Herzkrankheiten, Diabetes und Co: Doch übertragbar von Mensch zu Mensch?
Nicht-übertragbare Krankheiten zählen zu den häufigsten Todesursachen der Welt. Laut Fachleuten handelt es sich dabei um chronische Krankheiten, die nicht durch akute Infektionen hervorgerufen werden und nicht direkt von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Doch ein Forschungsteam berichtet nun, dass solche Erkrankungen möglicherweise doch übertragbar sind.
Wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf seiner Webseite erklärt, sterben jedes Jahr rund 40 Millionen Menschen an nicht übertragbaren Krankheiten. Solche Erkrankungen sind damit für fast 70 Prozent aller Todesfälle weltweit verantwortlich. Ein internationales Forschungsteam liefert nun Hinweise, dass die sogenannten „nicht-übertragbaren“ Krankheiten möglicherweise doch über das Mikrobiom von Mensch zu Mensch weitergegeben werden könnten.
Krankheiten könnten über das Mikrobiom weitergegeben werden
Laut dem Ministerium sind die vier Haupttypen der nicht-übertragbaren Krankheiten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen (wie Herzinfarkt und Schlaganfall), Krebs, chronische Atemwegserkrankungen (wie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung oder Asthma) und Diabetes.
Wie die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in einer Mitteilung schreibt, werden sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als nicht-übertragbar definiert, weil man davon ausgeht, dass sie durch eine Kombination von genetischen, Lebensstil- und Umweltfaktoren verursacht werden und nicht zwischen Menschen übertragen werden können.
Doch in einer neuen Forschungsarbeit stellt ein Team des „Humans & the Microbiome“-Programms des Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) unter Beteiligung von Professor Thomas Bosch von der CAU diese Auffassung nun in Frage.
Der Mitteilung zufolge liefern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überzeugende Hinweise dafür, dass viele als nicht-übertragbar eingestuften Krankheiten möglicherweise doch von Mensch zu Mensch über das Mikrobiom weitergegeben werden können – und die mikrobielle Besiedlung des menschlichen Körpers einschließlich Bakterien, Pilzen und Viren zentral an der Übertragung beteiligt ist.
Das Forschungsteam veröffentlichte die neue Hypothese kürzlich im führenden Wissenschaftsjournal „Science“.
Eine revolutionäre Hypothese
„Wenn sich unsere Hypothese als richtig herausstellt, wird sie unsere Auffassung der öffentlichen Gesundheit völlig neu definieren“, meint Brett Finlay, Professor für Mikrobiologie an der Universität von British Columbia und Leiter des CIFAR-Forschungsprogramms „Humans & the Microbiome“.
Die Forschenden stützen ihre Theorie darauf, erstmals Verbindungen zwischen drei verschiedenen bereits belegten Erkenntnissen herzustellen: Erstens konnten sie zeigen, dass bei einer Vielzahl von Erkrankungen, von Adipositas (Fettleibigkeit) und entzündlichen Darmerkrankungen bis hin zu Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das menschliche Mikrobiom im Vergleich zum gesunden Körper deutliche Veränderungen zeigt.
Zudem zeigten sie zahlreiche Belege dafür, dass solche veränderten Mikrobiom-Zusammensetzungen zur Ausprägung von Krankheiten führen, wenn man sie im Laborexperiment in einen ursprünglich gesunden Modellorganismus überträgt. Entnimmt man zum Beispiel das Darmmikrobiom einer fettleibigen Maus und transferiert es in ein gesundes Tier, wird dieses ebenfalls übergewichtig.
Schließlich fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreiche Indizien, die auf eine generelle natürliche Übertragbarkeit des Mikrobioms hinweisen. „Wenn man diese Fakten zusammenfasst, legt das die Vermutung nahe, dass viele traditionell nicht als übertragbar eingestufte Krankheiten vielleicht doch übertragbar sind“, so Finlay.
Mögliche Übertragung des Mikrobioms auch beim menschlichen Zusammenleben
Vor allem den dritten Aspekt konnten Forschende aus Boschs Arbeitsgruppe an der Kieler Universität belegen.
„Hält man Labortiere wie die Süßwasserpolypen nicht einzeln, sondern über eine gewisse Zeit in einem gemeinsamen Lebensraum, gleicht sich zunächst ihr Mikrobiom und in der Folge auch ihre äußere Erscheinungsform einander an“, fasst Mitautor Bosch, Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ an der CAU, zusammen.
„Wir konnten nachweisen, dass dabei die Mikroben direkt von einem Individuum zum anderen gelangen. Möglicherweise findet diese Übertragung des Mikrobioms auch beim menschlichen Zusammenleben statt, zum Beispiel durch intensive soziale Kontakte oder in gemeinsamen Wohnungen“, vermutet Bosch.
Weiterführende Forschungsarbeiten
Die Forschenden heben hervor, dass ihre Hypothese gewagt ist und viele der beteiligten Mechanismen noch unbekannt sind.
„Wir wissen immer noch nicht, in welchen Fällen diese Form der Übertragung zunimmt oder ob auch ein gesunder Zustand übertragen werden kann“, erläutert Mitautorin Maria Gloria Dominguez-Bello, Professorin an der Rutgers University in New Jersey. „Wir brauchen mehr Forschung, um die mikrobielle Übertragung und ihre Auswirkungen zu verstehen“, so die Wissenschaftlerin.
Dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem gestörten Mikrobiom und vielen Krankheiten besteht, steht aber heute außer Frage. Wie das Mikrobiom mit anderen Einflüssen, zum Beispiel bestimmten Umweltbedingungen und genetischen Faktoren bei der Übertragung verschiedener Krankheiten zusammenwirkt, sollen weiterführende Forschungsarbeiten erweisen.
„Die neue Hypothese macht klar, dass wir Störungen der mikrobiellen Besiedlung des Körpers viel stärker als bisher als Krankheitsursache in Betracht ziehen und auch die potenziellen Übertragungswege näher erforschen müssen“, sagt Bosch.
„Dieser Aspekt wird in den kommenden Jahren einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in unserem Metaorganismus-Sonderforschungsbereich sein“, so Bosch. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU): Adipositas, Herzkrankheiten oder Diabetes könnten übertragbar sein, (Abruf: 21.01.2020), Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
- B. B Finlay, CIFAR Humans, the Microbiome: Are noncommunicable diseases communicable?; in: Science, (Veröffentlichung: 17.01.2020); sowie: Science: Vol. 367, Issue 6475, pp. 250-251, Science
- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Nicht übertragbare Krankheiten, (Abruf: 21.01.2020), Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.