Bisweilen entstehen Krankheiten ganz neu: Ein Virus mutiert, ein Bakterium taucht in einer Region auf, wo die Menschen keine Abwehrkräfte gegen es entwickeln, ein Erreger springt von einem Wirtstier, das zuvor keinen Kontakt zu Menschen hatte, auf Menschen über oder eine unbekannte Genvariante führt zu einer Störung. Andere Erkrankungen sind uralt, wurden aber bisher nicht erkannt, oder mit anderen Beschwerden verwechselt.
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„Was wir derzeit beobachten, sieht mehr und mehr wie ein dramatischer Anstieg der Bedrohung durch neue und wieder auferstehende Infektionskrankheiten aus”, sagte die Generaldirektorin der WHO, Margaret Chan bei der 69. Weltgesundheitsversammlung. Und sie fügte hinzu: „Die Welt ist nicht genügend vorbereitet, um damit fertig zu werden.“
Bei wieder anderen ist nicht klar, ob es sich wirklich um eine Krankheit handelt oder nur um eine äußerst seltene Mutation. So fiel Ärzten des Universitätsklinikums in Ulm ein Kind auf, das nie satt wurde. Der Vielfraß wog mit 3 Jahren schon über 40 Kilo.
Die Mediziner gaben ihm ein künstlich hergestelltes Hormon Leptin. Danach aß es weniger und nahm ab.
Die Unikliniker in Ulm nannten das Phänomen eine „neue Krankheit“. Doch die Fachleute von der „Deutschen Gesellschaft für innere Medizin“ vermieden diesen Begriff. Sie sprachen stattdessen von einer „absoluten Rarität“ und hielten es für unwahrscheinlich, anderen Fettleibigen mit der Hormongabe helfen zu können.
Wie gefährlich sind neue Krankheiten?
Wenn Wissenschaftler ein neues Leiden entdecken, schätzen sie als erstes ein, wie gefährlich es ist. Sie stufen deshalb den Erreger in eine biologische Sicherheitsstufe von BL1 bis BL4. BL4 sind die gefährlichsten, darunter fällt zum Beispiel Ebola.
Als nächstes entschlüsseln die Forscher die Struktur der Proteine. Der Erreger lässt sich so einer Gruppe von Krankheiten zuordnen, und so lassen sich Gegenmittel entwickeln.
Wie oft entdecken Wissenschaftler neue Krankheiten?
Professor Jörg Hacker aus Würzburg sagt: „Jedes Jahr kommt im Durchschnitt eine neue Infektionskrankheit hinzu.“ Das liege zum einen an der besseren Diagnostik, vor allem an der Gentechnik.
Ein anderer Grund sei jedoch das Bevölkerungswachstum, die Zahl der Menschen hätte sich in einem Jahrhundert vervierfacht. Sie rückten immer dichter zusammen, riesige Slums ohne Kanalisation förderten Epidemien und riesige Schlachthallen verbreiteten Tierseuchen.
Die Menschen drängen in fast jeden Winkel der Erde vor und kämen so mit fast allen Tieren und Pflanzen in Kontakt, und damit mit dessen Erregern, sagt Prof. Reinhard Kurth vom Berliner Robert Koch-Institut. Die Affenpocken seien zum Beispiel in Zentralafrika nur dort aufgetaucht, wo der Wald gerodet wurde.
Das Wikinger-Gen
Einige Patienten mit Darmbeschwerden leiden zusätzlich daran, dass ihr Herzmuskel nicht funktioniert. Keine konventionelle Methode konnte bisher ihre Beschwerden lindern.
Kanadische Forscher fanden einen Gendefekt, der ein solches Herz-Darm-Leiden auslöst. Die Wissenschaftler aus Quebec erkannten, dass bestimmte Beschwerden in Magen und Darm bekannten Erkrankungen nur zufällig ähnelten. Die Ursache war aber eine genetisch bedingte Störung, die bisher niemand kannte.
Sie nannten die Erkrankung Broken Heart Syndrom. Ursache ist eine Mutation des Gens SGOL1. Diese Mutation führt dazu, dass Nerven- und Muskelzellen im Darm- und Herzgewebe schneller altern und absterben. Deshalb funktionieren die Organe nicht mehr wie zuvor.
Die Forscher wiesen nach, dass diese Genveränderung Herz- wie Darmerkrankungen verursacht, und es sich um ein eigenes Syndrom handelt. Der offizielle Name lautet: „Chronic Atrial and Intestinal Dysrhythmia Syndrome (CAID)“.
Symptome des „gebrochen Herz-Syndroms“
Bei Betroffenen schlägt das Herz sehr langsam. Diese Kontraktionen des Herzens sind notwendig, um den Darm zu bewegen. Der steht jetzt still, und die Betroffenen erleiden starke Schmerzen. Die Betroffenen brauchen Herzschrittmacher und müssen sich schweren Operationen unterziehen.
Auf den Spuren der Nordmänner
Die Genmutation geht vermutlich auf die Wikinger zurück. Die Genanalyse von Erkrankten verwies auf Spuren, die ins Nordeuropa des 12. Jahrhunderts führen. Wahrscheinlich brachten die Wikinger dieses veränderte Erbgut mit sich, als sie nach Europa aus schwärmten und Nachkommen zeugten.
Kinderlähmung
Seit vier Jahren grassiert in den USA eine neue Form von Kinderlähmung – betroffen sind hunderte von Menschen.
Anfangs tappten die Ärzte im Dunkeln. Doch Charles Chiu und sein Team von der University of California fanden einen Hauptverdächtigen: Das Enterovirus EV-D68 löst Erkrankungen der Atemwege aus – vermutlich aber auch die Kinderlähmung.
