ADHS-Diagnose bei früh eingeschulten Kindern häufiger
Vor einigen Jahren berichteten deutsche Wissenschaftler, dass eine verspätete Einschulung mit negativen Folgen bezüglich der schulischen Leistungen einhergeht. Eine zu frühe Einschulung ist allerdings auch nicht von Vorteil. Denn wie US-amerikanische Forscher nun berichten, wird bei diesen Kindern häufiger ADHS diagnostiziert.
Zahl der ADHS-Diagnosen nimmt zu
Untersuchungen haben gezeigt, dass bei immer mehr Kindern in Deutschland eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert wird. Auch in den USA nimmt die Zahl solcher Diagnosen zu. Dies könnte auch damit zu tun haben, dass viele Kinder im „falschen“ Monat geboren wurden. Denn laut einer neuen Studie von Forschern der Harvard Medical School wird ADHS in den USA bei August-Kindern deutlich öfter diagnostiziert als bei Kindern, die einen Monat später geboren werden. Der Grund ist demnach der Stichtag für die Einschulung, die in vielen US-Staaten am 1. September stattfindet.
Häufigere Diagnose bei im August geborenen Kindern
Die Studienergebnisse, die vor kurzem im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass Kinder, die im August in diesen Bundesstaaten geboren wurden, eine um 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine ADHS-Diagnose zu erhalten, verglichen mit ihren etwas älteren Mitschülern.
Laut einer Mitteilung der Harvard Medical School, die im Fachmagazin „EurekAlert!“ veröffentlicht wurde, ist die Zahl der ADHS-Diagnosen bei Kindern in den letzten 20 Jahren dramatisch angestiegen.
Allein im Jahr 2016 wurden mehr als fünf Prozent der Kinder in den USA mit Medikamenten gegen ADHS behandelt.
Experten gehen davon aus, dass der Anstieg auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen ist, einschließlich einer besseren Erkennung der Störung, eines echten Anstiegs der Häufigkeit und in einigen Fällen einer falschen Diagnose.
Die Ergebnisse der neuen Studie unterstreichen die Auffassung, dass zumindest in einer Untergruppe von Grundschülern die Diagnose auf die frühere Einschulung zurückgeführt werden kann, so das Forschungsteam.
„Unsere Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass eine große Anzahl von Kindern wegen ADHS überdiagnostiziert und überbehandelt wird, weil sie im Vergleich zu ihren älteren Klassenkameraden in den frühen Grundschuljahren relativ unreif sind“, sagte Studienleiter Professor Timothy Layton vom Blavatnik Institute der Harvard Medical School.
Mitschüler können rund ein Jahr jünger sein
Wie es in der Mitteilung heißt, haben die meisten Bundesstaaten willkürliche Geburtstagsdaten, die bestimmen, in welche Schulstufe ein Kind eingestuft wird und wann es in die Schule geht.
Beim häufig vorkommenden Stichtag 1. September kann dies dazu führen, dass ein am 31. August geborenes Kind am ersten Schultag fast ein ganzes Jahr jünger ist als ein Mitschüler, der am 1. September geboren wurde.
In diesem Alter könnte es für das jüngere Kind schwieriger sein, still zu sitzen und sich lange im Unterricht zu konzentrieren.
Dieses zusätzliche Zappeln könnte laut Layton dazu führen, dass das Kind zu einem Arzt geschickt wird, gefolgt von der Diagnose und Behandlung von ADHS.
Normales Verhalten kann im Vergleich mit Älteren als ungewöhnlich erscheinen
Wie die Forscher weiter erläutern, könnte das, was als normales Verhalten bei einem 6-Jährigen gesehen wird, im Vergleich zu älteren Mitschülern relativ ungewöhnlich erscheinen.
Diese Dynamik könnte insbesondere bei jüngeren Kindern zutreffen, da ein Altersunterschied von elf oder zwölf Monaten zu erheblichen Verhaltensunterschieden führen könnte.
„Wenn Kinder älter werden, gleichen sich kleine Altersunterschiede an und lösen sich im Laufe der Zeit auf, aber verhaltensmäßig kann der Unterschied zwischen einem 6-jährigen und einem 7-jährigen ziemlich ausgeprägt sein“, sagte Senior-Autor Anupam Jena von der Harvard Medical School.
Frühe Einschulung ein Grund für ADHS-Diagnose
Um zu ihren Ergebnissen zu gelangen, haben die Forscher anhand von Unterlagen einer großen Versicherungsdatenbank den Unterschied in der ADHS-Diagnose nach Geburtsmonat – August gegenüber September – verglichen.
Diese 407.000 zwischen 2007 und 2009 geborenen Grundschulkinder wurden bis Ende 2015 beobachtet.
Die Analyse ergab: In Staaten, die den 1. September als Stichtag für die Einschulung der Schule verwenden, hatten Kinder, die im August geboren wurden, eine um 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose als Kinder, die im September geboren wurden.
In Bundesstaaten mit anderen Stichtagen wurden keine derartigen Unterschiede zwischen Kindern, die im August und September geboren wurden, festgestellt.
Den Angaben zufolge wurde bei 85 von 100.000 im August geborenen Schülern ADHS diagnostiziert oder behandelt. Bei den im September geborenen waren es 64 Schüler pro 100.000.
Als sich die Forscher nur auf die ADHS-Behandlung konzentrierten, zeigte sich, dass 53 von 100.000 im August geborene Schüler Medikamente erhielten, verglichen mit 40 von 100.000 bei den im September Geborenen.
Layton schlußfolgert aus den Ergebnissen, dass eine zu frühe Einschulung ein häufiger Grund für die Diagnose ADHS und die Verordnung von Medikamenten ist. (ad)
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