Neu entdecktes Protein offenbart frühe ALS-Krankheitsmechanismen
Die seltene Erkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist nach aktuellem Wissensstand der Medizin nicht heilbar. Die Entdeckung eines deutsch-amerikanischen Forschungsteams könnte dies bald ändern. Die Arbeitsgruppe identifizierte ein Eiweiß, das der Schlüssel zu neuen Therapieansätzen sein könnte.
Forschende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der University of California San Diego (UCSD) haben ein Eiweiß entdeckt, das bereits im Frühstadium der Nervenkrankheit ALS pathologische Eigenschaften zeigt. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in dem Fachjournal „Acta Neuropathologica“ präsentiert.
„Ice Bucket Challenge“ sollte ALS-Symptome simulieren
Die sogenannte „Ice Bucket Challenge“, bei der sich im Sommer 2014 Millionen Menschen einen Eimer voll Eiswasser über den Kopf gossen und die Aufnahmen bei sozialen Medien posteten, bekam weltweite Aufmerksamkeit.
Die Hintergründe zu der Challenge waren jedoch ernster Natur. Durch die plötzliche Kälte sollte das Gefühl der Lähmung nachempfunden werden, die ALS-Betroffene täglich erleben.
ALS-Fälle in Deutschland
In Deutschland gibt es zwischen 6.000 und 8.000 Patientinnen und Patienten mit ALS. Jedes Jahr werden rund 2.000 Fälle neu diagnostiziert. Die Nervenkrankheit führt bei den meisten Betroffenen innerhalb weniger Jahre zum Tod.
Wie verläuft eine ALS-Erkrankung?
„ALS ist eine Motoneuronerkrankung, das heißt, es werden Nervenzellen geschädigt, die die Muskeln des Menschen steuern”, berichtet Professorin Dr. Beate Winner aus dem Studienteam.
„In der ersten Phase kommt es zu Muskelschwäche, später zu Muskelschwund und am Ende können die Betroffenen häufig nicht mehr schlucken und selbstständig atmen“, erklärt die Professorin.
Spendengelder brachten ALS-Forschung voran
Mit der „Ice Bucket Challenge“ sollten Spendengelder gesammelt werden, um die Erforschung der seltenen Nervenkrankheit voranzutreiben.
Dass solche Ansätze Früchte tragen können, zeigen nun die neusten Studienergebnisse der deutsch-amerikanischen Arbeitsgruppe. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten frühe Krankheitsmechanismen bei ALS, die Hoffnung auf neue Therapien geben.
Eiweiß-Veränderungen im ALS-Endstadium
„Seit etwa 15 Jahren ist bekannt, dass im Endstadium der ALS das Eiweiß TDP-43 in Neuronen unlöslich wird und verklumpt“, erörtert Winner. Dadurch verliere es seine normale Funktion und bekomme toxische Eigenschaften.
„Wir wollten wissen, ob wir Ursachen für die ALS in einem frühen Entwicklungsstadium nachweisen können, bevor sich TDP-43 verändert“, erläutert die Forschungsleiterin die Intension der Studie.
Neuer ALS-Krankheitsmechanismus aufgedeckt
Mittels Massenspektrometrie konnten die Forschenden in den Nervenzellen von ALS-Betroffenen ein RNA-bindendes Eiweiß mit dem Namen NOVA1 identifizieren.
„Das Eiweiß zeigte eine deutlich erhöhte Unlöslichkeit und weitere Veränderungen in den Neuronen, aber noch nicht die klassischen TDP-43-Erkrankungsmerkmale“, ergänzt Studienerstautor Dr. Florian Krach. Zellen, die aus einer Kontrollgruppe von Menschen ohne ALS stammten, wiesen Krach zufolge diese Veränderungen nicht auf.
Neue Erkenntnisse über die Frühphase von ALS
In dem Labor des renommierten RNA-Biologen und Bioinformatikers Professor Gene Yeo an der University of California in San Diego (USA) konnte das Team dank spezialisierter Experimente und computergestützter Auswertung herausfinden, welche Bindungen NOVA1 in den RNA-Molekülen eingeht und welchen Einfluss es auf das alternative Spleißen in humanen Neuronen hat.
„Das alternative Spleißen ist ein äußerst komplexer und ausgeklügelter Mechanismus, mit dem der Mensch sein Repertoire an Eiweißstoffen vervielfältigt“, verdeutlicht Krach. Dabei werden ihm zufolge Abschnitte eines RNA-Botenmoleküls entweder herausgeschnitten oder hinzugefügt und auf diese Weise die Funktionen von Eiweißen gehemmt, erweitert oder gänzlich verändert.
Erster Schritt zur ALS-Früherkennung
Insgesamt erhoffen sich die beteiligten Forschenden, dass aus den neuen Erkenntnissen über ALS frühe Diagnosemöglichkeiten und neue Therapieansätze hervorgehen. „Unsere Entdeckung ist bahnbrechend, aber nur ein erster Schritt hin zu einer möglichen Früherkennung von ALS“, so Winner.
„Folgende Studien mit größeren Kohorten könnten unsere Erkenntnisse über die Bedeutung von RNA-bindenden Proteinen vertiefen“, resümiert die Professorin. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Florian Krach, Emily C. Wheeler, Beate Winner, et al.: Aberrant NOVA1 function disrupts alternative splicing in early stages of amyotrophic lateral sclerosis: in: Acta Neuropathologica (2022), link.springer.com
- Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: ALS: Frühe Krankheitsmechanismen entdeckt (veröffentlicht: 15.07.2022), fau.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.