Bislang unbekannte Struktur kann Lebererkrankungen erklären
Ein deutsches Forschungsteam konnte eine seit langem unbeantwortete Frage zum Aufbau der Leber klären. Die Arbeitsgruppe entdeckte mithilfe neuster Technologie bislang unbekannte winzige Membranstrukturen, die für den Aufbau der Gallenkanäle wichtig zu sein scheinen. Sind diese Kanäle verschlossen, können schwere Lebererkrankungen entstehen. Bisher war unklar, wie das System aus Gallenkanälchen in der Leber entsteht.
Forschende des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) um Marino Zerial entdecken Mikrostrukturen in Leberzellen, die zur Früherkennung von Krankheiten beitragen könnten. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im „Journal of Cell Biology“ vorgestellt.
Das Kanalsystem der Leber
Die Leber ist das größte Stoffwechselorgan und zuständig für die Entgiftung sowie für die Verdauung. Das Organ produziert die Verdauungsflüssigkeit Galle, die in den Darm weitergeleitet wird. Der Transport erfolgt über ein Netzwerk aus winzigen Röhrchen, den sogenannten Gallenkanälchen. Diese Kanälchen münden in den Gallengang, der die Galle schließlich zum Darm befördern. Ein ungestörter Gallenfluss ist für die Funktion der Leber unverzichtbar. Bislang war jedoch nicht genau bekannt, wie die Leber diese Kanäle bildet.
Schottwände in der Leber
Die MPI-CBG-Arbeitsgruppe aus Dresden fand nun heraus, dass Leberzellen mithilfe von Membranen Querverbindungen bilden, die die Gallenkanälchen zwischen den Zellen verstärken. Die Forschenden vergleichen den Aufbau mit Schottwänden, die beim Boots- oder Flugzeugbau eingesetzt werden. Die winzigen Membranstrukturen scheinen sowohl für die Entwicklung der Gallenkanälchen als auch für die Funktion der Leber wichtig zu sein.
Wenn die Gallenkanälchen verstopft sind
Denn kommt es zu einer Blockade der Gallenkanälchen, kann dies zu einer Vielzahl von schweren Lebererkrankungen führen. Die neu entdeckte Membranstruktur könnten deshalb als möglicher neuer diagnostischer Indikator für Lebererkrankungen genutzt werden.
Winzige Verbindungen zwischen den Leberzellen
Wie die Forschenden erklären, wird die Gallenflüssigkeit in der Leber von Zellen produziert, die als Hepatozyten bezeichnet werden. Sie machen rund 80 Prozent der Lebermasse aus und bilden ein sehr komplexes dreidimensionales Röhrennetzwerk, worüber die Galle abgesondert und transportiert wird. Die feinsten Verästelungen dieses Röhrennetzes verbinden jeweils zwei benachbarte Hepatozyten miteinander. Die Verbindung hat lediglich einen Durchmesser von etwa einem Mikrometer – ein menschliches Haar hat einen Durchmesser, der hundert mal so groß ist.
Hepatozyten bilden röhrenförmige Ausdehnungen
Mittels modernster Mikroskopietechnologien konnte die Forschungsgruppe erstmals zeigen, wie Hepatozyten ihre Membranoberfläche formen, um ein so feines und weit verzweigtes Netzwerk zu bilden. „Wir haben die embryonalen Hepatozyten unter dem Mikroskop beobachtet“, erläutert Studienerstautorin Lenka Belicova. Dabei zeigte sich, dass die Zellen erst einen kugelförmigen Hohlraum zwischen zwei benachbarten Zellen bilden, der sich dann zu einer länglichen Röhre ausdehnt.
Fehlbildungen können die Leber krank machen
„Wir fanden heraus, dass das Gen Rab35 eine Rolle bei der Bildung der länglichen Röhren spielt“, schildert Belicova. Wenn das Gen fehlte, bildeten die Hepatozyten keine Schottwände, sondern nur kugelförmige Hohlräume. Als das Team bei Mäusen die Aktivität des Rab35-Gens herabsetzte, führte dies zur Bildung von Zysten und pathologischen Veränderungen in der Leber. Diese Auswirkungen erinnerten an bestimmte Lebererkrankungen beim Menschen.
Eine seit langem unbeantwortete Frage geklärt
„Mit der Entdeckung dieser neuen subzellulären Strukturen ermöglichen wir neue Einblicke in die seit langem unbeantwortete Frage, wie das röhrenförmige Netzwerk der Gallenkanälchen in der embryonalen Leber gebildet wird“, resümiert Studienleiter Zerial. Die entdeckten Schottwände könnten der Schlüssel zum Verständnis von Leberfunktionsstörunge wie beispielsweise bei Cholestase (Gallenstauung) sein.
Die strukturellen Veränderungen des Lebergewebes bei menschlichen Betroffenen ähnelten in bemerkenswerter Weisen denen, die bei Mäusen nach dem Verlust der Schottwände auftraten. „Jetzt wissen wir, worauf wir achten müssen, um den Krankheitsverlauf in der Leber zu verstehen – eine Voraussetzung für die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien“, betont der Studienleiter abschließend. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Lenka Belicova, Urska Repnik, Marino Zerial, et al.: “Anisotropic expansion of hepatocyte lumina enforced by apical bulkheads”; in: J Cell Biol, 2021, rupress.org
- Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik: Bootsbau in der Leber (veröffentlicht: 11.08.2021), mpi-cbg.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.