In den Sekreten und im Blut von betroffenen Kindern fanden die Ärzte nämlich dieses Virus.
Ev-D68 ist schon seit 1960 bekannt. Bisher führte es aber nur selten zu ernsthaften Erkrankungen. 2014 schlug das Virus jedoch zu – es war vermutlich mutiert.
Das bei den von der Kinderlähmung Betroffenen gefundene Virus gehört ebenfalls zur mutierten Form EV-D68-B1. Er ist erst seit vier Jahren bekannt. Seine Struktur ähnelt dem Poliovirus und dem Virus EV-D70. Der schädigt die Nerven. B1 trat beim Ausbruch des Enterovirus 2014 auf und ist mutmaßlich für die Fälle von Kinderlähmung verantwortlich.
Allerdings erkrankte nur ein Teil der Patienten an der Kinderlähmung. Offen sichtlich schützt ein stabiles Immunsystem Betroffene vor der Lähmung.
Das Virus lässt sich bisher nicht bekämpfen, und es gibt auch noch keine Impfung.
Genetisches AIDS
AIDS, das „aquired immune defiency syndrome“, eine erworbene Immunschwäche, führt dazu, dass der Körper eindringende Erreger immer schlechter in den Griff kriegt.
Die Medizinerin Sarah Browne und ihr Team untersuchten 203 Patienten in Thailand und Taiwan, die anscheinend unter AIDS litten. Dann kam die Überraschung: Keiner der Betroffenen war HIV positiv. Die T-Helferzellen, Abwehrzellen, die AIDS zerstört, blieben unbeschädigt.
88 von 100 Patienten hatten jedoch Auto-Antikörper im Blut. Das sind Abwehrstoffe, die das Immunsystem gegen die eigenen Körperzellen richtet. Die Ursache ist eine genetisch bedingte Fehlsteuerung. Es handelte sich also um einen Autoimmunerkrankung, die angeboren und nicht erworben war.
Wie AIDS ist die neu entdeckte Immunschwäche eine chronische Krankheit.
Diese Auto-Antikörper blockierten das Protein Interferon-Gamma. Es wird von den T-Helferzellen gebildet und notwendig, um Erreger abzuwehren. Fehlt es, dann dringen Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten ungehindert ein.
Die Krankheit ist seit 2004 bekannt, Opfer sind vor allem Asiaten, doch einzelne Betroffene stammen auch aus den USA
Tuberkuloseverdacht
Die Patienten leiden häufig unter Tuberkulose-Bakterien, die Krankheiten der Lunge auslösen. Deshalb meint Sarah Browne, die Autoimmunschwäche würde schon lange existieren, würde aber mit Tuberkulose verwechselt. Die Ärztin meint, dass eine genetische Disposition vorliegt, Infektionen würden dann zum Ausbruch der Krankheit führen.
Trotz der vermuteten genetischen Anlage gibt es keine bekannten Familien, in denen die Krankheit vermehrt auftritt. Die Immunschwäche wird aber auch nicht von Mensch zu Mensch übertragen.
Hohes Alter der Erkrankten
Keiner der Patienten war unter 50 Jahre. Das verweist darauf, dass die Krankheit vermutlich Jahre lang „schlummert“ bis sie ausbricht – genau wie AIDS. Eine Infektion, sei es durch einen Virus, durch Pilze oder Bakterien löst zwar den Krankheitsprozess in Gang, bis das Immunsystem aber wirklich geschwächt ist, vergehen Jahre.
Wie AIDS führt das geschwächte Immunsystem auf Dauer zum Tod. Einige der von Browne Untersuchten starben inzwischen.
Wie bei AIDS lassen sich lediglich die Auswirkungen der Immunschwäche lindern. Antibiotika helfen gegen die entsprechenden Infektionen.
Hoffnung gibt die Krebsmedizin: Bestimmte Krebsmedikamente bremsen nämlich die Produktion von Antikörpern.
Lyme-Borreliose
Amerikanische Wissenschaftler entdeckten einen neue Borrelien-Art. Diese Bakterien verursachen Lyme-Borreliose beim Menschen; die Symptome unterscheiden sich dabei deutlich von anderen Borreliose-Erregern.
Neben Borrelia burgdorferi gibt es jetzt eine zweite Art, die diese spezielle Form der Borreliose überträgt, und die Forscher nannten sie nach ihrem Krankenhaus, der Mayo Clinic, Borrelia mayonii.
Die neue Art ist mit burgdorferi eng verwandt, die Kopienzahl des oppA1-Gens ist jedoch 180fach höher.
Sechs Patienten litten an dem neu entdeckten Erreger. Wie die bekannte Borreliose gehörten Fieber, Kopf- und Nackenschmerzen zu den Symptomen. Der Hautauschlag war nicht wie bei Borreliose üblich in Form eines roten Kreises, sondern ohne feste Grenze; es fanden sich zudem wesentlich mehr Erreger im Blut als gewöhnlich.
Die Wissenschaftler vermuten, dass das Bakterium nur in Minnesota, Wisconsin und North Dakota lebt.
Borrelia mayonii lässt sich mit gängigen Borreliose-Tests nachweisen und mit Borreliose-Mitteln behandeln.
Super-Erreger
Super-Erreger sind gegen Therapien immun. In den USA fand sich jetzt ein solcher Alptraum der Ärzte. Eine 49jährige litt unter einer Infektion der Harnwege; Täter war ein E-Coli-Bakterium, das gegen sämtliche Antibiotika immun war. Der Erreger hat ein Gen, das ihn vor Antibiotika schützt, das Mcr-1-Gen.
Die WHO warnt seit langem davor, dass Antibiotika immer weniger gegen die sich ständig verändernden Erreger schützen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.