Demenz: Alzheimer im Blut aufspüren
In Deutschland leben rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Der Verlauf der Erkrankung lässt sich durch verschiedene Medikamente und nicht medikamentöse Behandlungen positiv beeinflussen – aufhalten oder heilen kann man sie jedoch nicht. Eine möglichst frühe Diagnose ist wichtig, um alle therapeutischen Möglichkeiten auszuloten. Helfen könnte dabei auch ein Bluttest.
Laut einer aktuellen Mitteilung der Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt will Empa-Forscher Peter Nirmalraj Proteine in nie gekannter Präzision ablichten – und damit Einblicke in das molekulare Krankheitsgeschehen von Alzheimer gewinnen. Das soll den Weg zu einer früheren und vereinfachten Diagnose der Demenzerkrankung über einen Bluttest ermöglichen. Gemeinsam mit der Klinik für Neurologie des Kantonsspital St.Gallen konnte jetzt eine erfolgreiche Pilotstudie abgeschlossen werden.
Diagnose mittels Rasterkraftmikroskopie
Wenn sich der Verdacht auf eine Alzheimer-Erkrankung einschleicht, müssen sich die Betroffenen auf langwierige und aufwändige Prozeduren einstellen, bis der Fall klar ist. Ein Team der Empa und des Kantonsspital St. Gallen ist jetzt dabei, einen Bluttest zu entwickeln, der die Diagnose mittels Rasterkraftmikroskopie (AFM) ermöglichen soll. Die Ergebnisse einer erfolgreichen Pilotstudie wurden nun in dem Fachmagazin „Science Advances“ veröffentlicht.
Beobachtungen im Nanometerbereich im Blut
Am Anfang stand für den Physiker Peter Nirmalraj der Wunsch, das Krankheitsgeschehen von Alzheimer zu verstehen, um neue Wege in Diagnostik und Behandlung zu ermöglichen. Einen Schritt weiter wäre man, wenn die genaue Rolle der Beta-Amyloid-Peptide sowie der Tau-Proteine, die im Zusammenhang mit der neurodegenerativen Krankheit stehen, entschlüsselt wäre.
Daher hatte sich der Wissenschaftler vorgenommen, nicht nur die bloße Anwesenheit der verdächtigen Eiweiße zu registrieren, sondern auch ihre veränderbare Gestalt und Form sowie ihre Anzahl zu bestimmen.
Zwar ermöglichen es gängige Methoden, die Gesamtmenge der beiden Eiweiße in Körperflüssigkeiten zu bestimmen, doch diese Techniken erlauben es nicht, Unterschiede in der Gestalt und dem Zustand der Proteinansammlungen sichtbar zu machen.
Darum arbeitet der Forscher an Technologien, welche Beobachtungen im Nanometerbereich im Blut ermöglichen und dennoch die Struktur und Morphologie der Eiweiße nicht zerstören.
Große Mengen von Proteinfasern
Gemeinsam mit Neurologen am Kantonsspital St. Gallen konnte Nirmalraj jetzt eine erste Studie erfolgreich abschließen. Dafür untersuchte er Blutproben von 50 Patientinnen und Patienten sowie 16 gesunden Versuchspersonen. Mittels AFM-Technologie analysierte der Forscher hierzu die Oberfläche von rund 1.000 roten Blutkörperchen pro Person, ohne aber Informationen über deren Gesundheitszustand zu kennen. „Nur so konnte garantiert werden, dass die Interpretation der Daten objektiv blieb“, erläutert Nirmalraj.
Der Wissenschaftler vermaß Größe, Struktur und Beschaffenheit von Protein-Ansammlungen, die sich auf den Blutkörperchen befanden. Nach Tausenden von roten Blutkörperchen erwartete das Forschungsteam gespannt den Abgleich der Ergebnisse aus Nirmalraj’s Zählungen mit den klinischen Daten der Neurologen.
Und tatsächlich konnten die Forschenden ein Muster erkennen, das zum Krankheitsstadium der Versuchspersonen passt: Menschen, die an Alzheimer erkrankt waren, wiesen große Mengen von Proteinfasern aus Beta-Amyloid-Peptiden und Tau-Proteinen auf.
Die Proteine konnten sich dabei zu Fasern von mehreren hundert Nanometern Länge zusammenfügen. Bei gesunden Personen oder jenen mit beginnenden Hirnleistungsstörungen zählte Nirmalraj hingegen nur wenige Fasern.
Machbarkeit einer Blutanalyse erwiesen
Laut dem Empa-Forscher sei damit die Machbarkeit einer Blutanalyse mittels AFM-Technologie erwiesen: „Sollte sich mit dieser Methode ein zuverlässiger Bluttest entwickeln lassen, bliebe Menschen mit Verdacht auf Alzheimer die unangenehme Punktion des Rückenmarkkanals erspart, um die Krankheit eindeutig diagnostizieren zu können.“
Bis ein einfacher Bluttest zur Verfügung steht, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Als nächstes möchte das Team nun die Daten durch die Untersuchung einer größeren Zahl an Versuchspersonen in verschiedenen Krankheitsstadien mittels AFM und chemischen Analysen erhärten. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt: Neue Diagnostik für Alzheimer? Demenz im Blut aufspüren, (Abruf: 27.09.2021), Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
- PN Nirmalraj, T Schneider, A Felbecker: Spatial organization of protein aggregates on red blood cells as physical biomarkers of Alzheimer’s disease pathology; in: Science Advances, (veröffentlicht: 24.09.2021), Science Advances
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.