Verdrehter Hoden
Als Hodentorsion wird eine Stildrehung von Hoden und Samenstrang um die Längsachse bezeichnet. Umgangssprachlich spricht man davon, dass sich der Hoden verdreht hat. Säuglinge, Kinder und Jugendliche sind am häufigsten von der plötzlich einsetzenden und mitunter dramatisch verlaufenden Symptomatik betroffen, die einen Verlust eines oder beider Hoden bedeuten kann. Treten akut heftige Schmerzen am Hoden und in angrenzenden Bereichen auf, ist ein sofortiges Handeln erforderlich. Im Fall dieses urologischen Notfalls sollte innerhalb von wenigen Stunden ein operativer Eingriff erfolgen.
Hinweis: Die neonatalen Hodentorsionen haben eine Sonderstellung (insbesondere im Bezug zur Symptomatik, Diagnose und Behandlung) und werden im folgenden Artikel nicht berücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Bei einer Hodentorsion liegt eine akute Verdrehung von Hoden (Testis oder Testiculus) und Samenstrang (Funiculus spermaticus) um die Längsachse vor. Die Folge ist eine Minderdurchblutung oder komplette Unterbrechung der Durchblutung innerhalb des Hodensacks (Skrotum). In den meisten Fällen zeigen sich sehr zeitnah ein akutes Skrotum (heftige Schmerzen, Hodenschwellung und Rötung des Hodens) und weitere Symptome.
Da normalerweise schon innerhalb weniger Stunden (im Durchschnitt sechs bis acht Stunden) nach der Verdrehung ein Gewebsuntergang (Nekrose) des Hodens droht, handelt es sich hierbei um einen urologischen Notfall. Um einen Organverlust zu verhindern, ist eine sofortige Behandlung unabdingbar.
Eine Hodentorsion kann ein- oder beidseitig und prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten. Am häufigsten sind aber Jungen im Alter von zwölf bis achtzehn Jahren betroffen. Außerdem zeigt sich ein erhöhtes Vorkommen im ersten Lebensjahr, vor allem bei Neugeborenen.
Symptome
Typischerweise treten plötzlich sehr starke Hodenschmerzen auf, ein erstes Anzeichen für ein akutes Skrotum. Die Schmerzen können in den Unterbauch und die Leistenregion ausstrahlen. Der Hoden und andere Bereiche reagieren dabei sehr empfindlich auf Druck und Bewegung. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine Schwellung und Rötung beziehungsweise dunkelrote Verfärbung.
Je nach Schweregrad können begleitend Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, Schweißausbrüche und Herzrasen (Tachykardie) auftreten. Im Extremfall kommt es zu einem Kreislaufschock.
In einigen Fällen können die typischen Schmerzen im Bereich der Hoden auch ausbleiben und die Schmerzen äußern sich nur in anderen Bereichen. Dies ist ein Grund für die recht häufigen und folgenschweren Komplikationen. Wird eine Torsion mit Unterbrechung der Blutzufuhr nicht schnell genug behandelt, kann es zu Unfruchtbarkeit und zu einem Absterben des betroffenen Hodens kommen. Der Hoden muss dann unter Umständen entfernt werden.
Ausmaß und Dauer entscheiden grundlegend über den Schweregrad der Folgen, wobei sich eine inkomplette Verdrehung, bei der nur der venöse Blutfluss beeinträchtigt ist und sich ein Skrotalödem bildet, vom Verlauf einer vollständigen Unterbrechung der Durchblutung (komplette Torsion) unterscheidet. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen treten wiederholt inkomplette Hodentorsionen auf mit vorübergehenden Symptomen, bevor es zu einer vollständigen Verdrehung kommt. Eine vollständige Verdrehung führt direkt zu einem ischämischen Hodeninfarkt.
Ursachen
Als Ursache für Hodentorsionen wird eine abnormale innere Beweglichkeit des Hodens und seiner Aufhängung angenommen – aufgrund verschiedener anatomischer Anomalien, wie beispielsweise einer nach oben verlagerten Fixierung der Tunica vaginalis (Scheidenhaut des Hodens). Eine weitere bekannte Abweichung ist die sogenannte Bell-Clapper-Anomalie mit einer einhergehenden Querposition des Hodens, da die reguläre Verankerung zwischen Keimdrüsenband (Gubernaculum testis), Hoden und Nebenhoden fehlt.
In medizinischen Fachkreisen werden je nach Lokalisation der Verdrehung verschiedene Formen unterschieden. Die häufigste Form ist die intravaginale Torsion, von der typischerweise Jungen mit Hodenhochstand (retinierte Hoden) nach dem zehnten Lebensjahr betroffen sind. Bei Neugeborenen treten fast ausschließlich extravaginale Torsionen auf. Auch in der Präpubertät tritt diese Form gehäuft auf. Eine entwicklungsbedingte mesorchiale Torsion zwischen Hoden und Nebenhoden ist sehr selten.
Bei Hodenhochstand und einer verspäteten Verlagerung in den Hodensack (verspätet deszendierte Hoden) besteht prinzipiell ein erhöhtes Risiko für eine Verdrehung. Ebenso besteht eine erhöhte Gefahr bei Pendelhoden im Kindesalter. Hierbei befindet sich der Hoden in der Regel an der richtigen Position, zieht sich aber unter bestimmten Reizzuständen temporär in den Leistenkanal zurück.
