Potenzieller Wirkstoff gegen Fettleibigkeit und Fettleber entdeckt
Ein Wirkstoff, den man als „Verwandten“ von Viagra bezeichnen kann, soll laut aktueller Studie Zellen zur Fettverbrennung anregen und dazu beitragen, dass schädliches Leberfett abgebaut wird – und alles ohne Veränderungen der Nahrungsaufnahme oder der täglichen Aktivität.
Forschende der Johns Hopkins University School of Medicine (USA) zeigten, dass sogenannte PDE9-Hemmer das Gesamtkörperfett sowie das Leberfett von übergewichtigen Mäusen reduzierten, ohne dass bei den Tieren eine Ernährungs- oder Lebensstilveränderung auftrat. Kontrollmäuse, die ein Placebo erhielten, nahmen unter den gleichen Bedingungen im Laufe der Studie zu. Die Ergebnisse wurden kürzlich im „Journal of Clinical Investigation“ vorgestellt.
PDE9-Hemmer waren zu einem anderen Zweck vorgesehen
Laut der Arbeitsgruppe wurden die PDE9-Hemmer ursprünglich zur Behandlung von Alzheimer, Schizophrenie und Sichelzellenanämie entwickelt. Bei Tests an Mäusen zeigte sich jedoch, dass der Wirkstoff die Fettverbrennung ankurbelte und die Herzfunktion der Tiere verbesserte.
Dieses Phänomen untersuchten die Forschenden im Rahmen der aktuellen Studie nun ausführlicher. Sie fanden heraus, dass ein chemischer Hemmstoff des Enzyms PDE9 Zellen dazu anregt, mehr Fett zu verbrennen.
Die erste Pille zur Behandlung von Adipositas?
„Derzeit gibt es keine Pille, die nachweislich zur Behandlung von Adipositas wirksam ist, obwohl die Fettleibigkeit ein globales Gesundheitsproblem darstellt, welches das Risiko für viele andere Grunderkrankungen erhöht“, betont Studienleiter und Kardiologie-Professor Dr. David Kass. Das Spannende an den Ergebnissen sei zudem, dass es sich um ein orales Medikament handelt, welches nicht nur die Fettverbrennung anregt, sondern auch gefährliche Fettablagerungen in und um Organe wie Leber und Herz reduziert. „Das ist neu“, unterstreicht Professor Dr. Kass.
Wie kommt es zu dem fettverbrennenden Effekt?
Im Jahr 2015 wurde erstmals entdeckt, dass das Enzym PDE9 im Herzen vorkommt und zu Herzerkrankungen beiträgt, die durch hohen Blutdruck ausgelöst werden. Die Blockierung von PDE9 erhöht den Forschenden zufolge die Menge eines kleinen Moleküls, das als „zyklisches GMP“ bezeichnet wird. Dieses Molekül ist wiederum an zahlreichen Aspekten der Zellfunktion im gesamten Körper beteiligt.
Der „enzymatische Cousin“ von Viagra
Medikamente wie Viagra, welches ursprünglich als Herz-Medikament entwickelt wurde, zielen auf ein Protein namens PDE5 ab – dieses Enzym beeinflusst ebenfalls das zyklische GMP. PDE9 ist somit ein „enzymatischer Cousin“ von PDE5, erklärt die Arbeitsgruppe. Da es sich um einen experimentellen Wirkstoff handelt, ist er derzeit noch in keinem Medikamenten enthalten.
Potenzielle Einsatzgebiete
Aufgrund der bislang vorliegenden Ergebnisse vermuten die Forschenden, dass der Wirkstoff nicht nur bei Adipositas, sondern auch gegen Bluthochdruck, Fettleber, hohen Blutzucker, hohe Cholesterinwerte sowie bei zu hohen Triglyceriden eingesetzt werden könnte. PDE9-Hemmer könnten das Risiko für Herzkrankheiten, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes, Krebs und schwere COVID-19-Verläufe bei übergewichtigen Personen senken, so die Annahme der Forschungsgruppe.
PDE9-Hemmer wurden bereits an Menschen getestet
Das Pharmaunternehmen Pfizer testete PDE9-Hemmer bereits an Menschen, allerdings unter der Annahme, sie könnten gegen Alzheimer wirken. Die Forschung in dieser Richtung wurde aufgrund mangelndem Erfolg eingestellt. Der Wirkstoff zeigte bei den rund 100 Teilnehmenden jedoch eine gute Verträglichkeit und es sind keine schwerwiegenden Nebenwirkungen aufgetreten. Ein weiterer PDE9-Hemmer wird derzeit an Menschen mit Herzinsuffizienz getestet.
