Gluten, Laktose und Co: Nicht alle Lebensmittel sind für alle Menschen geeignet
Immer mehr Menschen achten darauf, was sie essen: Für mache Menschen ist Zucker tabu, andere verzichten auf Lebensmittel mit Gluten oder Laktose. Die meisten haben gute Gründe, warum sie sich so oder so ernähren. Sie leiden an Lebensmittelallergien oder -unverträglichkeiten oder wollen allgemein gesünder leben. Kritiker meinen jedoch, viele tun dies, um sich selbst zu inszenieren.
Lebensmittelallergien nehmen zu
Nahrungsmittelallergien nehmen seit vielen Jahren zu. Nach Schätzungen des Deutschen Allergie- und Asthmabundes (DAAB) sind allein in Deutschland rund sechs Millionen Menschen betroffen. „Die Hauptauslöser bei Säuglingen und Kindern sind Kuhmilch, Soja, Hühnerei, Weizen, Erdnüsse und Haselnüsse. Jugendliche und Erwachsene reagieren in der Regel häufiger auf rohe Gemüse- und Obstsorten, Nüsse, Fisch, Krebs- und Weichtiere“, heißt es auf der Webseite des DAAB. Allerdings gibt es auch Menschen, die auf bestimmte Lebensmittel verzichten, ohne eine Allergie oder Unverträglichkeit zu haben. Kritiker meinen, der Grund dafür sei oft eine Mischung aus Profilierung und Selbstdarstellung.
Unterschiedliche Unverträglichkeiten und Allergien
Für Fleischesser war es in der Vergangenheit oft schwierig, wenn Veganer zum Essen vorbei kamen. Mittlerweile ist diese Ernährungsweise aber so verbreitet, dass es den meisten nicht mehr schwer fallen sollte, leckere Menüs zu zaubern.
Das Kochen für und mit Freunden ist aber allgemein etwas komplizierter geworden. Schließlich gibt es offenbar immer mehr Menschen, die an einer Glutenunverträglichkeit, Laktoseintoleranz, Nussallergie oder Histaminintoleranz leiden oder keinesfalls Zucker konsumieren wollen.
Vor allem bei der Vorbereitung eines Kindergeburtstages gestaltet sich der Speiseplan dann schwierig. Manche Menschen meinen, das müsste nicht sein, denn längst nicht alle, die sich auf eine Lebensmittelallergie oder -unverträglichkeit berufen, haben auch wirklich eine.
Ernährung wird problematisiert
„Die Tendenz, Ernährung zu problematisieren, ist in den vergangenen Jahren eindeutig stärker geworden“, meinte Jana Rückert-John in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa.
„Es gibt echte Lebensmittelallergien und Unverträglichkeiten. Aber es gibt auch einen rapiden Anstieg der gefühlten oder der behaupteten“, so die Professorin für „Soziologie des Essens“ an der Hochschule Fulda.
Ernährungswissenschaftler und Buchautor Uwe Knop nennt Menschen, die ohne ärztliche Diagnose bestimmte Lebensmittel meiden, Ernährungshypochonder. „Manchmal habe ich den Eindruck, Zucker ist das neue Heroin“, sagte er spitz.
Es gebe zwar keine validen Zahlen zu dem Trend, doch erschreckende Einzelfälle. So wird auf den tragischen Tod eines Babys in Belgien hingewiesen, das starb, weil die Eltern den kleinen Jungen monatelang nur mit Flüssigkeit aus Reis, Hafer, Quinoa und Buchweizen fütterten. Schließlich dehydrierte das unterernährte Kind.
„Die Eltern haben in ihrer eigenen Diagnose festgestellt, dass ihr Kind eine Gluten- und eine Laktoseintoleranz hat“, erklärte der zuständige Staatsanwalt.
Lebensbedrohliche Konsequenzen
Dass Nüsse, Äpfel, Meeresfrüchte oder Sellerie bei Erwachsenen gesundheitliche Probleme auslösen können, steht außer Frage.
„Es sind die häufigsten Allergien gegen Lebensmittel“, erläuterte Margitta Worm, Leiterin der Hochschulambulanz der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Berliner Charité, in der dpa-Meldung.
Die Folgen reichen von juckendem Hautausschlag und Schwellungen bis hin zu Magen-Darm-Problemen wie Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen.
