Schlafwandeln, Somnambulismus, bezeichnet ein Verhalten, bei dem Schlafende aufstehen, herum gehen und oft weitere Handlungen ausführen, bis hin zu Auto fahren. In der Regel hält dieser Zustand wenige Minuten an, kann aber auch länger dauern. Heute fällt er unter die Störungen, die zwischen Schlafstadien auftreten.
Inhaltsverzeichnis
Eine Parasomnie
Parasomnien sind Verhaltensstörungen und motorische Störungen zwischen den unterschiedlichen Phasen des Schlafs und beim Wechsel vom Schlaf- zum Wachzustand. Somnambulismus zählt dabei zu den Störungen vor dem Aufwachen, und meist zu den Störungen während der NREM-Phase, in der sich unsere Augenlider nicht bewegen und wir wenig Traumaktivität zeigen. Es handelt sich um eine Zwischenphase; der Wandler befindet sich zwischen Schlaf und Wachsein, ohne dass der Weckreiz ausgelöst wird.
Eine Verhaltensstörung
Somnambulismus kann, gerade bei Erwachsenen, eine Verhaltensstörung sein. Das bedeutet nicht notwendig, dass die Betroffenen psychisch krank sind. Besonders ältere Schlafwandler, die herum wandeln, während sie Alpträume haben, leiden oft an der REM-Schlaf-Verhaltensstörung, einem Sonderfall insofern, dass hier das Nachtwandeln während der Traumphase stattfindet. Es handelt sich nicht um Schlafwandeln, dass während den Non REM-Schlaf-Phase auftritt.
Bei ihnen zeigt sich in der REM-Phase eine starke Aktivität der Muskeln, während die Muskeln außer der Atemmuskulatur gewöhnlich in der Traumschlafphase gelähmt sind. Die Ursache ist unbekannt, offensichtlich handelt es sich aber um eine Störung des Nervensystems.
Orientierung an Lichtquellen
Unsere Vorfahren bezeichneten Schlafwandler als Mondsüchtige und glaubten, der Vollmond löse ihr Verhalten aus. Wie viele mystische Vorstellungen basierte auch diese auf realen Beobachtungen.
Heute wissen wir, dass sich Betroffene an Lichtquellen orientieren. In der Dunkelheit der vorelektronischen Vergangenheit war das der Mond, doch heute lassen sie sich ebenso von Neonreklamen leiten. Das birgt insofern Gefahren, dass auch die Scheinwerfer von Autos nachts eine solche Lichtquelle darstellen, und Betroffene nicht, wie fälschlich vermutet, einen „Schutzengel“ haben.
Haben Schlafwandler einen Schutzengel?
Wir sprechen von schlafwandlerischer Sicherheit und bezeichnen damit die Fähigkeit, etwas sogar oder gerade unbewusst genau richtig zu tun. Diese Redewendung beruht auf der falschen Vorstellung, dass Schlafwandler einen „untrügerischen Kompass“ hätten, der sie vor Schaden bewahrt.
Der Nachtwandler, der auf dem Dachsims balanciert, aber im Wachzustand herunter stürzen würde, ist als urbaner Mythos verbreitet. Die Realität sieht aber anders aus: Ein Wandler geht zwar umher, doch er kann sich nur sehr schlecht orientieren. Er geht vielmehr in der Regel immer geradeaus. In seiner Wohnung stößt er an Gegenstände, deren Lage er im Wachzustand genau kennt, und wenn er sich auf ein Dach verirrt, ist die Absturzgefahr um ein Vielfaches höher als im Wachzustand.
Die mangelnde Orientierung führt manchmal zu grotesken Handlungen: So öffnete ein erwachsener Schlafwandler die Glastür seiner Stereoanlage und pinkelte auf seine Schallplatten statt auf die Toilette zu gehen. Sehr selten führt die unzureichende Orientierung jedoch auch zu schweren Unfällen.
Hauptbetroffene sind Kinder
Schlafwandeln betrifft vor allem Kinder, und ist bei diesen meist kein Zeichen einer ernsten Störung. Bei circa der Hälfte aller Betroffenen setzt es zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr ein und betrifft zumindest 15 % aller 5-bis 12jährigen. Es hält oft bis in die Pubertät an, endet aber mehrheitlich ab dem 15. Lebensjahr.
