Cannabinoide aus Amöben: Neues Herstellungsverfahren für Naturstoffe
Tetrahydrocannabinol (THC) ist wohl der bekannteste Wirkstoff der Cannabis-Pflanze. Neben einer berauschenden Wirkung hat die Substanz auch großes medizinisches Potenzial, unter anderem als Schmerzmittel. Bislang wird THC hauptsächlich über den Konsum von Cannabis, beispielsweise durch das Rauchen der Pflanze, aufgenommen. Ein neues Herstellungserfahren ermöglicht jedoch nun mithilfe von Amöben die Produktion von THC ohne die Kultivierung von Cannabis.
Forschende des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) in Jena stellen ein neues Herstellungserfahren vor, bei dem Amöben komplexe Naturstoffe produzieren. Zu den Wirkstoffen, die die Kleinstlebewesen herstellen können, gehören unter anderem verschiedene Antibiotika und Olivetolsäure, eine Vorstufe des pflanzlichen Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol aus Cannabis. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature Biotechnology“ vorgestellt.
Amöben können zahlreiche Naturstoffe produzieren
Die Arbeitsgruppe fand eine Möglichkeit, wie Amöben der Gattung Dictyostelium discoideum verschiedene Polyketide produzieren können. Dabei handelt es sich um Naturstoffe, die für eine Vielzahl therapeutischer Anwendungen verwendet werden können. Durch das Verfahren können die Tierchen Wirkstoffe für diverse Nahrungsergänzungsmittel, Antibiotika und die Cannabinoidvorstufe Olivetolsäure herstellen, die zur Synthese von THC benötigt wird.
Medizinisches Potenzial von THC
Bei THC handelt es sich um eine psychoaktive Substanz, die natürlich in Cannabis vorkommt. Der Wirkstoff wird bereits medizinisch angewendet, beispielsweise bei neurologischen Krankheiten und zur Linderung von Schmerzen.
THC war bislang schwer zu synthetisieren
Bislang wird THC hauptsächlich durch Konsum der Cannabis-Pflanze aufgenommen. „THC in Reinform aus der Fülle von Stoffen zu isolieren ist sehr aufwendig“, bestätigt der leitende Forscher Falk Hillmann aus der Arbeitsgruppe „Evolution mikrobieller Interaktionen“ am Leibniz-HKI. Die chemische Synthese von THC sei teuer und die Ausbeute gering. Mit dem neuen Herstellungserfahren könnte sich dies allerdings ändern.
Vito Valiante aus dem Forschungsteam erläutert, warum derzeitige Verfahren zur THC-Syntese nicht effektiv sind: „Bisher werden dafür meist Bakterien wie Escherichia coli oder die Hefe Saccharomyces cerevisiae verwendet, die selbst keine Naturstoffproduzenten sind“, so Valiante.
Die Amöbe Dictyostelium discoideum sei hierfür ein vielversprechenderer Kandidat, da sie von Natur aus zahlreiche biosynthetische Gene zur Produktion von Naturstoffen wie Polyketiden besitzt. Die einzelligen Amöben können sich zu einem vielzelligen Verband zusammenschließen und Fruchtkörper ausbilden, die Sporen produzieren.
Amöben können auch das Polyphenol Resveratrol produzieren
„Bei näherer Betrachtung der Gene ist uns aufgefallen, dass einige eine hohe Ähnlichkeit zu pflanzlichen Biosynthesegenen aufweisen“, ergänzt Studienerstautorin Christin Reimer, die ihre Doktorarbeit dem Thema gewidmet hat. Um zu testen, wie gut sich D. discoideum als biotechnologische Produktionsplattform eignet, ließ die Arbeitsgruppe die Amöben zunächst das Resveratrol produzieren, bei dem es sich ebenfalls um ein Polyketid handelt.
Amöben-Cannabinoid
In einem weiteren Schritt bauten die Forschenden ein pflanzliches Enzym zur Produktion der THC-Vorstufe Olivetolsäure in das Genom der Amöbe ein und kombinierten es mit einem Enzym der Amöbe. „Die Amöbe ist in der Lage, direkt vor Ort die benötigte Vorstufe, eine Hexan-Einheit, herzustellen“, erklärt Hillmann. Mithilfe des Hybrid-Enzyms können die Amöben ohne weitere Zusätze Olivetolsäure produzieren.
„Durch unsere Forschung haben wir gezeigt, dass die Amöbe Dictyostelium als biotechnologische Produktionsplattform für Polyketid-basierte Naturstoffe genutzt werden kann“, resümiert Reimer. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben das Verfahren bereits als Patent angemeldet. Das Team arbeitet derzeit daran, die Herstellungsmethode so zu verbessern, dass die Amöben direkt das Endprodukt THC produzieren können. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut (HKI): Cannabinoide aus Amöben (veröffentlicht: 07.01.2022), leibniz-hki.de
- Reimer C, Kufs JE, Rautschek J, et al.: Engineering the amoeba Dictyostelium discoideum for biosynthesis of a cannabinoid precursor and other polyketides; in: Nature Biotechnology, 2022, nature.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.