„Bei schweren Verläufen können es auch Luftnot und Kreislaufreaktionen sein“, so Worm. Die schwerste allergische Reaktion auf Lebensmittel ist der anaphylaktische Schock, der sich in Form eines lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruchs äußert.
Zahl der behandlungsbedürftigen Nahrungsmittel-Allergiker
Laut dem Deutschen Allergie- und Asthmabund wird die Anzahl der behandlungsbedürftigen Nahrungsmittel-Allergiker auf sieben Prozent der Bevölkerung geschätzt.
In der dpa-Meldung heißt es jedoch, dass solche Allergien statistisch gesehen nur zwei bis drei Prozent der Erwachsenen betreffen und somit seltener als zum Beispiel Heuschnupfen mit rund 16 Prozent sind.
Bei Kindern liegt die Quote der Nahrungsmittelallergien demnach mit fünf bis sechs Prozent etwas höher. Worm zufolge gingen aber beispielsweise Milcheiweißallergien bis zur Einschulung oft wieder weg.
Die Werte bei einer Unverträglichkeit gegen Gluten, dem Klebeeiweiß in einigen Getreidesorten, seien noch deutlich geringer. Laut der Medizinerin litten 0,9 Prozent der deutschen Bevölkerung unter einer chronischen Erkrankung des Dünndarms (Zöliakie).
Die Auswahl an glutenfreien Produkte im Supermarkt lasse aber auf eine Art plötzliche Massenepidemie vermuten. Auch viele Menschen ohne eine Unverträglichkeit greifen darauf zurück.
Dabei ist seit längerem bekannt, dass glutenfreie Lebensmittel nicht für alle Menschen gleichermaßen gesund sind.
Typisch deutsch
„Für mich als Soziologin ist es interessant, wenn Menschen sich so beschreiben – ob sie das nun haben oder nicht“, sagte Jana Rückert-John laut dpa. „Es macht ganz offensichtlich etwas mit ihnen, und es geht um die Gründe dieser Selbstbeschreibung.“
Ernährungswissenschaftler Knop vermutet eine Mischung aus Profilierung und Selbstdarstellung. Die „Ich-Inszenierung“ mit Verzicht und Abgrenzung diene dazu, interessant zu bleiben.
Laut John findet man „damit Anschluss und Verbündete. Wer keine Allergie oder keine Unverträglichkeit hat, der ist heute ja fast schon irgendwie langweilig“.
Es sei aber grundsätzlich ein positiver Aspekt, wenn Menschen mehr über das Thema Essen nachdächten und redeten. „Doch es ist typisch deutsch, es so stark zu problematisieren.“
Der Soziologin zufolge macht die Wohlstandsgesellschaft den Bundesbürgern zu schaffen. „Es gibt eine hochgradige Unsicherheit, die mit diesem Überfluss einhergeht“, sagte John.
Es gehe zum einen um das Thema Gesundheit, also um die verschiedenen Krankheiten, die mit Ernährung assoziiert würden. Zum anderen spielten aber auch negative Umwelteffekte etwa durch Tierhaltung und intensive Landwirtschaft eine Rolle.
„Und dann kommt der Punkt der eigenen Verantwortung dabei.“ Aus dieser Unsicherheit heraus entschieden sich dann manche dazu, sich zu beschränken.
Gutes Geschäft für den Handel
Für die Hersteller entsprechender Waren ist der neue Trend offenbar sehr ergiebig. „Laktosefrei“ und andere „frei von“-Produkte verkaufen sich gut.
Mittlerweile gibt es in fast jedem Supermarkt Kokos-, Soja-, Reis-, Hafer-, Mandel- oder Hanfmilch, obwohl maximal ein Fünftel der Bevölkerung unter Laktoseintoleranz leidet.
„Das sind Phänomene einer übersättigten Wohlstandsgesellschaft, die sich die Pathologisierung von Grundnahrungsmitteln wie Milch und Getreideprodukten leisten kann“, meinte Uwe Knop in der dpa-Meldung.
Für den Lebensmittelhandel sei es ein gutes Geschäft. „Glutenfreie Nudeln kosten 1,55 Euro, normale Nudeln 49 Cent.“
Knop mache sich Sorgen um die wirklich Betroffenen. „Die echten Allergiker leiden darunter, dass viele ihr Problem nicht mehr ernst nehmen. Das ist wie eine Desensibilierung der Gesellschaft.“ (ad)
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