Braune Fettzellen: Neue Ansätze zur Behandlung von Übergewicht
Übergewicht und Adipositas sind ein weltweit zunehmendes Problem in der öffentlichen Gesundheit, welches durch die Corona-Pandemie noch verschärft wird. Schon lange forschen Arbeitsgruppen weltweit an effektiveren Maßnahmen zur Gewichtsreduktion, denn in Eigenregie bekommen viele Betroffene ihr Gewichtsproblem nicht in den Griff. Neue Erkenntnisse über energieverbrennende braune Fettzellen eröffnen nun völlig neue Ansätze zur Behandlung von starkem Übergewicht.
Forschende des Joslin Diabetes Center in Boston (USA) haben eine neue Quelle zur Bildung von braunen Fettzellen entschlüsselt. Braunes Fett verbrennt im Gegensatz zu weißen Fettzellen Energie, statt diese zu speichern. Die Forschungsergebnisse, die kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature Metabolism“ vorgestellt wurden, könnten die Grundlage für neuartige Behandlungen gegen Übergewicht bilden.
Weißes und braunes Fett – wo ist der Unterschied?
Der Mensch besitzt grundsätzlich zwei Arten von Fettgewebe: weiße und braune Fettzellen. Während weißes Fett als Energiespeicher dient, verbrennen braune Fettzellen aktiv Kalorien, um Wärme zu erzeugen und so die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Braunes Fett ist also eine Art körpereigenes Heizsystem.
„Die Fähigkeit der braunen Fettzellen, Kalorien zu verbrennen und Wärme zu produzieren, vor allem bei kalten Temperaturen, haben sie schon lange zu einem attraktiven Ziel für die Behandlung von Fettleibigkeit und anderen Stoffwechselstörungen gemacht“, erläutert der Senior-Autor der Studie Yu-Hua Tseng. Unklar war bislang jedoch, wie die braunen Fettzellen entstehen und wie man die Vermehrung im Körper begünstigen kann.
Wie braune Fettzellen entstehen
Schon länger sind kalte Temperaturen als Aktivator für die braunen Fettzellen bekannt. Die Forschenden des Joslin Diabetes Center fanden nun heraus, warum das so ist. Laut der neuen Studie liegt der Schlüssel zur Bildung von braunen Fettzellen in der Expression eines Rezeptors namens Trpv1 – ein Protein, von dem bekannt ist, dass es noxische Reize, einschließlich Schmerz und Temperatur, wahrnimmt.
Wie das Team berichtet, sind es hauptsächlich glatte Muskelzellen, die den Trpv1-Rezeptor bilden und somit die Entstehung von braunen Fettzellen (Adipozyten) begünstigen. In früheren Studien wurde ausschließlich ein Rezeptor namens Pdgfrα mit der Entstehung des braunen Fetts in Verbindung gebracht.
Ablauf der Studie
Das Team untersuchte zunächst im Mausmodell den allgemeinen zellulären Aufbau des braunen Fettgewebes. Verschiedene Gruppen von Mäusen wurden untersucht, die jeweils über einen längeren Zeitraum hinweg in unterschiedlichen Temperaturverhältnissen lebten. Mithilfe moderner Einzelzell-RNA-Sequenzierungsansätzen identifizierten die Forschenden alle Zelltypen, die an der Entstehung von braunen Fettzellen beteiligt sind. Dieser Ansatz ermöglichte laut der Arbeitsgruppe eine unvoreingenommene Analyse – ein Vorteil gegenüber früheren Studien, in denen der Fokus auf bestimmte Zelltypen gelegt wurde.
„Die Einzelzellsequenzierung in Verbindung mit fortschrittlichen Datenanalysetechniken hat es uns ermöglicht, Vorhersagen über die Entwicklung von braunem Fett zu treffen“, unterstreicht Studien-Co-Autor Matthew D. Lynes. Mit der Validierung dieser Vorhersagen hoffen die Forschenden, neue Ziele für die Stoffwechselforschung zu erschließen.
Kälte führte zu mehr braunen Fettzellen
Der identifizierte Trpv1-Rezeptor ist an der Schmerz- und Wärmeempfindung beteiligt. Die Untersuchungen an den Mäusen bestätigten, dass der Rezeptor an glatten Muskelzellen hervorgebracht wird, insbesondere, wenn die Mäuse kalten Temperaturen ausgesetzt waren.
Braune Fettzellen zur Adipositas-Therapie nutzbar machen
„Diese Ergebnisse erweitern das Repertoire der zellulären Quellen, die gezielt zur Verbesserung der Funktion des braunen Fettgewebes und zur Förderung der metabolischen Gesundheit eingesetzt werden können“, resümiert der Studien-Erstautor Farnaz Shamsi. Der allgemein erhöhte Energieverbrauch durch die braunen Fettzellen könne ein möglicher Ansatz zur Behandlung von Fettleibigkeit sein.
Beispielsweise könnten sich braune Fettzellen vermehren lassen, „indem Medikamente entwickelt werden, die die Effekte von Kälteexposition auf zellulärer Ebene rekapitulieren“, so Tseng. Dies sollte sich in einem erhöhten Gesamtenergieverbrauch niederschlagen – und letztendlich, so hoffen die Forschenden, in einer Gewichtsreduktion.
Aktiviert Schärfe braune Fettzellen?
Die Autoren der Studie weisen zudem darauf hin, dass der Trpv1-Rezeptor auch auf Capsaicin (die scharfe Komponente in Chilischoten) anspricht. Bereits frühere Studien deuteten an, dass bei scharfem Essen der Energieverbrauch erhöht sein könnte.
„Weitere Studien sind nun geplant, um die Rolle des Trpv1-Kanals und seiner Liganden zu untersuchen und um herauszufinden, ob es möglich ist, diese Zellen gezielt anzusteuern, um die Anzahl der thermogenen Adipozyten als therapeutischen Ansatz gegen Adipositas zu erhöhen“, fasst Tseng die nun folgenden Schritte zusammen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Farnaz Shamsi, Mary Piper, Li-Lun Ho, Tian Lian Huang, et al.: Vascular smooth muscle-derived Trpv1+ progenitors are a source of cold-induced thermogenic adipocytes; in: Nature Metabolism, 2021, nature.com
- Joslin Diabetes Center: Pain receptors linked to the generation of energy-burning fat cells: implications for obesity therapy (veröffentlicht: 12.04.2021), joslin.org
- Tim Hollstein: Gewichtsreduktion: Braunes Fett – der Kalorienkiller; in: Deutsche Ärzteblatt, 2020, aerzteblatt.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.