Alzheimer: Marker früh auffällig
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz und eine unheilbare Störung des Gehirns. Heilen oder stoppen lässt sich die Erkrankung bislang nicht. Es gibt jedoch Möglichkeiten, die Krankheit und ihre Folgeerscheinungen zu behandeln. Hilfreich ist hierbei eine möglichst frühe Diagnose und ein schneller Behandlungsbeginn. Neue Erkenntnisse aus der Forschung zeigen nun, dass bestimmte Entzündungsmarker bereits auffällig sind, wenn es noch keine Demenz-Symptome gibt.
Bereits lange vor dem Auftreten von Demenz gibt es Anzeichen für eine erhöhte Aktivität des Immunsystems des Gehirns. Zu dieser Einschätzung kommen Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) und des Universitätsklinikums Bonn (UKB) auf der Grundlage einer Studie an mehr als 1.000 älteren Erwachsenen. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Neuron“ veröffentlicht.
Neuroinflammation bestimmt Entwicklung der Erkrankung mit
Wie in einer aktuellen Mitteilung erklärt wird, hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass das Immunsystem des Gehirns und darauf zurückgehende Entzündungsprozesse – auch „Neuroinflammation“ genannt – die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung maßgeblich mitbestimmen.
Vor diesem Hintergrund analysierten die Forschenden verschiedene immunologische Biomarker, die sich durch gute Nachweisbarkeit im Nervenwasser und reproduzierbare Ergebnisse auszeichnen.
„Man wusste bereits, dass diese Marker auf Immunprozesse im Kontext der Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Bisher allerdings hatte man nicht so umfassend untersucht, wie wir es nun getan haben, wie diese Marker mit Hirnvolumen, kognitiver Leistung und anderen Parametern zusammenhängen“, erklärt Prof. Michael Heneka, der die aktuelle Studie leitete.
„Wir haben festgestellt, dass manche dieser Entzündungsmarker schon dann auffällig sind, wenn es noch keine Symptome von Demenz gibt“, sagt Heneka. „Anhand der bisher vorliegenden Daten können wir die Vorlaufzeit noch nicht spezifizieren. Aber nach meiner Einschätzung beträgt sie mindestens zehn bis zwanzig Jahre.“
Auch ohne Demenz auffällig
Ausgangspunkt der Untersuchungen waren Daten der sogenannten DELCODE-Studie, in deren Rahmen das DZNE gemeinsam mit bundesweit mehreren Universitätskliniken Demenz sowie deren Vorstadium erforscht. In das aktuelle Studienprojekt flossen Befunde von rund 300 Personen ein, alle im Alter über 60 Jahre.
Zur Gruppe der Probandinnen und Probanden zählten neben kognitiv unauffälligen Erwachsenen auch solche mit Gedächtnisproblemen unterschiedlich starker Ausprägung sowie Personen mit Alzheimer-Demenz. Von allen Studienteilnehmendem lagen Proben des Nervenwassers sowie standardisierte Gedächtnistests vor, von den meisten auch per Magnetresonanztomographie generierte Aufnahmen des Gehirns.
Die Daten umfassten neben der Eingangsuntersuchung mindestens eine Nachuntersuchung ein Jahr später. Bei manchen Teilnehmenden erstreckten sich die Befunde auf mehrere Nachuntersuchungen aus einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren.
„Es gibt etablierte Biomarker für Amyloid und Tau. Das sind Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung im Gehirn ansammeln und auch im Nervenwasser nachweisen lassen. Deren Messspiegel verändern sich in der Regel noch bevor Symptome von Demenz auftreten, was als Zeichen für nervenschädigende Prozesse gilt. Wir wollten wissen, ob die Entzündungsmarker in ähnlicher Weise anschlagen“, so Dr. Frederic Brosseron, Wissenschaftler am DZNE und einer der Erstautoren der aktuellen Veröffentlichung.
„Tatsächlich haben wir festgestellt, dass die meisten Entzündungsmarker erhöht sind, insbesondere wenn ein Marker für Nervenzellschäden erhöht ist. Das gilt auch, wenn diese Personen noch keine Symptome von Demenz aufweisen. Die von uns erfassten Entzündungsmarker eignen sich also insbesondere, um Neuroinflammation in frühen Krankheitsstadien zu untersuchen.“
Interessanter Ansatzpunkt für weitere Forschung
Den Angaben zufolge scheinen insbesondere zwei dieser Marker – Proteine der „TAM-Rezeptor-Familie“ – mit einem Schadensbegrenzungsprogramm zusammenzuhängen. Denn bei Probandinnen und Probanden mit besonders hohen Werten dieser Marker war das Hirnvolumen vergleichsweise groß und die kognitiven Funktionen gingen im zeitlichen Verlauf langsamer zurück.
Um diese Befunde zu verifizieren, analysierten die Forscherinnen und Forscher die Daten einer Studienkohorte des ACE Alzheimer Center Barcelona mit über 700 Erwachsenen und überwiegend milden kognitiven Beeinträchtigungen. Das Fazit: Die Ergebnisse aus der DELCODE-Studie wurden bestätigt.
„Entzündungsprozesse sind per se nicht schlecht, sondern vor allem zu Beginn eine normale, schützende Reaktion des Immunsystems auf bedrohliche Reize. Aber sie dürfen nicht zu lange andauern, dafür müssen sie reguliert werden“, erklärt Heneka. Von den Proteinen der TAM-Familie sei laut dem Experten bekannt, dass sie Immunreaktionen beeinflussen und die zelluläre Abfallbeseitigung fördern.
„Diese Schutzfunktion zu unterstützen, wäre ein interessanter Ansatzpunkt für die Pharma-Forschung. Hier sehe ich Anwendungspotenzial für die von uns identifizierten Marker. Für die Früherkennung von Demenz im Rahmen der Routineversorgung ist die Messung dieser Marker zu aufwändig. Aber bei der Erprobung neuer Medikamente in klinischen Studien gibt es andere technische Möglichkeiten. Für solche Studien benötigt man Indikatoren, um bewerten zu können, ob Maßnahmen anschlagen und getestete Arzneimittel wirksam sind. Die TAM-Marker könnten dafür sehr nützlich sein.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen: Alzheimer-Forschung: Entzündungsmarker frühzeitig auffällig, (Abruf: 12.01.2022), Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
- Frederic Brosseron, Anne Maass, Luca Kleineidam et al.: Soluble TAM receptors sAXL and sTyro3 predict structural and functional protection in Alzheimer’s disease; in: Neuron, (veröffentlicht: 06.01.2022), Neuron
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.