Darminfektionen mit einem weit verbreiteten Virus scheinen bei einigen Menschen die Entwicklung von Alzheimer zu verursachen. Über den Vagusnerv gelangen die Viren in das Gehirn und fördern dort die Ablagerung von Amyloid und Tau-Proteinen sowie die Degeneration und das Absterben von Neuronen.
Ein Forschungsteam unter Leitung von Fachleuten der Arizona State University und des Banner Alzheimer’s Institute hat in einer aktuellen Studie den Zusammenhang zwischen Darminfektionen mit dem Zytomegalievirus (CMV) und Alzheimer-Erkrankungen nachgewiesen. Die Studienergebnisse sind in dem Fachmagazin „Alzheimer’s & Dementia“ veröffentlicht.
Verursachen Viren Alzheimer?
Schon vor über 100 Jahren kam erstmals die Idee auf, dass schädliche Viren oder Mikroben bei der Entwicklung von Alzheimer eine Rolle spielen könnten, doch konnte bisher kein einzelner Erreger einheitlich mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden, erläutern die Forschenden.
Das Team hatte zudem vor wenigen Monaten bereits eine Studie in dem Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen speziellen Mikroglia (CD83(+)-Mikroglia) im Gehirn und Alzheimer-Erkrankungen aufzeigte. Auch entdecken sie eine Verbindung mit einem bestimmten Antikörper im Darm.
Mikroglia sind Immunzellen des Gehirns, die aktiviert werden, wenn sie auf Infektionen reagieren, und obwohl sie zunächst schützend wirken, kann eine anhaltende Zunahme der Mikrogliaaktivität zu chronischen Entzündungen und neuronalen Schäden führen, so das Forschungsteam.
Dies werde mit dem Fortschreiten neurodegenerativer Erkrankungen, einschließlich Alzheimer, in Zusammenhang gebracht und angesichts der Ergebnisse habe der Verdacht nahe gelegen, dass zwischen dem entdeckten Antikörper im Darm und den CD83(+)-Mikroglia im Gehirn eine Verbindung bestehe.
Zytomegalievirus als Auslöser
Daher versuchten die Forschenden in der neuen Studie herauszufinden, was die Produktion der Antikörper im Darm antreiben könnte, und sie entdeckten, dass die Antikörper speziell gegen CMV gerichtet waren.
Bei der Untersuchung von Gewebeproben verstorbener Alzheimer-Patientinnen und -Patienten konnten sie das Virus zudem im Darm und im Vagusnerv nachweisen, was darauf hindeutet, dass CMV auf diese Weise in das Gehirn gelangt.
In weiteren Modellversuchung zeigte sich, dass der Kontakt mit dem Virus die Produktion von Amyloid und phosphorylierten Tau-Proteinen erhöht und zur Degeneration und dem Absterben von Neuronen beiträgt, berichtet das Team.
Wie verbreitet ist das Virus?
Eine Infektion mit dem Zytomegalievirus kann laut den Fachleuten bei Menschen jeden Alters auftreten und das Virus sei äußerst weit verbreitet. So weisen etwa 80 Prozent der Menschen bis zum Alter von 80 Jahren Antikörper gegen CMV auf, erläutern die Forschenden.
Bei den meisten Betroffenen verlaufe die Infektion allerdings ohne Symptome oder äußere sich als leichte, grippeähnliche Erkrankung. Bei manchen Menschen verursache das Virus jedoch offenbar eine chronische Darminfektion.
Bei ihnen gelange das Virus in den Blutkreislauf oder wandere über den Vagusnerv zum Gehirn, wo es von den Immunzellen des Gehirns erkannt werde, deren dauerhafte Aktivierung zu der Entwicklung von Alzheimer beitragen kann. Der bloße Kontakt mit dem Virus sei hier allerdings kein Grund zur Sorge.
„Wir glauben, dass wir einen biologisch einzigartigen Subtyp von Alzheimer gefunden haben, der 25 bis 45 Prozent der Menschen mit dieser Krankheit betreffen könnte“, erklärt der Studienautor Dr. Ben Readhead von der Arizona State University.
„Dieser Subtyp von Alzheimer umfasst die typischen Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen – mikroskopische Hirnanomalien, die zur Diagnose verwendet werden – und weist ein ausgeprägtes biologisches Profil von Viren, Antikörpern und Immunzellen im Gehirn auf“, so Dr. Readhead weiter.
Antivirale Arzneien zur Therapie?
Der entdeckte Zusammenhang zwischen der Virusinfektion und Alzheimer könnte nach Ansicht der Forschenden auch neue Behandlungsansätze eröffnen. Sollten sich die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, seien antivirale Medikamente gegen die chronischen CMV-Infektionen eine vielversprechende Option.
Derzeit arbeiten die Forschenden nach eigenen Angaben bereits an einem Bluttest, um Personen mit dieser Art chronischer intestinaler CMV-Infektion zu identifizieren, denen antivirale Medikamente helfen könnten. Allerdings seien zunächst noch unabhängige Studien erforderlich, um die Ergebnisse und die daraus resultierenden Hypothesen zu überprüfen. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Arizona State University: The surprising role of gut infection in Alzheimer’s disease (veröffentlicht 19.12.2024(, eurekalert.org
- Benjamin P. Readhead, Diego F. Mastroeni, Qi Wang, Maria A. Sierra, Camila de Ávila, Tajudeen O. Jimoh, Jean-Vianney Haure-Mirande, Kristina E. Atanasoff, Jennifer Nolz, Crystal Suazo, Nathaniel J. Barton, Adrian R. Orszulak, Samantha M. Chigas, Khanh Tran, Anne Mirza, Krista Ryon, Jacqueline Proszynski, Deena Najjar, Joel T. Dudley, Sean T. H. Liu, Sam Gandy, Michelle E. Ehrlich, Eric Alsop, Jerry Antone, Rebecca Reiman, Cory Funk, Rebecca L. Best, Michael Jhatro, Kathy Kamath, John Shon, Timothy F. Kowalik, David A. Bennett, Winnie S. Liang, Geidy E. Serrano, Thomas G. Beach, Kendall Van Keuren-Jensen, Christopher E. Mason, Yingleong Chan, Elaine T. Lim, Domenico Tortorella, Eric M. Reiman: Alzheimer's disease-associated CD83(+) microglia are linked with increased immunoglobulin G4 and human cytomegalovirus in the gut, vagal nerve, and brain; in: Alzheimer's & Dementia (veröffentlicht 19.12.2024), onlinelibrary.wiley.com
- Qi Wang, Jerry Antone, Eric Alsop, Rebecca Reiman, Cory Funk, Jaroslav Bendl, Joel T. Dudley, Winnie S. Liang, Timothy L. Karr, Panos Roussos, David A. Bennett, Philip L. De Jager, Geidy E. Serrano, Thomas G. Beach, Kendall Van Keuren-Jensen, Diego Mastroeni, Eric M. Reiman & Benjamin P. Readhead: Single cell transcriptomes and multiscale networks from persons with and without Alzheimer’s disease; in: Nature Communications (veröffentlicht 10.07.2024), nature.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.