Die größten Herausforderungen in der Alzheimer-Forschung
Seit Jahrzehnten versuchen Forschungsteams auf der ganzen Welt eine Heilung für die Alzheimer-Krankheit zu finden. Über 1,5 Millionen Menschen leiden allein in Deutschland unter Demenzerkrankungen. Jährlich kommen rund 300.000 Neuerkrankungen hinzu und die Prävalenz steigt durch das höhere Durchschnittsalter der Bevölkerung immer weiter an. Trotz der Häufigkeit und den globalen Bemühungen ist jedoch keine heilende Therapie in Aussicht. Woran scheitert die Alzheimer-Forschung?
Fachleute der Alzheimer Forschung Initiative e.V. haben in einem aktuellen Artikel die vier größten Herausforderungen in der Alzheimer-Forschung beschrieben, um zu verdeutlichen, warum das Entwickeln einer heilenden Therapie so kompliziert ist.
Grund 1: langer und komplexer Krankheitsverlauf
Der derzeitige Wissensstand über die Alzheimer-Krankheit deutet darauf hin, dass die Demenzerkrankung das Resultat einer Kettenreaktion ist, deren Beginn mitunter 30 Jahren zurückreichen kann. Die unterschiedlichen Veränderungsprozesse greifen langsam alle ineinander und führen letztendlich zum Absterben von Gehirnzellen und zu dem krankheitstypischen Gedächtnisverlust.
„Wenn die ersten Symptome auftauchen, sind in der Regel schon mehrere Jahre bis Jahrzehnte vergangen und die nachweisbaren Hirnveränderungen schon sehr weit fortgeschritten“, erläutert Professor Thomas Arendt. Er ist der Leiter des Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung der Universität Leipzig.
Deshalb sei es schwierig, einen wirksamen therapeutischen Ansatz zu finden. Außerdem gelten die Grundlagen und genauen Ursachen der Alzheimer-Krankheit immer noch als nicht ausreichend verstanden. „Wir können schon kaum nachvollziehen, wie ein gesundes Gehirn arbeitet“, verdeutlicht der Professor. Viele Wechselwirkungen im neuronalen Netz seien unklar. Deshalb sei bei der Alzheimer-Forschung vor allem auch die Grundlagenforschung so wichtig.
Grund 2: Mangel an passenden Modellen
Die oben bereits angedeutete Komplexität der Erkrankung erschwert die Erforschung ebenfalls erheblich, da es keine konkreten Settings oder Modelle gebe, die Alzheimer abbilden können. Die in der Alzheimer-Forschung oft verwendeten Mausmodelle haben Arendt zufolge nur begrenzte Aussagekraft für die Mechanismen der Krankheit, deren Verlauf sich auf mehrere Jahrzehnte erstrecken kann.
Zudem habe sich gezeigt, dass die Ergebnisse bei Mäusen nicht zwangsweise auf den Menschen übertragbar sind, da Alzheimer vor allem die Kognition betreffe – eine typisch menschliche Fähigkeit. „Evolutionär gesprochen, sind Mäuse einfach zu weit weg von der Komplexität, der wir uns bei dieser Erkrankung gegenübersehen“, stellt Professor Arendt klar. Daraus ließe sich der Hinweis ableiten, dass es etwas spezifisch Menschliches geben muss, dass die Krankheit bedingt.
Grund 3: Fehlende Biomarker zur Früherkennung
Alzheimer-Krankheiten werden häufig erst in einem weit fortgeschritten Stadium diagnostiziert. Laut Arendt gibt es bisher noch „keinen Biomarker, mit dem man den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit frühzeitig und niedrigschwellig diagnostizieren kann“. Zahlreiche Forschungsteam arbeiten derzeit an der Identifizierung solcher Früherkennungsmarker, die beispielsweise über einen Bluttest aufgedeckt werden könnten.
Eine solche Methode würde die frühe Diagnose beim Facharzt deutlich erleichtern. Gleichzeitig ließen sich auf diese Weise mehr geeignete Probandinnen und Probanden für die Forschung wfinden, bei denen die Alzheimer-Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten ist.
„Die Verfügbarkeit eines Blut-Biomarkers ist die Voraussetzung für jede wirksame Wirkstoffentwicklung, denn nur so können wir die frühen Erkrankungsstadien identifizieren, in denen eine Behandlung auch Aussicht auf Erfolgt hat“, schildert der Alzheimer-Experte. Arendt ist zuversichtlich, dass es in den nächsten Jahren gelingen werde, einen Bluttest zur Früherkennung anzubieten.
Grund 4: Wirkstoffe müssen die Blut-Hirn-Schranke passieren
Wie Professor Arendt erklärt, ist die Blut-Hirn-Schranke eine wichtige Barriere zwischen unserem Blut und dem Zentralnervensystem. Sie ist wie eine Art Filter, der sicherstellt, dass nur bestimmte Stoffe aus der Blutbahn in das Gehirn gelangen und Abbauprodukte des Hirns wieder heraus geleitet werden.
Die Schutzbarriere verhindert zwar, dass schädliche Substanzen oder Krankheitserreger ins Gehirn gelangen, stellte aber auch für Wirkstoffe ein zusätzliches Hindernis dar. Die meisten Medikamente überwinden die Blut-Hirn-Schranke nicht, wodurch die Entwicklung eines Alzheimer-Medikamentes erschwert wird. „Moderne Methoden des computergestützten Moleküldesigns werden es aber in naher Zukunft erlauben, Wirkstoffe so zu modifizieren, dass sie in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden“, prognostiziert Arendt.
Neues Alzheimer-Medikament in den USA zugelassen
Dass die Alzheimer-Forschung jedoch nicht auf der Stelle tritt, zeigt die kürzliche Zulassung des Medikamentes Aduhelm in den USA. Seit knapp zwei Jahrzehnten ist Aduhelm die erste neue zugelassene Alzheimer-Arznei. Zwar kann das Medikament die Krankheit weder heilen noch stoppen, der enthaltene Wirkstoff Aducanumab beseitigt aber die schädlichen Eiweißablagerungen im Gehirn. Diese Amyloid-Plaques werden mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht.
Laut der Alzheimer Forschung Initiative gibt es bislang jedoch noch kein Nachweis darüber, dass damit auch eine Verbesserung der kognitiven Leistung von Alzheimer-Betroffenen einhergeht. Eine zu große Hoffnung auf ein Wundermittel solle man sich daher nicht machen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Alzheimer Forschung Initiative e.V.: Es ist kompliziert – Vier Herausforderungen für die Alzheimer-Forschung (veröffentlicht: 09.09.2021), alzheimer-forschung.de
- Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.: Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen (Stand: Juni 2020), deutsche-alzheimer.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.