Alzheimer: Einsatz eines Krebsmedikaments?
Die Alzheimer-Demenz ist die häufigste altersbedingte neurodegenerative Erkrankung. Heilbar ist sie bislang nicht. Doch durch bestimmte Arzneimittel können Symptome und Begleiterscheinungen der Krankheit gelindert werden. Auch ein Krebsmedikament könnte zum Einsatz kommen.
Trotz des großen Wissenszuwachses der letzten Jahre und der Entwicklung neuer Medikamente stagnierte die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung. Wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, haben hoffnungsvolle Therapieansätze in der klinischen Prüfung enttäuscht. Doch eine Phase-2-Studie gibt jetzt ein positives Signal für den Einsatz von Nilotinib, eigentlich ein Krebsmedikament, zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung.
Proteinablagerungen wurden reduziert
Morbus Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. Allein in Deutschland sind davon rund 1,2 Millionen Menschen betroffen. Stoppen lässt sich die Erkrankung bislang nicht. Doch es gibt Möglichkeiten, Alzheimer und ihre Folgeerscheinungen zu behandeln. Möglicherweise auch mit dem Krebsmedikament Nilotinib. Dieses wird bereits für die Behandlung einer bestimmten Form der Leukämie eingesetzt.
Nilotinb ist ein sogenannter Tyrosinkinase-Inhibitor und blockiert bestimmte Schritte im Stoffwechsel der Krebszellen und hemmt ihr Wachstum, erklärt die DGN. Bei der Alzheimer-Erkrankung, einer chronischen neurodegenerativen Erkrankung, kommt es zur Produktion von fehlerhaften beziehungsweise fehlgefalteten Proteinen (Beta-Amyloid, Tau-Protein), welche sich im Gehirn der Betroffenen in Form von Plaques oder als faserartige Fibrillen ablagern.
Nilotinib reduzierte im Alzheimer-Tiermodell die Proteinablagerungen und fördert deren Abbau. In einer klinischen Phase-II-Studie wurden jetzt randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert die Sicherheit und Verträglichkeit der Substanz sowie ihre Pharmakokinetik beziehungsweise die Wirkung auf verschiedene Alzheimer-Biomarker untersucht.
37 Erkrankte (davon 27 Frauen) zwischen 50 und 85 Jahren (im Mittel 70,7±6,48 Jahre) mit leicht bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz wurden zunächst für mindestens einen Monat stabil auf eine einheitliche medikamentöse Therapie eingestellt (Acetylcholinesterase-Hemmer, Galantamin, Rivastigmin oder Donepezil). Den Angaben zufolge erfolgten Ausgangsuntersuchungen des Gehirns (Positronen-Emissions-Tomographie und MRT) sowie der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor).
Die Patientinnen und Patienten wurden 1:1 in zwei Gruppen randomisiert und erhielten über 26 Wochen entweder einmal täglich oral 150 mg Nilotinib, gefolgt von 300 mg täglich für weitere 26 Wochen – oder Placebo.
Medikament wurde gut vertragen
Im Ergebnis zeigte die PET-Bildgebung, dass in der Nilotinib-Gruppe die Amyloid-Plaques im Frontallappen des Hirns gegenüber der Placebogruppe signifikant zurückgegangen waren. Im Liquor waren relevante Konzentrationen von Nilotinib nachweisbar; außerdem sanken die Konzentration von Beta-Amyloid-40 bereits nach sechs Monaten und von Beta-Amyloid-42 nach zwölf Monaten deutlich ab.
Auch die Tau-Protein-Menge („Phospho-Tau-181“) war nach sechs und zwölf Monaten rückläufig und der Volumenverlust des Hippocampus, eine Hirnregion die für das Gedächtnis wichtig ist, war im MRT-Bild nach zwölf Monaten um 27 Prozent geringer ausgeprägt als in der Placebogruppe.
Nilotinib wurde von den Patientinnen und Patienten gut vertragen, mit 300 mg gab es mehr Nebenwirkungen (besonders Stimmungsschwankungen) als mit 150 mg. Schwere unerwünschte Ereignisse gab es in der Nilotinib-Gruppe nicht, in der Placebogruppe traten bei drei Erkrankten insgesamt fünf Ereignisse auf (Rhabdomyolyse, Bronchitis, Hypotonie, Schwindelattacke). Schwere kardiale Nebenwirkungen (wie sie in der Onkologie unter 600 mg/d beschrieben sind) gab es aber nicht.
Orientierende klinische Tests wie der MMST („Mini-Mental-Status-Test“) und ADAS-Cog („Alzheimer’s Disease Assessment Scale“) zur Objektivierung kognitiver Fähigkeiten (Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit / Rechenfähigkeit, Sprache) zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen, aber eine Tendenz zu besseren Werten in der Nilotinib-Gruppe.
Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Annals of Neurology“ veröffentlicht.
Positives Signal für die Alzheimer-Forschung
„Diese relativ kleine Studie hat zunächst in erster Linie Sicherheit, Verträglichkeit und Effekte von Nilotinib auf Alzheimer-Biomarker untersucht – und das erfolgreich“, erklärt Prof. Dr. Richard Dodel, Geriater und Neurologe an der Universität Duisburg-Essen.
„Die Studie hatte jedoch zu wenige Patienten bzw. war gar nicht dazu konzipiert, um eine Verlaufsbeurteilung der Demenz zu ermöglichen. Dennoch hoffen wir darauf, dass sich der positive Trend hinsichtlich der kognitiven Tests künftig in großen klinischen Studien bestätigen lässt. Möglicherweise muss man die Patienten auch in noch früheren Erkrankungsstadien behandeln, um langfristig krankheitsmodifizierende Vorteile zu sehen“, so der Mediziner.
„Nach den negativen Ausgang von Studien zu verschiedenen, zunächst sehr hoffnungsvollen Therapieansätzen ist diese Studie ein positives Signal für die Alzheimer-Forschung. Angesichts der steigenden Zahlen der Betroffenen, stehen wir im Wettlauf mit der Zeit. Eine wirksame Therapie, die die Progression der Erkrankung aufhält, wäre ein Segen für die gesamte Menschheit“, sagt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN): Neue Hoffnung für Alzheimer-Patienten: Positive Signale für den Einsatz eines Krebsmedikaments, (Abruf: 18.07.2020), Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
- Turner RS, Hebron ML, Lawler A et al.: Nilotinib Effects on Safety, Tolerability, and Biomarkers in Alzheimer's Disease; in: Annals of Neurology, (veröffentlicht: 28.05.2020), Annals of Neurology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.