Eine britische Studie von Forschern der Universität Hull hat herausgefunden, dass Kratzen für neurotisch anfällige Menschen ansteckend sein kann. Wenn sie sie sehen, „dass sich jemand an der Haut kratzt, müssen sie sich auch kratzen“, so das Resümee der Wissenschaftler. Möglicherweise kann nunmehr erklärt werden, warum manche Menschen unter andauerndem Juckreiz leiden, obwohl keine Erkrankungen der Haut diagnostiziert werden können.
13.11.2012
Seit längerer Zeit ist unter Wissenschaftlern bekannt, dass Kratzen, ähnlich wie Lachen oder Gähnen, regelrecht ansteckend sein kann. Bis jetzt waren in Bezug auf das Phänomen „Juckender Hautausschlag“ die Zusammenhänge nicht eindeutig bewiesen. Denn nicht jeder Mensch muss sich sofort auf der Haut kratzen, wenn sein Gegenüber sich juckt. Wissenschaftler der Universität Hull ermittelten im Verlauf eines Experiments, dass nicht alle, sondern nur bestimmte Menschen hierfür signifikant anfälliger sind. „Besonders emotional labile Menschen verspürten selbst einen Juckreiz, wenn sie einen Mensch beim Kratzen zusehen“. Schon das Beobachten aktiviere laut Forschern bestimmte Regionen im Gehirn, die auch beim Jucken selbst aktiviert sind. Möglich sei, dass dafür eine übermäßige Aktivierung im Gehirn, ein Art „Kratz-Matrix“, verantwortlich für den ständigen Juckreiz sei. Den Juckreiz verspüren viele Menschen, obwohl ein Dermatologe keine organische Ursache finden konnte, wie das Forscherteam im Fachmagazin „PNAS“ schreiben.
Kratz-Filme ließen 60 Prozent zum Jucken animieren
Im Verlauf der Studie wurde den 33 männlichen und weiblichen Teilnehmern Videoclips gezeigt, in den sich Menschen kratzten oder sich auch nur auf bestimmte Körperteile klopften. Während des Betrachtens wurden die Probanden ohne deren Wissen gefilmt. Nach jeder Videosequenz sollten die Teilnehmer selbst beurteilen, wie sehr es dabei gejuckt hat. Zunächst zeigte sich, dass die Probanden einen stärkeren Juckreiz beim Kratzen verspürten, als beim Zusehen des Klopfens. Über 60 Prozent ließen sich vom Kratzen anstecken und juckten mindestens bei einem der Videofilme sich selbst. Vor allem, wenn im Video der linke Oberarm gekratzt wurde, ließ zum nachfolgenden jucken verleiten, schreiben die Forscher in ihrem Studienbericht.
Neurotizismus machte anfälliger für Juckreiz
Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass offenkundig Menschen einen höheren Hang zum Juckreiz entwickeln, wenn sie für Neurotizismus anfälliger sind. Neurotizismus (abgeleitet von Neurose) ist ein spezifisches Persönlichkeitsmerkmal, bei denen Menschen anfälliger auf negative Emotionen ihrer Umwelt oder Stress reagieren. Unterschiede zwischen Frauen und Männern konnte das Wissenschaftsteam nicht finden. Der ansteckende Effekt war bei Frauen und Männer gleich. „Dabei spielte überraschender Weise auch die Fähigkeit zur Empathie keine Rolle“, so Studienleiter Hennig Holle. Anschließende Tests zeigten, dass besonders Juckreiz anfällige Menschen keine größere Fähigkeit zur Empathie oder Mitfühlen besaßen, als andere, die sich weniger vom Kratzen anstecken ließen.
Im dritten Schritt ließen die Wissenschaftler einige Studienteilnehmer Videos anschauen, während eine Computertomograph (MRT) die Aktivitäten des Gehirns scannte. Dabei wurden zahlreiche Bereiche der „Kratz-Matrix“ aktiviert. Bei den „neurotischen Teilnehmern“ waren die Regionen besonders stark aktiviert. Die bestimmten Hirnareale sind besonders dann beansprucht, wenn im Gehirn Simulationen von Tätigkeiten durchgespielt werden oder Chemikalien auf der Haut zum Jucken reizen. Das zeige, dass „beim organischen und psychischen Juckreiz die gleichen Areale im Gehirn beansprucht werden“, so das Team.
Aktivierung der Kratz-Matrix Auslöser für psychischen Juckreiz
„Wir gehen davon aus, dass die Aktivierung der zentralen Kratz-Matrix Auslöser für psychogenes Juckreiz-Krankheiten sein können“, resümieren die Forscher im „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (doi:10.1073/pnas.1216160109). „Probanden mit einem höheren Neurotizismus-Wert ließen sich signifikant häufiger vom Juckreiz anstecken“. Somit könne wahrscheinlich auch erklärt werden, warum manche Patienten unter ständigem Juckreiz leiden, obwohl keine organischen Hautkrankheiten vorliegen und die Haut auch nicht gereizt ist. Demnach könne es sein, dass bei jenen die „Juck-Matrix“ übersensibel reagiere. Weitere Forschungsarbeiten müssen nun klären, welche Funktionen einzelne Bereiche des Gehirns einnehmen und wie die Erkenntnisse in der Behandlung von psychischen Juckreiz mit einfließen könnten. (sb)
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