Bei Erwachsenen liegen die Schätzungen lediglich bei 2,5 %. Eine Besonderheit ist der Somnambulismus, der erst bei Erwachsenen auftritt. Dieser ist sehr selten und verläuft oft chronisch.
Formen von Somnambulismus
Am häufigsten ist das subklinische Schlafwandeln. Dabei bleiben die Betroffenen meist im Bett, setzen sich auf, nuscheln oder schauen um sich. Die gängigste Form des voll entwickelten Nachtwandels umfasst die beschriebenen Verhaltensweise: Die Betroffenen gehen umher, vollführen Handlungen wie zum Beispiel auf Toilette gehen oder sogar kochen. Hier ist eine Gefahr gegeben, dass die Betroffenen sich selbst verletzen. Sehr selten ist hingegen aggressives Schlafwandeln. Hier werden die Betroffenen gewalttätig, wenn sie auf andere Menschen treffen.
Typische Symptome von Schlafwandeln
Bestimmte Symptome zeigen, ob es sich wirklich um einen Somnambulismus handelt:
- Die Reaktionen im „Wandelzustand“ sind gegenüber dem Wachzustand eingeschränkt.
- Die Betroffenen verhalten sich ungeschickt.
- Sie haben nach dem Aufwachen keine Erinnerung an das nächtliche Treiben, oder aber die Erinnerung ähnelt den Fragmenten eines Traums.
- Das Gesicht entbehrt des Ausdrucks, die Augen richten die Betroffenen starr nach vorne, ohne Gegenstände zu fokussieren.
- Dabei führen sie aber gezielte Handlungen aus.
- Die Betroffenen richten sich zuerst im Bett auf und wiederholen Bewegungen. Entweder sie hören dann auf oder sie gehen umher, öffnen Türen oder Schränke. Sie können dabei sogar essen oder trinken.
- Die Betroffenen sind ansprechbar und beantworten Fragen, ihre Sprache ist jedoch undeutlich.
Traumloses Wandeln
Schlafwandler wandeln außerhalb ihrer Traumphasen. Ihre Augenbewegungen, ihre Muskeln und Hirnströme zeigen Tiefschlaf an. Sie führen komplexe Handlungen über eine kurzen Zeitraum hinweg aus, an die sie sich im Wachzustand nicht erinnern.
Bei Kindern lässt sich dieses traumlose Wandeln meist einfach erklären. Die Verknüpfung von inneren Reizen an den Wachzustand hat das Nervensystem noch nicht entwickelt. Sie haben zum Beispiel eine volle Blase und verspüren den Reiz aufzustehen und sich zu erleichtern, während sie zugleich schlafen.
Forscher erklären Schlafwandel mit einem nicht ausgereiften zentralen Nervensystem. Dafür spricht, dass das Phänomen bei Kindern sehr häufig auftritt, in der Pubertät zurück geht und verschwindet.
Gene und Psyche
Die Wahrscheinlichkeit, im Schlaf zu wandeln, ist zehnmal so hoch, wenn in einer Familie ein Fall von Somnambulismus besteht, und 60 bis 80 % aller erwachsenen Betroffenen haben Verwandte, die ebenfalls im Schlaf umherlaufen. Das spricht für einen genetischen Einfluss. Ebenso sind sehr introvertierte Menschen und/ oder Menschen, die Aggressionen unterdrücken, besonders häufig betroffen, was wiederum psychische Faktoren nahe legt.
Psychosoziale Ursachen von Schlafwandeln
Studien zeigen zudem soziale Trigger für Schlafwandeln. Dazu gehören extreme Diäten, Nahrungs- wie Schlafentzug und chaotische Wach-Schlaf-Rhythmen. So setzen nach Schlafentzug lange Tiefschlafphasen ein, die mit einem nicht abgeschlossenen Weckreflex verbunden sein können. Die Folge: Die Betroffenen werden aktiv, ohne aufgewacht zu sein.
