Eine der häufigsten entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist die chronische Polyarthritis. Die schubweise verlaufende Kranheit betrifft besonders oft Frauen und hat bei unterlassener Behandlung schwerste Gelenkdeformierungen zur Folge, die zu erheblichen körperlichen Behinderungen führen können. Bis zu zwei Prozent der Bevölkerung (1,6 Mio. Menschen) sind hierzulande nach Expertenschätzungen betroffen.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Als chronische Polyarthritis wird eine entzündliche rheumatische Erkrankung der Gelenkinnenhaut (Stratum synoviale) und anderer Bindegewebestrukturen bezeichnet, deren Auslöser eine fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems ist (Autoimmunkrankheit). Oft kann ein sogenannter Rheumafaktor im Blut nachgewiesen werden, was nach der internationalen Klassifikation von Krankheiten eine „Seropositive chronische Polyarthritis“ (ICD10-Code: M05) definiert. Jedoch tritt die Erkrankung auch als „Sonstige chronische Polyarthritis“ (ICD10-Code: M06) ohne Rheumafaktor auf. Synonyme Bezeichnungen für das Beschwerdebild sind Rheumatoide Arthritis, primär chronische Polyarthritis oder progressive chronische Polyarthritis. Das erste Mal für die Öffentlichkeit beschrieben wurde die rheumatoide Arthritis um 1800 von dem französischen Chirurgen Dr. Augustin Jacob Landré-Beauvais (1772–1840).
Symptome
Gelenkschmerzen, die sich zunächst in den Mittel- und Grundgelenken der Finger zeigen und an beiden Händen symetrisch auftreten, sind oft das erste, deutlich spürbare Anzeichen der chronischen Polyarthritis. Sie gehen auf eine Entzündung zurück, die auch eine Schwellung und Überwärmung sowie ein Gefühl der Steifheit in den betroffenen Gelenken mit sich bringt. Bei manchen Patienten tritt diese Entzündung zuerst in den großen Gelenken, wie den Knie- oder Sprunggelenken auf. Morgensteifigkeit, kombiniert mit unspezifischen Allgemeinsymptomen wie verstärkter Müdigkeit und Leistungsminderung, Gewichtsabnahme oder erhöhter Grundtemperatur, sind mitunter frühe Hinweise auf eine chronischen Polyarthritis.
In jedem Fall ist eine solche Entzündungsphase in den Gelenken als erster Krankheitsschub zu bewerten, wobei dessen Intensität individuell sehr unterschiedlich ausfallen kann. Auch der zeitlich Abstand bis zu einer erneuten Entzündungsphase kann variieren, doch müssen die Betroffenen fortan stets mit einem weiteren Schub rechnen. Zwar bleibt einigen wenigen Patienten ein wiederholtes Auftreten der Beschwerden erspart, die Mehrheit wird jedoch im Lebensverlauf mit zahlreichen weiteren Kranheitsschüben konfrontiert.
Bei wiederholtem Auftreten haben die Entzündungen der Gelenke mit der Zeit einen zunehmenden Verlust von Knorpel- und Knochenmasse zur Folge, der massive Beeinträchtigungen der Gelenkfunktion mit sich bringt. Die Gelenke verformen sich im Krankheitsverlauf immer stärker, bis sie letztlich vollständig versteifen. Die umliegenden Bänder und Sehen werden durch die Gelenkdeformierung ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen und weil viele Betroffene angesichts der Schmerzen Bewegung meiden, setzt relativ schnell ein Schwund der Muskulatur ein. Die Verformungen der Gelenke können im Verlauf der chronischen Polyarthrittis dazu führen, dass die Schmerzen zwischen den Entzündungsphasen fortbestehen und die Patienten dauerhaft leiden. Auch bilden sich an den Gelenken oft sogenannte Rheumaknoten, die als Verdickungen im Gewebe spürbar sind.
Mitunter befällt die chronische Polyarthritis auch andere Systeme des menschlichen Organismus außerhalb des Bewegungsapparates. Dies ist zwar selten, kann jedoch lebensgefährliche Komplikationen nach sich ziehen, wie z.B. eine Rippenfellentzündung, Gefäßentzündungen, Herzbeutelentzündungen und weitere schwerwiegende Erkrankungen.
