Harmloses Spielen oder Sucht? Psychologischer Test zur „Gaming Disorder“ entwickelt
Computerspiele sind vor allem bei Kindern und Jugendlichen äußerst beliebt. Doch auch viele Erwachsene können oft gar nicht aufhören mit dem „Daddeln“. Manche Menschen werden süchtig danach. Doch wie erkennt man eine Computerspielsucht? Helfen könnte hier künftig ein neuer Test zur „Gaming Disorder“, den Forscher nun entwickelt haben.
Computerspielsucht als psychische Erkrankung anerkannt
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat vor wenigen Tagen neben zwanghaftem Sexualverhalten und Burnout auch exzessives Computerspielen offiziell als Krankheit anerkannt. Die Aufnahme der sogenannten „Gaming Disorder“ in den Krankheitskatalog der WHO und die damit einhergehende Definition bieten neue Möglichkeiten, gesundheitliche und psychosoziale Auswirkungen des exzessiven Computerspielens zu erforschen. Forschende um Professor Christian Montag von der Universität Ulm haben nun den weltweit ersten psychologischen Test zur Untersuchung der Computerspielsucht entwickelt.
Auswirkungen von Computerspielen
Videospiele sind vor allem bei Jüngeren äußerst beliebt. Viele Eltern machen sich jedoch Sorgen, dass das viele Spielen den Kindern schadet.
Doch solche Spiele sind oft besser als ihr Ruf. So haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass manche Computerspieler deutlich besser lernen können und dass Videospiele mitunter gut für die Gehirn-Entwicklung sind.
Zudem berichteten Forscher aus Kanada, dass bestimmte Videospiele vor Demenz schützen könnten.
Allerdings zeigten sich in Studien auch die negativen Seiten des „Daddelns“. So stellten kanadische Wissenschaftler fest, dass manche Videospiele wertvolle Gehirn-Masse im Hippocampus-Areal vernichten können.
Zudem können solche Spiele abhängig machen.
Schwere Beeinträchtigungen des Familienlebens
Wie in einer Mitteilung der Universität Ulm erklärt wird, könnten Personen, die ihr Gaming-Verhalten nicht mehr kontrollieren können, dem Computerspiel Priorität gegenüber anderen Aktivitäten einräumen und an diesem Verhalten trotz negativer Konsequenzen nichts ändern, laut der neuen WHO-Definition unter Computerspielsucht leiden.
Schon vor einigen Monaten hat die Weltgesundheitsorganisation die sogenannte Gaming Disorder in die 11. Auflage ihres Krankheitskatalogs „International Classification of Diseases“ (ICD-11) aufgenommen – nun wurde der Katalog auch offiziell erweitert.
Der WHO zufolge kann aber erst von Computerspielsucht ausgegangen werden, wenn Betroffene dieses Verhaltensmuster über mindestens zwölf Monate zeigen und es zu schweren Beeinträchtigungen des Familienlebens, der Ausbildung oder etwa der Arbeitsleistung kommt.
Erstes psychometrisches Instrument nach neuen WHO Kriterien
Bereits 2013 wurde das verwandte Störungsbild „Internet Gaming Disorder“ zumindest als Arbeitsbegriff in den Anhang des Diagnoseverzeichnisses („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ – DSM-5) der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft aufgenommen.
Aufgrund abweichender diagnostischer Kriterien lassen sich Ergebnisse von bisherigen psychologischen Tests zur „Internet Gaming Disorder“ aber nur bedingt auf die Computerspielsucht nach WHO-Kriterien übertragen.
Daher haben Forschende aus Ulm, Köln, London sowie von chinesischen Universitäten und aus Australien das wohl weltweit erste psychometrische Instrument zur Untersuchung der „Gaming Disorder“ nach den neuen WHO Kriterien entwickelt.
Ihre Ergebnisse wurden im Fachmagazin „International Journal of Mental Health and Addiction“ veröffentlicht.
Der „Gaming Disorder Test“ ist über die Online-Plattform „www.gaming-disorder.org“ nun auch in deutscher Sprache öffentlich zugänglich.
Test anhand einer Stichprobe überprüft
Den Angaben zufolge orientiert sich der nun vorgestellte Online-Fragebogen an den Kriterien der WHO und erfasst Gaming-Aktivitäten der vergangenen zwölf Monate bis zum Tag der Erhebung auf einer Skala von eins bis fünf (1 steht für die Selbsteinschätzung „nie“ und 5 bedeutet „sehr oft“).
