Alkohol: Schon ein Schluck kann Synapsen im Gehirn verändern
Immer mal wieder ist zu hören oder zu lesen, dass es gesund sei, täglich ein Glas Rotwein zu trinken. Andererseits wird aber ständig vor den Risiken durch regelmäßigen Alkoholkonsum gewarnt. In einer Studie zeigte sich nun, dass schon geringe Alkoholmengen das Gehirn verändern können.
Wie sich in einer Studie zeigte, kann bereits eine einmalige Gabe von Trinkalkohol – Ethanol – die Synapsen und die Bewegung der Mitochondrien in den Nervenzellen des Gehirns dauerhaft verändern. Das hat Folgen für das Belohnungslernen des Gehirns und kann womöglich zu späterer Alkoholsucht führen. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „PNAS“ (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlicht.
Grundlage für Alkoholabhängigkeit
Ein Forschungsteam der Universität zu Köln und der Universitäten Mannheim und Heidelberg ist in der Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass schon die einzelne Gabe von Alkohol dauerhaft die Morphologie der Neurone verändert.
Wie es in einer Mitteilung heißt, werden insbesondere der Aufbau der Synapsen sowie die Dynamik der Mitochondrien – den Energiekraftwerken der Zelle – durch Alkohol beeinflusst.
Mit Hilfe des genetischen Modellsystems Drosophila melanogaster, einer Fruchtfliege, konnte an der Universität zu Köln in der Arbeitsgruppe von Professorin Dr. Henrike Scholz und ihren Mitarbeitenden Michèle Tegtmeier und Michael Berger gezeigt werden, dass sich durch die Veränderungen der Wanderung der Mitochondrien in den Synapsen die belohnende Wirkung von Alkohol reduziert.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass schon einmaliger Konsum die Grundlage für Alkoholabhängigkeit legen kann.
Vom sporadischen Trinken zum chronischen Alkoholmissbrauch
Das gemeinsame Forschungsprojekt mit Arbeitsgruppen an den Universitäten Mannheim und Heidelberg und der Universität zu Köln ging der Frage nach, welche Veränderungen im Gehirn den Übergang vom sporadischen Trinken zum chronischen Alkoholmissbrauch begleiten.
Die meisten wissenschaftlichen Forschungen haben die Auswirkungen eines chronischen Alkoholkonsums auf den Hippocampus – die Schaltzentrale des Gehirns – untersucht. Daher ist wenig über die akuten neuronalen Wechselbeziehungen kritischer Risikofaktoren, wie einem ersten Alkoholrausch im frühen Alter, bekannt.
„Wir hatten uns vorgenommen, ethanolabhängige molekulare Veränderungen zu entdecken. Diese bilden wiederum die Grundlage für dauerhafte zelluläre Veränderungen nach einer einmaligen, akuten Ethanolintoxikation. Die Auswirkungen einer einzelnen Alkoholgabe wurden auf molekularer, zellulärer und Verhaltensebene untersucht“, erläutert Henrike Scholz.
Die Arbeitshypothese der Forschenden war, dass ähnlich wie bei der Bildung von Gedächtnis nach einmaligem Lernen, nach einer einmaliger Ethanolgabe sich die positive Assoziation mit Alkohol verändert.
Veränderungen in zwei Bereichen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überprüften ihre Hypothese anhand Forschungen an der Fruchtfliege und im Mausmodell und konnten durch Ethanol verursachte Veränderungen in zwei Bereichen feststellen: der sogenannten mitochondrialen Dynamik sowie dem Gleichgewicht zwischen den Synapsen der Nervenzellen.
Mitochondrien beliefern Zellen und vor allem Nervenzellen mit Energie. Um die Energie optimal an die Zellen abgeben zu können, bewegen sich die Mitochondrien. Ihre Bewegung war in den mit Ethanol behandelten Zellen gestört. Und auch das chemische Gleichgewicht zwischen bestimmten Synapsen war gestört.
Den Angaben zufolge blieben diese Veränderungen dauerhaft und konnten in Verhaltensänderungen der Tiere bestätigt werden: Mäuse und Fruchtfliegen zeigten einen erhöhten Alkoholkonsum und einen Alkoholrückfall im späteren Leben.
Grundlage für Lernen und Gedächtnis
Die morphologische Umgestaltung von Nervenzellen ist eine bekannte Grundlage für Lernen sowie Gedächtnis. Diese sogenannten zellulären Plastizitätsmechanismen, welche für Lernen und Gedächtnis von zentraler Bedeutung sind, gelten ebenfalls als Kernstück der Bildung assoziativer Erinnerungen für drogenbezogene Belohnungen.
Deswegen könnten einige der beobachteten morphologischen Veränderungen die ethanolbezogene Gedächtnisbildung beeinflussen.
Zusammen mit der Wanderung von Mitochondrien in Nervenzellen, die auch für die synaptische Übertragung und Plastizität wichtig sind, spekulieren die Forschenden, dass diese ethanolabhängigen zellulären Veränderungen entscheidende Grundlagen für die Entwicklung von Suchtverhalten sind.
„Es ist bemerkenswert, dass die zellulären Prozesse, die zu einem derart komplexen Belohnungsverhalten beitragen, artenübergreifend erhalten bleiben, was auf eine ähnliche Rolle beim Menschen schließen lässt“, sagt Scholz. „Es könnte sich um einen möglichen allgemeinen zellulären Prozess handeln, der für Lernen und Gedächtnis wesentlich ist.“
Schon ein Rausch kann Alkoholrückfall im späteren Leben erhöhen
Beide beobachteten Mechanismen könnten die bei Mäusen gemachten Beobachtungen erklären, dass bereits ein einmaliger Rausch den Alkoholkonsum und den Alkoholrückfall im späteren Leben erhöhen kann.
„Diese Mechanismen könnten sogar für die Beobachtung beim Menschen von Bedeutung sein, dass ein frühes Alter der ersten Alkoholintoxikation ein kritischer Risikofaktor für späteres Alkoholrauschverhalten und die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit ist“, so Professorin Henrike Scholz.
„Die Identifizierung dauerhafter ethanolabhängiger Veränderungen ist daher ein wichtiger erster Schritt, um zu verstehen, wie sich akutes Trinken zu chronischem Alkoholmissbrauch entwickeln kann.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität zu Köln: Schon ein Schluck Alkohol verändert das Gehirn, (Abruf: 30.08.2022), Universität zu Köln
- Johannes Knabbe, Jil Protzmann, Niklas Schneider, et al.: Single-dose ethanol intoxication causes acute and lasting neuronal changes in the brain; in: PNAS, (veröffentlicht: 14.06.2022), PNAS
Wichtiger Hinweis:
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