventionellen Medizin. So zögerte er neun Monate, bevor er sich einer Operation unterzog. Er versuchte es erst einmal mit alternativen Methoden und unterzog sich einer speziellen Diät.
Als er sich 2004 operieren ließ, war der Krebs weiter fortgeschritten und hatte möglicherweise schon Metastasen gebildet – das ist zumindest wahrscheinlich, weil die Ärzte Teile des Darms und Magens entfernten. Hätte ihn eine frühzeitige Operation gerettet? Eine Garantie gibt es nicht, aber seine Heilungschancen wären wesentlich besser gewesen.
Tote Kinder
Das Royal Children’s Hospital in Melbourne untersuchte 39 Todesfälle von Kindern, die zuvor alternativ behandelt worden waren. Bei 30 von ihnen belegte die Untersuchung einen Zusammenhang zwischen der Therapie bzw. dem Verweigern von verschriebenen Medikamenten.
Zu den Schäden durch die falschen Therapien oder das Verweigern einer professionellen Behandlung gehörten: Verstopfungen, Infektionen, epileptische Anfälle, Blutungen, Schmerzen infolge allergischer Reaktionen, orale Ulzerationen, Erbrechen, Wachstumsstörungen und Unterernährung.
Septischer Schock durch „alternative Mittel“
Vier Kinder starben, weil die Eltern medizinische Therapien ablehnten, ein Säugling starb an einem septischen Schock als Folge einer „naturopathischen Reismilchdiät“. Ein anderes Kind starb nach mehreren epileptischen Anfällen, nachdem die Eltern die Antiepileptika abgesetzt hatten und statt dessen „alternative Mittel“ einsetzten. Ein viertes Kind starb an Blutungen, weil die Eltern gerinnungsfördernde Medikamente ablehnten.
Ein Junge in Österreich litt an der Immunstörung SCID. Die Eltern hatten ihn in eine Klinik gebracht, um eine Knochenmarktransplantation vorzunehmen. Der zuständige Sachverständige Kurt Widhalm sah eine 95%ige Heilungschance. Die Eltern nahmen ihren Sohn jedoch vor dem Eingriff nach Hause, verweigerten weitere Untersuchungen und lehnten getestete Arzneimittel ab. Sie ließen ihn stattdessen vom Hausarzt mit Homöopathika behandeln.
Der Arzt gab nicht einmal mehr Antibiotika, und der Zustand des Jungen verschlechterte sich immer mehr. Das Kind starb schließlich an einer Blutvergiftung (Sepsis): Einer seiner Gehörgänge zersetzte sich und seine Lunge war durch Entzündungen verwachsen. Zudem war er mangelernährt.
Kranke Kinder gehören zum Arzt
Ein Siebenjähriger in Kanada erkrankte an einer bakteriellen Infektion. Innerhalb von zehn Tagen wurden die Symptome immer schlimmer. Die Mutter ging nicht zum Arzt, sondern gab dem Kranken homöopathische Mittel.
Nach zehn Tagen rief sie den Notarzt, weil das Herz des Jungen nicht mehr schlug. Der Junge war tot. Der Polizeisprecher Michael Cavilla sagte: „Es sollte allen Eltern eine Warnung sein. Wenn Ihr Kind krank ist, bringen sie es zum Arzt.“
Die englische Website „What’s the harm“ listet circa 18.000 Fälle von Kindern auf, die als Folge von Pseudomedizin, religiöser Vorstellungen, Ablehnung von Impfungen und evidenzbasierter Medizin starben. Unter „Alternative medicine“ finden sich vor allem Kinder, die an Krebs starben, unter anderem, weil die Eltern eine wirksame Chemotherapie verweigerten.
Fahrlässige Tötung
Diabetes ist nicht unmittelbar tödlich, vorausgesetzt, die Krankheit wird so behandelt, wie es nach heutigen medizinischen Standards möglich ist.
Ein siebenjähriges Mädchen in Bad Säckingen geriet jedoch in die falschen Hände. Das Kind war bei den Heilpraktiker ursprünglich wegen Sprachschwierigkeiten in Behandlung. Doch im Oktober 2006 stellte sich heraus, dass die Schülerin aus dem westlichen Kreis Waldshut an Diabetes erkrankt war.
„Diabetes ohne Insulin heilbar“
Der Heilpraktiker sagte der Mutter, Diabetes sei auch ohne Insulin heilbar. Im November stiegen die Krankheitswerte der Kleinen rapide. Am 3.12. besuchte der Heilpraktiker morgens das Mädchen, kam aber nicht auf die Idee, sie ins Krankenhaus bringen zu lassen. Später am Tag kam sie nahe der Bewusstlosigkeit auf die Intensivstation der Uniklink Freiburg.
Starke Dosen Insulin halfen nicht mehr: Sie starb am 4.12.2006. Der (Un-)Heilpraktiker wurde vom Landgericht Waldshut-Tiengen zu 7500 Euro Geldstrafe und acht Monaten auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, Mutter und Vater wurden des gleichen Delikts für schuldig gesprochen.