Ablauf der aktuellen Studie
Die Forschenden der John Hopkins University haben die Auswirkungen eines PDE9-Hemmers nun bei übergewichtigen Mäusen getestet. Alle Tiere wiesen ein zu hohes Körpergewicht und hohe Blutfettwerte auf. Einige Tiere litten an Diabetes. Die Tiere wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt PDE9-Hemmer über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen, die andere ein Placebo. Alle Tiere bekamen die gleiche Ernährung und die selben Möglichkeiten zur Bewegung.
Ergebnisse der Studie
Nach dem Zeitraum zeigte sich zwischen den beiden Gruppen ein signifikanter Unterschied beim Körpergewicht. Die weiblichen Tiere (ohne Eierstock), die PDE9-Hemmer erhielten, wogen bis zu 27,5 Prozent weniger als die weiblichen Tiere der Kontrollgruppe. Die männlichen Tieren, die PDE9-Hemmer erhielten, wogen durchschnittlich 19,5 Prozent weniger als die Mäuse der männlichen Placebo-Gruppe.
Die Aufnahme von PDE9-Hemmern war zudem mit einer Senkung des Cholesterinspiegels und von Triglyceriden im Blut verbunden. Das Fett in der Leber reduzierte sich auf das Niveau von normalgewichtigen Mäusen. Auch die Herzfunktion verbesserte sich unter dem Einfluss des Wirkstoffs.
Fettstoffwechsel wird angeregt
Im Rahmen der Studie fanden die Forschenden auch heraus, wie es zu dieser Wirkung kommt. Die PDE9-Hemmung führe zu einer Aktivierung von PPARa – ein Protein, das zu den Hauptreglern des Fettstoffwechsels gehört. Durch die Stimulierung von PPARa werde die Aktivierung von Genen erhöht, die die Fettaufnahme in den Zellen sowie die Verwendung von Fett als Brennstoff steuern.
Östrogen übernimmt bei Frauen die Rolle von PPARa
Es zeigte sich zudem, dass bei den weiblichen Tieren das Hormon Östrogen die Rolle von PPARa übernimmt. Das könnte erklären, warum Frauen nach der Menopause ein größeres Risiko für Gewichtsveränderungen haben. „Die Feststellung, dass das experimentelle Medikament bei weiblichen Mäusen mit Eierstöcken nicht wirkte, zeigt, dass diese Sexualhormone, insbesondere Östrogen, bereits das erreicht haben, was die Hemmung von PDE9 zur Anregung der Fettverbrennung bewirkt“, resumiert Sumita Mishra aus dem Studienteam.
„In den Wechseljahren sinkt der Spiegel der Sexualhormone, und die Kontrolle über den Fettstoffwechsel verlagert sich dann auf das von PDE9 regulierte Protein, so dass die medikamentöse Behandlung dann wirksam ist“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Studie an Menschen in den Startlöchern
Wie Studienleiter Kass schätzt, könnte eine übergewichtige Person, die rund 110 Kilogramm wiegt, allein durch die Einnahme von PDE9-Hemmern zwischen 20 und 25 Kilogramm abnehmen, ohne dabei die Ess- oder Bewegungsgewohnheiten zu ändern – falls sich die Ergebnisse von den Mäusen bei Menschen bestätigen. Die Abnehm-Erfolge könnten durch geeignete Ernährungsmaßnahmen und Sport noch weiter gesteigert werden, gibt Kass zu bedenken. Im nächsten Schritt will das Team den Wirkstoff nun an Männern sowie an Frauen in der Menopause testen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Johns Hopkins University School of Medicine: A Cousin of Viagra Reduces Obesity by Stimulating Cells to Burn Fat, Study Shows (veröffentlicht: 07.10.2021), hopkinsmedicine.org
- Sumita Mishra, Nandhini Sadagopan, Brittany Dunkerly-Eyring, et al.: Inhibition of phosphodiesterase type 9 reduces obesity and cardiometabolic syndrome in mice; in: Journal of Clinical Investigation, Journal of Clinical Investigation
Wichtiger Hinweis:
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