Demenz: Wirkstoff gegen Schädigungen durch Alzheimer
Trotz des großen Wissenszuwachses der letzten Jahrzehnte und der Entwicklung neuer Medikamente stagnierte die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung. Doch Forschende berichten nun über einen Wirkstoffkandidaten, der typischen Schädigungen durch die Alzheimer entgegenwirken könnte.
Die Alzheimer-Demenz ist laut Fachleuten die häufigste altersbedingte neurodegenerative Erkrankung. Heilbar ist die Krankheit bislang nicht. Doch durch bestimmte Arzneimittel können Symptome und Begleiterscheinungen gelindert werden. Auch ein Naturstoff könnte womöglich hierbei hilfreich sein.
Schutz vor Schäden
Laut einer aktuellen Mitteilung der Eberhard Karls Universität Tübingen reduziert der aus Bodenbakterien isolierte Naturstoff Collinolacton im Laborversuch künstlich verursachten Stress auf Nervenzellen und schützt sie dadurch vor Schäden, wie sie bei neurodegenerativen Erkrankungen auftreten.
Dies fand ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Stephanie Grond vom Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen in einer Studie heraus, die nun in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ veröffentlicht wurde.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiesen zudem nach, dass das Molekül Collinolacton in seiner chemischen Struktur identisch ist mit dem Stoff Rhizolutin, der aus Bakterien an den Wurzeln der asiatischen Heilpflanze Ginseng isoliert wurde.
Bereits im vergangenen Jahr hatte ein koreanisches Forschungsteam entdeckt, dass Rhizolutin im Tierversuch die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Proteinzusammenlagerungen um Nervenzellen auflösen kann.
Die meisten Kandidaten erwiesen sich als unbrauchbar
Unter den neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen die Nervenzellen des zentralen Nervensystems nach und nach zerstört werden, spielt die Alzheimer-Demenz mit etwa 50 bis 75 Prozent der Krankheitsfälle eine große Rolle.
Typisch für diese bisher unheilbare Krankheit sind Ablagerungen außerhalb der Nervenzellen im Gehirn, die aus fehlgefalteten Amyloid-Beta-Proteinen und verknäuelten Tau-Proteinen bestehen.
Die meisten der über hundert Stoffkandidaten, die seit 2003 klinisch auf die Eigenschaft getestet wurden, die Alzheimer-Plaques aufzulösen, erwiesen sich als unbrauchbar.
„In der Forschung müssen wir uns daher neuen chemischen Strukturen zuwenden. Collinolacton ist interessant, da es sich mit seinem ungewöhnlichen Kohlenstoffgerüst aus drei verknüpften Ringen mit seltener 6-10-7-Kombination der Ringe grundlegend von bisher getesteten Stoffen unterscheidet“, so Stephanie Grond.
Zunächst nicht für pharmazeutische Zwecke untersucht
Wie in der Mitteilung erklärt wird, wurde Collinolacton schon vor mehr als 20 Jahren aus dem Bodenbakterium Streptomyces collinus isoliert. Weil es keine antimikrobielle Wirkung gegen andere Bakterien oder Pilze aufwies, wurde es für pharmazeutische Zwecke damals nicht näher untersucht.
Als die Forscherinnen und Forscher das erst kürzlich neu beschriebene Rhizolutin mit Collinolacton verglichen, stellte sich heraus, dass beiden Stoffstrukturen das gleiche Kohlenstoffgerüst zugrunde liegt.
„Wir haben die früher veröffentlichten Daten zu Rhizolutin neu ausgewertet und dessen chemische Struktur korrigiert. Nun ist klar, dass die korrekte Struktur identisch ist mit dem schon bekannten Collinolacton“, erläutert Julian Schmid, Erstautor der Studie und Doktorand in Gronds Arbeitsgruppe.
Die Forschenden der Mikrobiologie analysierten im nächsten Schritt, welche Gencluster in den Streptomyces-Bakterien für die Herstellung des Collinolactons verantwortlich sind, und entwickelten gentechnisch einen Streptomyceten-Stamm, der den Stoff in erheblich gesteigerter Menge produziert und so erst weitergehende Studien ermöglichte.
Nur ein Stoff hatte schützende Wirkung
Von Collinolacton stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler chemische Abkömmlinge her und veränderten verschiedene Seitengruppen an der Grundstruktur. All diese Stoffe wurden im Labor dann auf ihren Einfluss auf künstlich in Stress versetzte Nervenzellen getestet.
„Nur der unveränderte Naturstoff Collinolacton hatte die schützende Wirkung auf Nervenzellen“, sagt Grond. Den Angaben zufolge sei diese ganz unabhängig zu sehen von der zuvor belegten Wirkung des Rhizolutins, welches in Labor- und Tierversuchen die bei der Alzheimer-Krankheit typischen Plaques auflösen konnte.
Nach Einschätzung des Teams lassen sich diese Ergebnisse gleichsetzen für Collinolacton. „Beide Eigenschaften zusammen machen Collinolacton interessant als Stoffkandidaten für die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten“, so die Forscherin.
Denn die Tierversuche mit Rhizolutin hätten schon ergeben, dass der Stoff ins Säugerhirn gelangt und dort seine Wirkung bei den Nervenzellen entfalten kann. Weitere Tests müssten jetzt zeigen, ob sich Collinolacton als Wirkstoff zu einem Medikament weiterentwickeln lasse. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Eberhard Karls Universität Tübingen: Schützt Nervenzellen vor dem Niedergang: ein ungewöhnliches Molekül als Schutzschild, (Abruf: 05.10.2021), Eberhard Karls Universität Tübingen
- Julian C. Schmid, Kerstin Frey, Matthias Scheiner, Jaime Felipe Guerrero Garzón, Luise Stafforst, Jan-Niklas Fricke, Michaela Schuppe, Hajo Schiewe, Axel Zeeck, Tilmann Weber, Isabel Usón, Ralf Kemkemer, Michael Decker & Stephanie Grond: The Structure of Cyclodecatriene Collinolactone, its Biosynthesis, and Semisynthetic Analogues: Effects of Monoastral Phenotype and Protection from Intracellular Oxidative Stress; in: Angewandte Chemie, (veröffentlicht: 20.08.2021), Angewandte Chemie
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