Ahornsirup gegen Meningitis
Der neun Monate alte Ezekiel aus Alberta, Kanada, atmete schwer, sein Körper wurde steif, und ihn plagte ein schlimmer Reizhusten. Fieber brach aus. Die 35jährige Mutter sah keinen Grund, einen Kinderarzt aufzusuchen, sondern behandelte ihn mit „natürlichen Mitteln“ wie Ahornsirup und Olivenextrakt. Zwei Wochen später starb der Junge: Es handelte sich um eine virale Meningitis, die sich gut hätte behandeln lassen.
Impfgegner
Die (Nicht-)Behandlung war logisch: Die Eltern stammen aus dem Verschwörungs-Fantasten und Impfgegner-Milieu. Sie betreiben eine Firma für Naturheilmittel und erklären sich für unschuldig. Die Staatsanwaltschaft klagt sie hingegen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung. Werden sie schuldig gesprochen, können sie für fünf Jahre ins Gefängnis gehen.
Todesursache: Globuli
In den USA starben jüngst zehn Kinder durch die Einnahme von Globuli. Die Homöopathie steht in der Kritik der wissenschaftlichen Medizin – unter anderem, weil sie Bestandteile so sehr verdünnt, dass diese keine nachweisbaren Moleküle der Ursubstanz mehr enthalten, es diese Substanz also naturwissenschaftlich nicht mehr gibt.
Manche Ärzte stehen den so genannten Globuli, Zuckerkügelchen, auf die Flüssigkeit mit der chemisch nicht nachweisbaren Substanz geträufelt wird, ambivalent gegenüber. Sie meinen, die Globuli wirken zwar nicht, richten aber auch keinen Schaden an.
Teething Tablets mit Tollkirsche
Bisweilen enthalten die Globuli dann aber doch eine wirksame Menge der Ursubstanz, und die wirkte in den USA tödlich. „Teething Tablets“ enthielten nämlich das Gift der Schwarzen Tollkirsche, und die zehn Kinder nahmen dieses Gift mit den Globuli auf.
Das in den Tabletten enthaltene Atropin sollte beim Zahnen helfen. Untersuchte Fälle in den USA zeigten in circa 400 Fällen schwere Nebenwirkungen, die, wie beschrieben, bei zehn Kindern zum Tod führten.
Häufige Symptome der in Mitleidenschaft gezogenen Kinder waren Krämpfe, Zittern, Kurzatmigkeit und Fieber. Das alles sind typische Erscheinungen von Atropinvergiftungen. In höheren Dosen folgen Lähmungen, Koma und Tod.
„Germanische Medizin“
Ryke Geerd Hamer kam 1935 im hessischen Mettmann zur Welt. Er ist ein Verschwörungs-Fantast und Antisemit. Seit 1981 „praktizierte“ er die von ihm erfundene „Germanische Neue Medizin“. 1986 verlor er in Deutschland seine Approbation und saß öfters im Gefängnis – vor allem wegen Betrug und illegalem Praktizieren.
Ein tödlicher Antisemit
Mutmaßlich 80 Todesfälle gehen auf das Konto seiner Behandlungen. 1995 litt zum Beispiel die sechsjährige Olivia Pilhar, weil ihr die Hamer-gläubigen Eltern eine reale Therapie verweigerten. Den Antisemiten wurde die Erziehungsberechtigung entzogen, und eine evidenzbasierte Behandlung rettete das Leben des Mädchens.
Kritiker gehen inzwischen von über 150 Menschen aus, die infolge einer Behandlung nach Hamer starben. Die Dunkelziffer könnte drei- bis viermal so hoch sein. Bei unheilbaren Patienten verschlimmerte Hamer das Leid, indem er ihnen einredete, sie würden sofort sterben, wenn sie Schmerzmittel nähmen.
Der Görlitzer Hans-Ulrich L. starb 2015. Er litt an einem bösartigen Lymphom, das Ärzte frühzeitig entdeckt hatten, und dass bei einer frühen Operation gut hätte entfernt werden können mit einer günstigen Prognose auf vollständige Genesung.
Krebs als seelischer Konflikt
Der „germanische Mediziner“ lullte den Betroffenen ein, Krebs liege an einem „unverdauten seelischen Konflikt“, die konventionellen Therapien seien nichts als „Teufelsaustreibung“. Statt einer Operation sollte der Kranke ein Lied „Mein Studentenmädchen“ hören, das Hamer selbst entworfen hatte.
Durch die „Schwingungen“ sollte er geheilt werden. Ununterbrochen lief jetzt das Musikstück, kurz bevor der Betroffene mit 66 starb, schaltete er die Musik aus. Bei der Beerdigung trug die Tochter des Opfers der „Germanischen Neuen Medizin“ ein Schild mit der Inschrift: „Dank Dir, Ryke Geerd Hamer“.
Der tödliche Guru der „germanischen Medizin“ hat sich inzwischen nach Norwegen abgesetzt. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V.: Das Goldene Brett vorm Kopf (Abruf: 11.09.2019), gwup.org
- Humanistischer Pressedienst: Tödlicher Hokuspokus mit dem Segen der Gesundheitsministerin (Abruf: 11.09.2019), hpd.de
- Anke Steckelberg, Julia Lühnen, Martina Albrecht: Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen, Deutsches Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin e.V. April 2018, ebm-netzwerk.de
- Informationsnetzwerk Homöopathie: Wissenschaft und Studien in Medizin und Pseudomedizin (Abruf: 11.09.2019), etzwerk-homoeopathie.info
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.