Häufig Fehldiagnose ADHS
Alkohol in der Schwangerschaft schädigt das Kind meist lebenslang. Die Folgen zeigen sich beispielsweise in Hirnschäden, Wachstumsstörungen, Wahrnehmungsstörungen. Das alkoholbedingte Störungssyndrom wird als FAS (Fetales Alkoholsyndrom) bzw. FASD (auch mildere Ausprägungen, Fetale Alkohol-Spektrumstörung) bezeichnet und gilt, besonders wenn der pränatale Alkoholkonsum belegt ist, als unbestritten und klar diagnostizierbar.
So ernst diese eigentlich leicht zu vermeidende Schädigung zu nehmen ist, so erschreckend ist die Unkenntnis darüber. In Deutschland werden jedes Jahr ca. 2 000 FAS-Babys geboren, ca. 10 000 sind derzeit so diagnostiziert. Ca. 44 % der Frauen wissen nichts über die teils verheerende Alkoholwirkung in der Schwangerschaft, vor allem auch nicht, dass schon geringe Alkoholmengen schlimme Folgen haben können und nur die völlige Abstinenz schützt. Ca. eine von 68 in der Schwangerschaft trinkenden Mütter gebiert ein FAS-Kind, wenn man FASD einrechnet, sind es mehr. FAS ist also häufiger als das Down-Syndrom.
Bei den milderen FASD-Ausprägungen zeigt das Syndrom praktisch die gleichen Symptome wie die ADHS. „Merkmale sind ständige motorische Unruhe, Nervosität, sehr kurzfristiges Interesse an einer Aufgabe oder schneller Wechsel von einem Spielzeug zum nächsten, Ungehemmtheit und Impulsivität im Sozialverhalten“ (Feldmann 2017). Viele FASD-Kinder erhalten deshalb gleich auch noch die ADHS-Diagnose sozusagen als Dreingabe, obwohl sich die ADHS im Unterschied zur FAS gar nicht objektivieren lässt. Es ist der altbekannte Denkfehler, aus einem Syndrom auf mehrere Krankheiten zu schließen, obwohl diese objektiv gar nicht unterscheidbar sind. Ein FASD-Kind hat deshalb keine ADHS, solange ADHS nicht objektivierbar ist. Wahrscheinlich sind viele ADHS-Kinder falsch diagnostizierte FASD-Kinder, vor allem, wenn der Alkoholkonsum bei der Diagnose unbekannt, unberücksichtigt oder im Sinne der sozialen Erwünschtheit verschwiegen blieb.
Bisher ließ sich ein Zusammenhang zwischen Alkohol in der Schwangerschaft und späterem „ADHS“ nicht belegen. Eine deutsche Forschergruppe um Burger, PH wies aber bereits vor 6 Jahren auf die methodische Schwäche der bisherigen Studien hin, bei denen pränataler Alkoholkonsum nicht objektiv, sondern nur mittels mütterlicher Selbstauskünfte, die der sozialen Erwünschtheit unterliegen, gemessen wurde. „Die fragebogengestützt/im Interview ermittelten Daten können hierdurch nicht als reliabel angesehen werden. Studien, in welchen eine Evaluierung anhand objektiver Alkoholabbauparameter wie Fettsäureethylester oder Ethylglucuronid durchgeführt wurde, zeigten dramatisch höhere Raten von Alkoholkonsum bei Schwangeren, als aus den Angaben zu schließen gewesen wäre“ (Burger et. al.).
Studien, die einen Zusammenhang zwischen pränatalem Alkohol und ADHS untersuchen wollen, müssen also objektive Daten verwenden. Und genau dies gelang jetzt einer Forschergruppe um A. Eichler mit einer prospektiven Untersuchung: Die Selbstauskünfte der untersuchten Mütter über pränatalen Alkohol zeigten keinen Zusammenhang zum ADHS-Verhalten ihrer Kinder im Grundschulalter. Aber die bei der Geburt gemessenen Ethylglucuronid-Werte zeigten einen deutlichen Zusammenhang mit der kognitiven Entwicklung und dem ADHS-Verhalten der Kinder 6 Jahre später im Grundschulalter. Hinter „ADHS“ kann sich also auch ein fetales Alkoholsyndrom verbergen. (Dipl.-Psych. Hans-Reinhard Schmidt)
Quellen:
1. P. H. Burger, T. W. Goecke, P. A. Fasching, G. Moll, H. Heinrich, M. W. Beckmann, J. Kornhuber: Einfluss des mütterlichen Alkoholkonsums während der Schwangerschaft auf die Entwicklung von ADHS beim Kind. Georg Thieme 2011.
2. Die Drogenbeauftrage der Bundesregierung: Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und Fetales Alkoholsyndrom. 1. 11.2016
3. Der SPIEGEL: Jede vierte Schwangere in Deutschland trinkt Alkohol.
4. Eichler A et. al.: Effects of prenatal alcohol consumption on cognitive development and ADHD-related behaviour in primary-school age: a multilevel study based on meconium ethyl glucuronide. J Child Psychol Psychiatry 2017 Sep 11.
5. Feldmann, R.: Das Fetale Alkoholsyndrom. Campus Münster 2017
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
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