Krankheitsmechanismus und mögliche Ursachen
Während der Mechanismus der chronischen Polyarthritis heute realtiv gut erforscht ist, konnte eine eindeutige Ursache der Erkrankung bislang nicht bestimmt werden. Hier sind verschiedene mögliche Auslöser in der Diskussion. Zu dem Mechanismus ist bekannt, dass in den Entzündungsphasen eine Wucherung der Gelenkinnenhaut und eine vermehrte Ausschüttung von Gelenkflüssigkeit zu einem Abbau der Knorpel- und Knochenmasse führen. Eine Störung im Immunsystem ist der Auslöser für diesen Prozess. Wodurch die Reaktion des Immunsystems fehlgeleitet wird, bleibt bisher unklar. Als Risikofaktoren sind genetische Veranlagungen, Rauchen und eine Problematik der weißen Blutkörperchen beziehungsweise der B-Lymphozyten in der Diskussion. Aber auch Viren und Bakterien werden als Auslöser oder beeinflussende Kräfte in Betracht gezogen.
Aus unbekanntem Grund sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer und obwohl die Erkrankung theoretisch in jedem Lebensalter auftreten kann, zeigen sich die Beschwerden bei den meisten Betroffenen erstmals im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren.
Diagnose
Die Diagnose der chronischen Polyarthritis wird in der Regel anhand eines Kritierienkataloges gestellt, aus dem vier Punkte erfüllt sein müssen. Der Abgleich setzt allerdings zunächst eine gründliche Anamnese mit einer detaillierten Beschreibung der auftretenden Beschwerden voraus. Die Kritierien, welche für die Diagnosestellung herangezogen werden, umfassen:
- Gelenkschmerzen und -schwellungen in den Mittel- und Grundgelenken der Finger, den Handegelenken oder den großen Gelenken,
- symetrisches Auftreten der Gelenkentzündungen auf beiden Körperhälften,
- morgendliche Steife in den Gelenk für mehr als 60 Minuten,
- spürbare Rheumaknoten,
- erkennbare, typische Gelenkveränderungen bei bildgebenden Untersuchungen (Röntgen, Skelettszintigraphie etc.),
- Rheumafaktor oder Antikörper im Blut gegen bestimmte Eiweiße (sogenannte CCP) im Blut nachweisbar.
Sind vier dieser Kriterien erfüllt, wird unter Medizinern meist von einer gesicherten Diagnose ausgegangen.
Weiterhin kann anhand der festgestellten Symptome eine Einteilung nach dem Schweregrad erfolgen, wobei das Spektrum von einfachen Gelenkschwellungen ohne Beeinträchtigung der Gelenkstruktur bis hin zu schwersten degenrative Veränderungen mit Deformierungen und Versteifungen reicht.
Behandlung
Gegen die Beschwerden während eines akuten Schubes wird meist mit sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) vorgegangen. Sie wirken entzündungshemmend und sollen die Schmerzen lindern. Zeigen die NSRA nicht die gewünschte Wirkung, kann auch Kortison eingesetzt werden, um die Entzündung der Gelenke einzudämmen. Diese Behandlung dient allerdings nur der Linderung der akuten Beschwerden. Ergänzend ist eine Basismedikation vorgesehen, die das Auftreten erneuter Krankheitsschübe in der Intensität und Frequenz mindern soll.
Oft erfolgt die medikamentöse Basisbehandlung mit Methotrexat, aber auch verschiedene andere Wirkstoffe können zum Einsatz kommen. Hier treffen Rheumatologen anhand des individuellen Beschwerdebildes eine entsprechende Auswahl. Die Wirkung dieser Basismedikation setzt erst nach Wochen bis Monaten ein, sie kann jedoch nachweislich dazu beitragen, dass die Deformierungen der Gelenke deutlich verringert und mitunter gänzlich vermieden werden. Bei den Therapiemöglichkeiten sind auch die sogenannten Biologicals, gegen entzündungsauslösende Zytokine gerichtete Antikörper, zu erwähnen wie Adalimumab und Rituximab.