In seltenen Fällen können Traumata, etwa durch unglückliche Bewegungen beim Sport oder Spielen, zu einer Verdrehung des Hodens führen.
Diagnose
Da die heftigen Schmerzen in der Regel plötzlich auftreten, können sich die meisten Betroffenen genau an den Zeitpunkt des ersten Auftretens der Symptomatik erinnern. Dies gibt bereits einen wichtigen Hinweis bei der Patientenbefragung, insofern diese möglich ist. In der klinischen Untersuchung, im Idealfall mit urologischer Fachexpertise, zeigen sich zumeist starke Druckschmerzen beim Abtasten der betroffenen Körperregionen.
Verstärkt sich beim Anheben des Hodens der Schmerz oder bleibt er unverändert (negatives Prehn-Zeichen) und lässt sich der sogenannte Kremasterreflex (reizinduzierte Anhebung des Hodens) nicht auslösen, sind dies weitere Anhaltspunkte bei der Diagnosestellung.
Eine gesicherte Diagnose ist aber nur durch Kombination weiterer Untersuchungsmethoden möglich. Dazu zählen in erster Linie Ultraschalluntersuchungen des Hodens, bei denen Strukturveränderungen möglicherweise sichtbar gemacht werden können. Spezielle Ultraschallverfahren, wie die Farb-Doppler- oder Duplex-Sonographie, ermöglichen eine Beurteilung der Durchblutung. Nicht in jedem Fall können aber die Befunde klare Aussagen liefern.
Die Diagnosestellung ist besonders schwierig bei Neugeborenen und Kleinkindern und bei dem Vorliegen eines Hodenhochstands beziehungsweise von Bauchhoden. Ist die Torsion nach den erfolgten Untersuchungen nicht sicher auszuschließen, muss schnellstmöglich ein operativer Eingriff mit Hodenfreilegung erfolgen.
Häufige Differenzialdiagnosen, die bei der Untersuchung berücksichtigt werden müssen sind unter anderem eine Torsion von Anhangsgebilden der Hoden und Nebenhoden (Hydatidentorsion), eine Nebenhodenentzündung (Epididymitis) und Hodentumore.
Behandlung
Da eine unverzügliche Behandlung von großer Bedeutung für den potentiellen Grad der Organschädigung ist, kann unter bestimmten Voraussetzungen zur Überbrückung ein fachärztliches Zurückdrehen (manuelle Detorsion) unternommen werden. Ist diese Maßnahme erfolgreich, sollte sich eine sofortige Symptomfreiheit einstellen. Aber längst nicht alle Handgriffe und gewählten Drehrichtungen führen zum Erfolg. In jedem Fall muss innerhalb von 24 Stunden eine Hodenfreilegung stattfinden, bei der zumeist auch eine Fixierung des Hodens (Orchidopexie) vorgenommen wird.
Die allgemeine Empfehlung ist eine offene chirurgische Detorsion möglichst innerhalb der ersten sechs Stunden. Während des Eingriffs wird beobachtet, ob sich das Gewebe wieder erholt. Ist der Eingriff erfolgreich wird in aller Regel eine Hodenfixierung vorgenommen. Auch wird bei einer einseitigen Torsion häufig gleichzeitig der zweite gesunde Hoden fixiert, um einer weiteren Verdrehung vorzubeugen. Wichtig zu beachten ist, dass eine Fixierung das Risiko von wiederholt auftretenden Torsionen zwar verringert, aber nicht ausschließt.
Eine operative Hodenfreilegung wird bereits bei dem Verdacht auf eine Hodentorsion empfohlen beziehungsweise bei sicheren Hinweisen auf sich wiederholende unvollständige Verdrehungen (intermittierende Torsionen). Ist letzteres der Fall sollte auch im nicht akuten Zustand eine Fixierung stattfinden.
Ist hingegen bei der Operation eine Nekrose nicht abzuwenden und gilt die Diagnose als gesichert, muss der Hoden entfernt werden (Ablatio testis). Prinzipiell kann dann eine Hodenprothese eingesetzt werden.
Naturheilkundliche und alternative Behandlung
Da es sich bei einer Hodentorsion um ein schwerwiegendes Ereignis und um einen Notfall handelt, muss immer umgehend eine not- beziehungsweise fachärztliche Versorgung gewährleistet werden. Nur so kann ein potentieller und schnell eintretender Verlust eines oder beider Hoden verhindert werden.
Nach der konventionellen Behandlung können Homöopathie und verschiedene Naturheilverfahren, wie etwa die Bachblütentherapie, die Selbstheilung weiter unterstützen. (jvs, cs)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 267., neu bearbeitete Auflage, De Gruyter, 2017
- Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) und Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU): S2k-Leitlinie: Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter. Stand August 2015. AWMF-Registernr. 006/023, awmf.org
- Günther, Patrick und Rübben, Iris: Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter, in: Deutsches Ärzteblatt International, Jahrgang 109/2012, Heft 25, S. 449-458, aerzteblatt.de
- Eissler, Manfred et al.: Aus Fehlern lernen: Hodentorsion, in: Ärzteblatt Baden-Württemberg, Ausgabe 08/2009, S. 330-331, aerztekammer-bw.de
- AMBOSS Nachschlage- und Wissenswerk für Ärzte: Hodentorsion (Abruf: 03.07.2019), amboss.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.