Wie gängige Viren Alzheimer verursachen können
Im Zusammenspiel können die Viren der Gürtelrose-Infektion und Herpes simplex Viren (HSV) eine Entzündung und Anhäufung von Alzheimer-assoziierten Proteinen im Gehirn verursachen. Dieser Mechanismus scheint verantwortlich für den bereits früher festgestellten Zusammenhang zwischen Herpesviren und Alzheimer.
Forschende der Tufts University und der University of Oxford haben nachgewiesen, wie das Varizella-Zoster-Virus und Herpes simplex Viren frühe Stadien von Alzheimer auslösen können. Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in dem „Journal of Alzheimer´s Disease“ veröffentlicht.
Varizella-Zoster-Viren und HSV-1 weit verbreitet
Schätzungsweise 3,7 Milliarden Menschen im Alter unter 50 Jahren sind mit HSV-1 infiziert, dem Virus, das Lippenherpes verursacht, berichtet das Forschungsteam unter Berufung auf die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Nach der ersten Infektion bleibe das Virus meist asymptomatisch und schlummere in den Nervenzellen. Allerdings kann es erneut aktiviert werden und entsprechende Symptome verursachen. Die bisher nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen HSV-1 und der Alzheimer-Krankheit waren nur bei einer solchen Reaktivierung von HSV-1 feststellbar.
Das Varizella-Zoster-Virus ist ebenfalls extrem weitverbreitet und rund 95 Prozent der Menschen haben sich vor dem 20. Lebensjahr bereits infiziert, wobei sich die Erstinfektion meist als Windpocken äußert, erläutert das Team. Das Virus könne ebenfalls im Körper verbleiben und bei Reaktivierung eine Gürtelrose verursachen.
Alzheimer und Herpesviren
In früheren Studien wurde bereits eine Verbindung zwischen Herpesviren und Alzheimer festgestellt, die zugrundeliegenden Mechanismen blieben dabei allerdings unklar.
Deutlich wurde, dass HSV-1 (eine der Hauptvarianten des Virus) in den Neuronen des Gehirns schlummert und bei einer Reaktivierung zur Anhäufung von Tau- und Amyloid-Beta-Proteinen sowie dem Verlust der neuronalen Funktionen führen kann, was typische Merkmale der Alzheimer-Krankheit sind.
Es gibt „eine Reihe von Belegen, die HSV mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko bei Patienten in Verbindung bringen”, betont Professor David Kaplan von der School of Engineering an der Tufts University.
„Wir wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen HSV-1 und der Alzheimer-Krankheit gibt, und es gibt Hinweise auf eine Beteiligung von Varizella-Zoster-Viren, aber wir kannten nicht die Abfolge der Ereignisse, die die Viren auslösen, um die Krankheit in Gang zu setzen“, so Kaplan weiter.
Untersuchung im Gehirnmodell
Zur Untersuchung der Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen den Viren und Alzheimer haben die Forschenden ein dreidimensionales menschliches Gewebekulturmodell aus kleinen, sechs Millimeter breiten Seidenprotein-Kollagen-Schwämmen geschaffen, das das Gehirn nachahmt.
Die Schwämme wurden mit neuronalen Stammzellen besiedelt, die zu funktionsfähigen Neuronen heranwuchsen, welche in der Lage waren, Signale untereinander in einem Netzwerk weiterzuleiten, so wie es im Gehirn geschieht.
Einige der Stammzellen bildeten auch Gliazellen, die typischerweise im Gehirn zu finden sind und dazu beitragen, die Neuronen am Leben und funktionsfähig zu halten, berichtet das Forschungsteam.
Varizella-Zoster-Viren reaktivieren HSV-1
Bei einer Infektion alleine mit Varizella-Zoster-Viren sei keine Bildung der charakteristischen Alzheimer-Proteine Tau und Beta-Amyloid feststellbar gewesen und die Funktion der Neuronen habe nicht gelitten.
Beherbergten die Neuronen jedoch bereits ruhende HSV-1, führte das Varizella-Zoster-Virus zu deren Reaktivierung, begleitet von einem dramatischen Anstieg der Tau- und Beta-Amyloid-Proteine. Gleichzeitig begannen die neuronalen Signale sich zu verlangsamen.
„Es handelt sich um einen Doppelschlag zweier Viren, die sehr häufig vorkommen und normalerweise harmlos sind”, so die Studienautorin Dana Cairns von der Tufts University. Die Studie zeige, dass Probleme auftreten können, wenn eine neue Exposition gegenüber Varizella-Zoster-Viren das ruhende HSV-1 aufweckt.
HSV-1-Aktivierung fördert Alzheimer
Professor Kaplan ergänzt, dass Varizella-Zoster-Viren aus vielen klinischen Fällen dafür bekannt sind, Entzündungen im Gehirn auszulösen, was möglicherweise zu einer Aktivierung des ruhenden HSV und einer verstärkten Entzündung führen könne.
Wiederholte Zyklen der HSV-1-Aktivierung könnten zu weiteren Entzündungen im Gehirn, zur Bildung von Plaques und zur Akkumulation von neuronalen und kognitiven Schäden führen, erläutern die Forschenden.
Impfung könnte helfen
Weiterhin sei bekannt, dass eine Impfung gegen Varizella-Zoster-Viren zur Vorbeugung von Windpocken und Gürtelrose auch das Demenz-Risiko reduziert. Möglicherweise trage der Impfstoff dazu bei, den Kreislauf aus viraler Reaktivierung, Entzündung und neuronaler Schädigung zu unterbrechen.
Ähnliche Mechanismen bei COVID-19?
Die Forschenden weisen abschließend auch auf die langfristigen neurologischen Auswirkungen hin, die nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2-Virus auftreten können. (siehe COVID-19 als Auslöser Alzheimer ähnlicher Demenz?) Diese könnten im Zusammenhang damit stehen, dass sowohl Varizella-Zoster-Viren als auch HSV-1 durch COVID-19 reaktiviert werden können. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Dana Cairns, Ruth F. Itzhaki, David L. Kaplan: Potential Involvement of Varicella Zoster Virus in Alzheimer’s Disease via Reactivation of Quiescent Herpes Simplex Virus Type 1; in: Journal of Alzheimer´s Disease (veröffentlicht 20.06.2022), content.iospress.com
- Tufts University: Common viruses may be triggering the onset of Alzheimer’s disease (veröffentlicht 29.06.2022), eurekalert.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.