Nicht zuletzt besteht zudem die Möglichkeit, operativ gegen die Erkrankung beziehungsweise deren Folgen vorzugehen. So können die Wucherungen der Gelenkinnenhaut chirurgisch entfernt oder Fehlstellungen deformierter Gelenke korrigiert werden. Auch ein künstlicher Ersatz der Gelenke durch eine Prothese ist möglich. Allerdings dienen auch diese Maßnahmen letztlich nur der Symptomlinderung – eine Heilung ist mit ihrer Hilfe nicht möglich.
Begleitende Bewegungs- beziehungsweise Physiotherapie nach Abklingen der Entzündungsphasen soll möglichen Bewegungseinschränkungen in den Gelenken vorbeugen und stärkt gleichzeitig die oft geschwächte Muskulatur. Bei ausgeprägteren Formen ist eine Ergotherapie angebracht, um den Betroffenen das Leben im Alltag zu erleichtern. Auch ist mitunter eine therapeutische Unterstützung bei der Bewältigung der psychischen Belastungen hilfreich, die mit der Erkrankung einhergehen. Denn die Diagnose „Chronische Polyarthritis“ bringt massive Einschnitte im Alttag und langfristig das Risiko einer Invalidität mit sich, was viele Betroffene nur schwer verarbeiten können.
Naturheilkunde
Neben den manuellen Therapien, die gegen langfristige Beeinträchtigungen der Gelenkfunktion eingesetzt werden können, bietet die Naturheilkunde auch gute Ansätze zur Linderung der akuten Beschwerden während eines Krankheitsschubes. Hier sind vor allem Kälteanwendungen wie kalte Wickel oder das Bad im Eiswasser vielfach eingesetzte naturheilkundliche Maßnahmen. Zwischen den Kranheitsschüben können Wärmebehandlungen wie Fango-Packungen oder auch warme Heusäcke angewandt werden.
Verschiedenen Heilpflanzen wird in der Naturheilkunde ebenfalls eine positive Wirkung gegen die Beschwerden bei einer chronischen Polyarthritis zugeschrieben. Hier sind als traditionelle Mittel gegen die Gelenkbeschwerden zum Beispiel Vollbäder mit Brennnessel-Zusatz, äußerliche Anwendungen mit Johanniskrautöl, Thymianöl und Beinwelltinktur sowie Tee auf Basis von Schafgarbe oder Odermennig zu nennen. Auch dem Verzehr von frischen Löwenzahnstengeln wird eine positive Wirkung bei den entzündlichen-rheumatischen Beschwerden zugesprochen. Des Weiteren kommen pflanzliche Mittel aus der Wurzel der Teufelskralle aufgrund ihrer entzündungshemmenden Wirkung vermehrt zur Behandlung der chronischen Polyarthritis zum Einsatz.
Weitere naturheilkundliche Verfahren, die gegebenenfalls Anwendung finden, sind zum Beispiel die Akupunktur, Hydrotherapie, Homöopathie und Schüssler-Salz-Therapie. Ingesamt stehen eine Vielzahl an naturheilkundlichen Behandlungsansätzen zur Verfügung, die auch eine geringere Dosierung der Basismedikation ermöglichen können. Allerdings sind diese nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zur medikamentösen Basisbehandlung zu bewerten. (jvs, tf, fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ): Rheumatoide Arthritis (Abruf: 14.08.2019), patienten-information.de
- Herold, Gerd: Innere Medizin 2019, Selbstverlag, 2018
- Berufsverband Deutscher Internisten e.V.: Rheumatoide Arthritis (Abruf: 14.08.2019), internisten-im-netz.de
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Rheumatoide Arthritis (Abruf: 14.08.2019), gesundheitsinformation.de
- Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V.: Management der frühen rheumatoiden Arthritis, Stand: August 2011, dgrh.de
- Robert Koch-Institut (RKI): Themenheft Entzündlich-rheumatische Erkrankungen, Stand: 2010, rki.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.