Ziel dieses psychometrischen Instruments ist weniger die Diagnose als die Erforschung von Auswirkungen des exzessiven Spielens. Teilnehmende erfahren lediglich, ob ihre Ergebnisse im Vergleich mit allen Probanden eine Tendenz zur „Gaming Disorder” aufweisen.
Die Forschenden haben ihren neuen Test anhand einer Stichprobe aus mehr als 550 jungen Chinesen und Briten bereits überprüft.
„Exzessives Videospielen ist schon heute ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko in asiatischen Ländern und ein aufkommendes Problem in Europa“, so Christian Montag, Heisenberg-Professor sowie Leiter der Abteilung für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm.
„Um große, internationale Studien durchführen zu können, haben wir das neue Instrument kulturübergreifend konzipiert und in China sowie Großbritannien getestet“, erläutert der Experte.
Forschende ziehen eine positive Bilanz
Der Mitteilung zufolge umfasste die Stichprobe 236 junge Chinesinnen und Chinesen, die an einer Universität in Beijing studierten, sowie 324 britische Studierende aus dem Großraum London und aus den East Midlands. Das Durchschnittsalter betrug 23 Jahre.
Ausschlusskriterium für die Teilnahme an der Online-Befragung war die Angabe, in den letzten zwölf Monaten kein Videospiel gespielt zu haben.
Nach Abschluss der Erhebung haben die Wissenschaftler mit komplexen statistischen Verfahren überprüft, ob sich das Instrument zur Messung der Computerspielsucht eignet („Validität“) und ob es das Konstrukt zuverlässig misst („Reliabilität“).
Außerdem konnten sie erste Rückschlüsse auf das Gaming-Verhalten der untersuchten chinesischen und britischen Studierenden ziehen. Das Vorkommen der Computerspielsucht nach WHO-Kriterien unterschied sich zwischen beiden nationalen Gruppen nicht signifikant.
Im Mittel gaben die Studierenden an, zwölf Stunden in der Woche zu spielen. Dabei verbringen sie fast die Hälfte dieser Zeit (46 %) am Wochenende alleine vor dem Computer oder sonstigen mobilen Endgeräten.
Insgesamt 36 Teilnehmende (6,4 Prozent) berichteten von großen Problemen im Alltag aufgrund ihres Spielverhaltens und könnten somit die Diagnosekriterien der WHO erfüllen. Nach diesem Testlauf ziehen die Forschenden eine positive Bilanz:
„Der Gaming Disorder Test scheint geeignet, um die Häufigkeit und, in Kombination mit anderen Fragebögen, auch Effekte der Computerspielsucht in großen, kulturübergreifenden Gruppen nach den vorgeschlagenen WHO-Kriterien festzustellen“, so Montag.
Der neue Fragebogen müsse künftig noch an Patientenstichproben validiert werden.
Untersuchung zur Computerspielsucht geplant
Die Forschergruppe plant aktuell die bislang größte Untersuchung zur Computerspielsucht mit möglichst Tausenden von Teilnehmern: Für alle Interessierten steht der Gaming Disorder Test online zur Verfügung.
Die Forschenden hoffen, zu verstehen, an welchem Punkt Computerspielen zum (gesundheitlichen) Problem wird, und welche Faktoren zum Entstehen der „Gaming Disorder“ beitragen – untersucht werden beispielsweise soziodemographische Merkmale, die individuelle Persönlichkeit und Motivation der Gamer.
An der Studie beteiligt waren Forschende der Medizinischen Fakultät der University of Tasmania(Australien), der Birkbeck University in London, der chinesischen Beijing University sowie der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu.
Aus Deutschland wirkten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Ulm und Köln maßgeblich mit.
Zum Begriff „Gaming Disorder“
Wie in der Mitteilung der Uni Ulm abschließend erklärt wird, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das neue Krankheitsbild als „Gaming Disorder“ in ihren Katalog „International Classification of Diseases“ aufgenommen.
Es gibt bisher keine einheitliche deutsche Übersetzung: Häufig werden die im Deutschen anschaulichen Begriffe „Computerspielsucht“ oder „Videospielsucht“ verwendet.
Dazu ist jedoch anzumerken, dass die WHO von der Bezeichnung „Sucht“ absieht.
Vielmehr beschreibt der im Englischen verwendete Begriff „Gaming Disorder“ eine Störung, die durch exzessives Computerspielen gekennzeichnet ist. Es bleibt abzuwarten, welcher Begriff sich im Deutschen durchsetzen wird. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.