Demenz: Schlager wecken die Erinnerung
02.01.2015
Das Musik eine positive Wirkung auf das Gehirn entfalten kann, isst seit langem bekannt. Bei Demenzkranken wecken Musikstücke aus vergangenen Jahren oft vergessen geglaubte Erinnerung und nicht selten beginnen sie mitzusingen, obwohl ihre Sprachfähigkeit im Alltag kaum noch vorhanden war. Das Musikprojekt „Klang und Leben“ für Menschen mit Demenz setzt hier an und versucht bei seinen Auftritten in Altersheimen mit alten Schlagern die Erinnerungen der Seniorinnen und Senioren zu wecken.
Im Dezember war „Klang und Leben“ im Kursana Domizil in Buchholz (Landkreis Harburg) und spielte alte Schlager wie zum Beispiel „Capri-Fischer“, „Kann denn Liebe Sünde sein?“ oder „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, berichtet die Kursana Residenzen GmbH. Gleich beim ersten Lied („Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“) sei der Funke übergesprungen und viele hätten angefangen mitzusingen – trotzt ihrer Demenz. Hier wird deutlich, wie die Musik Erinnerungen weckt und damit auch ein Stück das Lebensgefühl der Demenzkranken verbessern kann.
Demenzkranke singen alte Schlager mit
Initiatoren des Musikprojektes waren der Rockmusiker Rainer Schumann (Ex-Schlagzeuger bei „Fury in the Slaughterhouse“) und der Demenzcoach Graziano Zampolin. Auch Oliver Perau (ehemaliger Sänger der hannoverschen Band Terry Hoax) war bei dem Auftritt in Bucholz dabei. Als dieser beim Konzert im Kursana Domizil Buchholz den Schlager „Bel Ami“ aus den 1930er Jahren anstimmte, hätten viele der Senioren selbst nach Jahrzehnten noch jede Zeile textsicher mitsingen können – „und das, obwohl einige von ihnen mittlerweile dementiell erkrankt sind“, so die Mitteilung der Kursana Residenzen GmbH. Seit rund anderthalb Jahren tourt „Klang und Leben“ mit professionellen Musikern durch Senioreneinrichtungen, um mit vertrauten Melodien und Gesangsstunden die Erinnerungen der Demenzkranken zu wecken und deren Lebensgefühl zu verbessern. Musik statt Pillen, lautet hier das Motto von Graziano Zampolin.
Alte Erinnerungen werden geweckt
Die Effekte der Auftritte auf die Bewohnerinnen und Bewohner sind laut Aussage der Musiker durchaus überzeugend. „Es ist immer wieder ein Wunder zu erleben, wie unsere Zuhörer durch die Musik aufblühen“, betont Rainer Schumann. Beispielsweise singe „jemand, der nicht mehr spricht, plötzlich ganze Strophen. Oder ein Mann, der vergessen hat, dass er einmal Gitarre gespielt hat, greift bei uns wieder zum Instrument“, berichtet der Projektinitiator. Dies seien sehr bewegende Momente. Mehr als 60 Konzerte hat „Klang und Leben“ im vergangenen Jahr gegeben, 13 davon in Senioreneinrichtungen der Kursana Residenz GmbH. „Doch nirgendwo waren die Menschen so sangesfreudig wie hier in Buchholz“, unterstrich Oliver Perau die gute Stimmung beim letzten Konzert des Jahres.
Soundtrack des Lebens
Laut Graziano Zampolin hat „jeder Mensch einen Soundtrack seines Lebens“, bei dem bestimmte Ereignisse „wie die erste Liebe oder schöne Reisen meist mit bestimmten Liedern verbunden“ sind. Dies gilt auch für die Bewohnerin Hannelore Ollrogge (85), die zum Schlager „Sag mir quando, sag mir wann…“ von Graziano Zampolin sogar zum Tanz aufgefordert wurde. Sie erinnert sich, dass sie in den 50er Jahren mit ihrem Mann viel zum Tanzen gegangen ist. „Der Krieg war endlich vorbei, das Leben hat wieder Spaß gemacht“, wird Ollrogge in der Pressemitteilung der Kursana Residenzen GmbH zitiert. Später seien dann die Verpflichtungen durch Familie und Beruf hinzugekommen, so dass nicht mehr viel Zeit zum Tanzen blieb. „Es tut gut, an diese unbeschwerte Zeit erinnert zu werden“, berichtet die Seniorin. „Wir haben schon viele positive Beispiele sammeln können, wie Musik die Gefühle weckt und die biografische Erinnerungsarbeit nachhaltig unterstützen kann“, erläutert Graziano Zampolin.
Verbesserte Motorik, steigendes Lebensgefühl
Wissenschaftlich begleitet wird das Musikprojekt „Klang und Leben“ durch Professor Eckart Altenmüller von der Musikhochschule Hannover. „Bei bislang rund 50 Versuchspersonen haben wir große Effekte in der Stimmung und Motorik festgestellt“, zitiert die „Berliner Morgenpost“ den Musikprofessor. Das Pflegepersonal habe das Verhalten der Bewohner bei den Veranstaltungen anhand von Fragebögen festgehalten. Auch der Sprecher der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Hans-Jürgen Freter, zeigte sich laut Angaben der Zeitung von den positiven Effekten der Musik überzeugt. Dabei sei es erstaunlich, dass ältere Leute sich mitunter nicht einmal an ihr Frühstück erinnern können, sie sich aber strophenweise an die Lieder ihres Lebens erinnern. „Therapien mit Musik, Bewegung und Tanzen sind auf jeden Fall ein Weg, um Erkrankte geistig und körperlich anzuregen und so zu ihren Gefühlen vordringen zu können“, zitiert die „Berliner Morgenpost“ Hans-Jürgen Freter. Es gehe um die Lebensqualität der Menschen und darum, sie nicht alleinzulassen, so Freter weiter.
Die Gäste der Veranstaltung in Bucholz brachten ihre Begeisterung am Ende des Konzerts mit langem Applaus zu Ausdruck und zum Schluss sang Oliver Perau als dritte Zugabe noch einmal „Bel Ami“. Angesichts der deutlich sichtbaren Erfolge des Projektes wollen dessen Initiatoren nun in Hannover eine Akademie gründen, um ihre Erfahrungen an Menschen in sozialen und pflegerischen Berufen weiterzugeben. (fp)
Bild: Daniel Hajduk / pixelio.de
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