Wer immer zur gleichen Zeit aufsteht und ins Bett geht, macht die Erfahrung, dass er meist unmittelbar bevor der Wecker klingelt in den Wachzustand übergeht. Ist dieser Rhythmus aber gestört, weil wir einmal tagsüber, einmal nachts schlafen, und/oder selten auf durchschnittlich sechs bis acht Stunden durchgehenden Schlaf kommen, fördert das Aufwachstörungen.
Heute gilt Stress als wesentlicher Trigger für Somnambulismus. Vereinfacht ausgedrückt, werden Betroffene zum Beispiel beim Einschlafen so davon geplagt, bestimmte Dinge erledigen zu müssen, dass sie nachts aufstehen und umher laufen.
Die Umwelt
Ein schlafschädliches Umfeld fördert das Nachtwandeln. Nächtlicher Lärm, nächtliche Lichter oder auch ein unbequemer Schlafplatz stören den Ablauf der Schlafphasen, und kann zu Irritationen des Nervensystems führen.
So kann zum Beispiel nächtliches Hämmern des Nachbarn eine Weckreaktion auslösen. Diese nehmen wir aber nur ansatzweise als real war, besonders, wenn sie zu einer ungewohnten Zeit auftritt. Somnambulismus kann eine Folge sein.
Psychische Ursachen von Somnambulismus
Psychische Erkrankungen können der Auslöser sein, besonders Depressionen und Angststörungen.
Nachtwandeln und andere Schlafstörungen
Es handelt sich nicht immer um ein isoliertes Phänomen. Nachtangst und Nachtschreck überschneiden sich häufig mit Schlafwandeln. Bettnässen ist bei Betroffenenn überdurchschnittlich häufig. Hier stellt sich die Frage, ob das Bettnässen wie der Somnambulismus auf ein psychisches Problem hindeuten, oder aber beide ein Indiz für einen unzureichend ausgebildeten Schlaf- und Wachrhythmus im Nervensystem sind.
Schlafwandel bei Kindern: Wann wird es kritisch?
Somnambulismus bei Kindern, der die Betroffenen nicht belastet und weder sie noch andere in Gefahr bringt, ist kein Alarmsignal, sondern ein normales Symptom beim Ausreifen des Zentralen Nervensystems. Eltern sollten in solchen Fällen lediglich auf die Sicherheit ihrer Kinder achten: Schlafwandelnde Kinder sollten zum Beispiel nicht oben auf einem Etagenbett schlafen, die Fenster sollten nachts verriegelt, der Zugang zu Treppen etc. versperrt sein.
Die wandelnden Kinder sollten von den Eltern nicht geweckt, sondern behutsam zum Bett geführt werden.
Kontrollverlust
Schlafwandler sind eine beliebte Figur in Witzen. Die Betroffenen empfinden ihr nächtliches Verhalten aber in der Regel als beängstigend, vor allem, weil sie darüber keine Kontrolle haben.
Vielen ist das nächtliche Umherwandeln so unangenehm, dass sie es verschweigen und damit Hilfe verhindern.
Therapie bei Somnambulismus
Schlafwandeln Erwachsene, oder leiden die betroffenen Kinder an ihrem nächtlichen Herumwandern, helfen verschiedene Behandlungen.
Die erste und wichtigste Selbsthilfe ist eine ausreichende Schlafhygiene. Dazu gehört ein regelmäßiger Schlaf- und Wachrhythmus im gleichen Umfeld. Achten Sie darauf, das Zimmer abzudunkeln und verhindern Sie Lärmquellen. Damit lassen sich Schlafstörungen als Folge eines schlechten Umfelds vermeiden, und so werden auch die Tiefschlafphasen kürzer.
Liegen psychische Störungen zugrunde, empfiehlt sich eine Psychotherapie. Besonders gilt das für Erwachsene, die an einer Angst– oder Persönlichkeitsstörung leiden.
Entspannungstechniken bauen Stress ab und reduzieren damit einen möglichen Trigger für das somnambule Verhalten. Diese reichen von Yoga über autogenes Training bis hin zu einem Waldspaziergang vor dem Einschlafen.
