Alzheimer schon Jahre vor dem Ausbruch erkennbar?
Mehrfach wurden in den vergangenen Jahren vermeintlich revolutionäre Heilungsmethoden gegen Alzheimer propagiert, doch bis heute ist die Erkrankung nicht heilbar, sondern lediglich ihr Verlauf lässt sich bremsen. Hierfür ist eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung entscheidend. Als Frühzeichen könnten dabei bestimmte Proteine im Nervenwasser dienen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie an der Ludwig-Maximillians-Universität (LMU) in München.
Bereits Jahre bevor die Krankheit offensichtlich wird, sind die Immunzellen des Gehirns schon aktiv, berichten die Wissenschaftler. „Diese abnormen Immunreaktionen lassen sich anhand der Konzentration eines Proteins nachweisen“, so die Mitteilung der LMU weiter. Auf diese Weise könnte anhand der Proteine in Zukunft deutlich früher als bisher eine entsprechende Diagnose gestellt werden, was auch die Behandlungsoptionen entscheidend verbessern würde. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Wissenschaftler in dem Fachmagazin „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
Abnorme Immunreaktion lange vor dem Krankheitsausbruch
Welche Rolle das Immunsystem im Gehirn bei der Alzheimer-Erkrankung spielt, blieb bislang noch weitgehend unklar. Das Forscherteam um Christian Haass, Inhaber des Lehrstuhls für Stoffwechselbiochemie der LMU, und Michael Ewers, Professor am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der LMU, konnte in seiner aktuellen Studie nun eine frühzeitige Immunantwort bei Personen mit einer genetischen Veranlagung für Alzheimer feststellen. Rund sieben Jahre vor dem erwarteten Ausbruch der ersten Demenz-Symptome seien in dem Gehirn der Betroffenen bereits „abnorme Immunreaktionen“ aufgetreten, berichten die Wissenschaftler.
Konzentration des Proteins TREM2 im Nervenwasser
Insgesamt wurden 127 Personen mit einer genetischen Veranlagung für Alzheimer in die Untersuchung einbezogen. Ihr Durchschnittsalter lag bei 40 Jahre und die überwiegende Mehrheit zeigte laut Aussage der Forscher „noch keine Symptome einer Demenz oder hatte nur sehr geringe kognitive Beeinträchtigungen.“ Anhand der Konzentration des Eiweißstoffes „TREM2“ im Nervenwasser konnten die Wissenschaftler laut Mitteilung der LMU schon früh eine ansteigende Immunaktivität im Gehirn der Probanden nachweisen.
Fresszellen setzen Protein frei
Das Protein TREM2 wird von den Fresszellen des Gehirns, den sogenannten Mikroglia, freigesetzt und spiegelt deren Aktivität wider, erläutern die Forscher. Da sich bei der genetisch bedingten Form der Alzheimer-Krankheit der Zeitpunkt für den Ausbruch der Demenz relativ präzise vorhersagen lässt, konnten die Münchner Wissenschaftler die Zunahme der TREM2-Werte bereits Jahre vor dem erwarteten Auftreten von Demenz-Symptomen dokumentieren, so die Mitteilung der LMU.
Krankheitsverlauf besser nachvollziehbar
Anhand der Ergebnisse werde erstmals deutlich, „dass sich bei Alzheimer entzündliche Prozesse im Gehirn dynamisch entwickeln und dass sie Vorläufer der Demenz sind“, berichten die Experten. Mit Hilfe des Proteins lasse sich diese Immunreaktion im Nervenwasser abbilden, was die Möglichkeit biete, den Krankheitsverlauf nachzuvollziehen. Stimuliert werde „die Aktivität der Fresszellen durch sterbende Hirnzellen, nicht durch die Ablagerungen von Amyloid-Proteinen, den sogenannte Plaques, die bei Alzheimer ja ebenfalls auftreten“, betont Christian Haass.
Biomarker allgemein für Alzheimer-Erkrankungen gültig?
Nach Ansicht der Forscher könnten ihre Ergebnisse auch für die sogenannten sporadischen Alzheimer-Erkrankungen gelten, welche nicht zu der vererbbaren Form der Krankheit zählen und weitaus häufiger vorkommen. „Der TREM2-Wert könnte ein Biomarker sein, an dem sich die Immunaktivität im Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung erkennen lässt, unabhängig davon, ob die Erkrankung genetisch bedingt ist oder nicht“, betont Prof. Ewers.
Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten der neuen Erkenntnisse
Weiter hoffen die Wissenschaftler, dass sich ihre Erkenntnisse auch zu therapeutischen Zwecken nutzen lassen. „Möglicherweise eignet sich der TREM2-Wert als therapeutischer Marker, an dem man die Reaktion auf eine medikamentöse Behandlung ablesen kann“, so Ewers. Auch haben die „Fresszellen möglicherweise eine Schutzfunktion, die jedoch im Zuge der Erkrankung zum Erliegen kommt“, ergänzt Haass. Derzeit werde daher an Wirkstoffen geforscht, um die Aktivität der Fresszellen zu erhöhen. Auch die Anwendung des TREM2-Werts als Marker soll in weiteren Studien überprüft werden. Die aktuelle Untersuchung fand im Rahmen des sogenannten DIAN-Projekts (Dominantly Inherited Alzheimer Network) statt, einem weltweiten Verbund zur Erforschung der vererbten Form der Alzheimer-Erkrankung. (fp)
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