Verhaltenstherapien dienen dazu, durch assoziatives Lernen den Aufwachmodus zu normalisieren. Zum Beispiel kann der Schlafwandler vollständig aufgeweckt werden, wenn er sich im „Wandelmodus“ befindet. Aber Vorsicht: Es handelt sich hier um eine Behandlung unter professioneller Begleitung eines Therapeuten – nicht um einen Selbstversuch von Angehörigen.
Das abrupte Aufwachen kann die Betroffenen verwirren, ihnen die Hilflosigkeit in der Situation bewusst machen und so starke Ängste auslösen. Verläuft das assoziative Lernen erfolgreich, speichert das Gehirn eine angepasste Wachsituation, und der Somnambulismus endet.
Behandlungen mit Medikamenten sollten Betroffene mit einem auf Schlafstörungen spezialisierten Arzt absprechen.
Achtung: Verwechslungsgefahr
Nicht jeder, der in einem Dämmerzustand aufsteht und umher geht, ist im diagnostischen Sinn ein Schlafwandler. Folgende Ursachen können dieses Verhalten ebenfalls bedingen:
1) Alkohol- und Substanzmissbrauch: Hier können die Auswirkungen der Droge dazu führen, dass die Betroffenen „aus dem Schlaf“ aufstehen und Dinge tun. Der substanzbedingte Dämmerzustand entspricht aber nicht der für den Somnambulismus typischen Störung zwischen Schlaf- und Aufwachphase. Indessen kann Alkohol- und Substanzmissbrauch das Wandeln im Schlaf fördern.
2) Demenz. Auch Demente stehen nachts bisweilen auf und wandeln in der Gegend herum, ohne zu wissen, was sie tun. Sie befinden sich dann aber nicht in einem Schlafmodus.
3) Starker Stress. Wer unter starkem Stress leidet, steht bisweilen „neben sich“ und vollzieht ebenfalls Handlungen, an die er sich nur bruchstückhaft erinnern kann. Das sind aber ebenfalls keine Schlafhandlungen. Wie bei Substanzmissbrauch gilt jedoch: Stress ist zugleich ein Trigger für Schlafwandeln.
4) Epilepsie. Epileptischen Anfällen gehen mit unkontrollierten Bewegungen einher, die oft in der Nacht auftreten. Es handelt sich aber nicht um Somnambulismus.
5) Schlaftrunkenheit. Schlaftrunkene brauchen ungewöhnlich lange, um vom Schlaf zum Wachzustand zu kommen. Typisch für dieses Phänomen ist jedoch, dass sie besonders am frühen Morgen auftritt, und die Betroffenen sich häufig aggressiv verhalten. Sie sind „noch nicht ganz bei Sache“. Auch für den äußeren Betrachter wirken Betroffene wie jemand, der aufwacht, aber das Schlafen noch nicht verlassen hat; ein Schlafwandler jedoch schläft offensichtlich.
6) Dissoziationen. Bei den „Fugue“-Zuständen handelt es sich um Wachzustände, in denen die Betroffenen „neben sich stehen“. Auch andere dissoziative Zustände, in denen die Patienten Handlungen begehen, an die sie sich im Nachhinein kaum erinnern, sind kein Schlafwandeln. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): Schlafwandeln - Wie kann ich damit umgehen? (Abruf: 31.07.2019), dgsm.de
- Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Schlafwandeln – Mythen versus Fakten (Abruf: 31.07.2019), gesundheit.gv.at
- Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz: Ursachen von Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen (Abruf: 31.07.2019), neurologen-und-psychiater-im-netz.org
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Von Albträumen, Nachtschreck und Schlafwandlern (Abruf: 31.07.2019), kindergesundheit-info.de
- Cleveland Clinic: Sleepwalking (Abruf: 31.07.2019), my.clevelandclinic.org
- National Sleep Foundation: Sleepwalking (Abruf: 31.07.2019), sleepfoundation.org
- U.S. National Library of Medicine: Sleepwalking (Abruf: 31.07.2019), medlineplus.gov
- Staedt, Jürgen / Riemann, Dieter: Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen, Kohlhammer W., GmbH, 2006
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.